Über den politischen Umgang mit einer depressiv erkrankten Bevölkerung Die Verzweiflung minimieren

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In Deutschland begehen jährlich bis zu 10.000 Menschen Selbstmord. 90 Prozent davon leiden unter einer psychischen Erkrankung, mehr als 50 Prozent davon haben Depressionen. Ein Zustand den man ändern kann, findet HCM-Autorin Dr. Christiane Chadasch. Sie erklärt im folgenden Beitrag, warum wir lernen müssen, Belastungen zu bejahen und emotionsbasierte Coping-Strategien zu entwickeln.

Negative Erlebnisse gehören zum Leben. Das sagt sich so einfach, sollte aber auch gesellschaftlich akzeptiert werden, damit jeder einzelne Mensch es leichter hat, Belastungssituationen zu bejahen und sie damit für sich zum Guten zu wenden. Das erklärt Dr. Christiane Chadasch in diesem Beitrag. – © kei907 (stock.adobe.com)

Im 5. Jahrhundert vor Christus hat Hippokrates von Kós die Depression (damals als Melancholie bezeichnet) beschrieben. Er stellte die Verbindung zwischen dem Gehirn und dem sowohl depressiven Erleben eines Menschen als auch zu seinem manischen Erleben her. Die Symptome der Erkrankung finden sich in der Bibel. Sowohl in der Geschichte Hiobs als auch in den Psalmen werden die Niedergeschlagenheit ohne Ausweg und die tiefe Verzweiflung eines Menschen in der Ich-Perspektive erörtert (Die Bibel. Einheitsübersetzung, 2017, Herder). Ein dazugehöriges Diagnoseinstrument wurde im 17. Jahrhundert von dem schottischen Arzt William Cullen entwickelt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts (1976 im Medizinlexikon erwähnt) fand die Depression dann, als eine Art angeborenes Temperament, literarische Erfassung. Zunehmend wurde die Frage nach den Persönlichkeitseigenschaften und die damit verbundene Verarbeitung belastender Situationen, durch den Psychiater Aldolf Meyer (zahlreiche veröffentlichte Artikel über die Johns Hopkins University über die psychosozialen Ursachen bei einer depressiven Erkrankung) erörtert. Ende des 19. Jahrhunderts verankerte sich eine klare Unterscheidung in physiologische und psychologische Aspekte des Krankheitsbildes durch Emil Kraepelin (Psychiater).

Es braucht mehr salutogenetisches Denken

Und noch heute suizidieren sich in Deutschland jährlich bis zu 10.000 Menschen. Davon leiden 90 Prozent unter einer psychischen Erkrankung und mehr als 50 Prozent davon unter einer Depression. Es gilt, diese Verzweiflung zu minimieren! Zu der medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlung einer Depression, ist es entscheidend eine Sichtweise zu etablieren, die bereits in den Grundschulen eingebunden werden muss. Hier ist die Politik gefragt, um nachhaltige Veränderungen zu ermöglichen. Die psychosoziale Situation jedes einzelnen Menschen kann verbessert werden, indem der Blickwinkel von der Pathogenese auf die Salutogenese gelenkt wird. Im pathogenetischen Kontext wird nach der Ursache eines Problems gefragt. Eine salutogenetische Sichtweise hingegen verändert das Denken. Es handelt sich hierbei um die Fragestellung wie der Zustand, der als erstrebenswert gilt, erhalten wird.

Scheitern ist normal

Das Modell von Aaron Antonovsky (Antonovsky, A., 1991, Health, stress and coping, Jossey Bass Publ) beschreibt den sense of coherence (SOC), den er aufgrund seiner Forschung entwickelt hat. Hierbei geht es darum, dass in jeder Schwierigkeit Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit zu einem zentralen Thema werden. Das bedeutet, dass bereits im Kindesalter gelernt werden muss (Lernen am Modell, Bandura), das Scheitern ein normaler Zustand im Leben ist, den jeder Mensch erlebt. Es ist wichtig begreiflich und erlebbar zu machen, dass es in Ordnung ist, nicht der Beste zu sein. Im Rahmen der Handhabbarkeit, müssen Menschen wieder lernen, dass kein Mensch, auch wenn er permanent sein Bestes gibt, immer auf der Erfolgsspur ist. Es geht darum, dass der Sinn, der sich in einer Krise verbirgt, nutzbar gemacht wird. Diese Stellen im Rahmen des Wachstums zu begreifen, ermöglichen es, Blockaden abzubauen und neue Lernerfahrungen zu machen. Lazarus (Lazarus, R., Folkmann, S., 1984, Stress, appraisal and coping, Springer) zeigt in seinem Transaktionalen Stressmodell (Lazarus, R., 1999, Stress and Emotion: A new Synthesis, Springer), dass durchlebte Stresssituationen zu einer Neubewertung führen. Wer auf seine Bewältigungs-/Copingstrategien vertrauen kann, wird in einer ähnlichen Situation deutlich schneller eine Lösung für seine Probleme finden. Hierbei gilt nicht immer das problembasierte Coping, bei dem das Problem eliminiert wird, sondern für die an einer Depression erkrankten Menschen ist besonders das emotionsbasierte Coping entscheidend. Die Empfindung kann im Blickauf die Problematik verändert werden.

Belastungen gesellschaftlich bejahen

Das heißt, dass es möglich ist, belastende Lebensmomente zu bejahen, um daraus zu lernen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Umgang mit Emotionen stark reglementiert ist. Es gibt eine schmale Bandbreite gesellschaftlich akzeptierter Gefühle und eine große Bandbreite von Gefühlen, die im Keim erstickt werden, da sie als kraftraubend eingestuft werden. Diese Gefühle sind für den Menschen in seiner Entwicklung aber von entscheidender Bedeutung. Eine Phase der Trauer (Trauerspirale nach Elisabeth Kübler-Ross) beispielsweise ist gesund, sofern ein trauriges Ereignis eingetreten ist. Bei manchen Menschen streckt sich eine Trauerphase über Jahrzehnte. Sie trauern über Dinge, die in einer vollkommen anderen Lebensphase geschehen sind. Natürlich ist es gelegentlich gut, diese Trauer aufzuarbeiten. Wenn Menschen aber ihr jetziges Leben verpassen, werden sie in den folgenden Jahren wiederrum diese jetzige Phase als verloren betrauern. Im Hier und Jetzt (Kabatt-Zinn: Achtsamkeit) anzukommen bedeutet, eine Situation zu akzeptieren. Die Akzeptanz und Wahrhaftigkeit einer Problematik wird in unserer Gesellschaft noch immer verschleiert oder im Medikamentenkonsum versenkt. (100.000 Medikamente sind in Deutschland auf dem Markt. Der Jahresumsatz liegt im Milliardenbereich und viele Menschen kennen keinen gesunden Umgang mit Präparaten. Auch für einen Arzt ist es leichter, ein Medikament zu verordnen als bei dem SOC zu helfen.) Diese Problematik aufzulösen heißt, sich mit den dazugehörigen Informationen auseinanderzusetzen und diese für die Seele geklärt, als Lernerfahrung abzuspeichern. Das ist eine Geisteshaltung. Diese Haltung kann trainiert werden und führt zu einer inneren Freiheit und Authentizität, die zu einer tiefen Lebenszufriedenheit führt. Sowohl präventive Programme und als auch nachhaltige Behandlungskonzepte müssen deutlich verstärkt werden, damit diese Gesellschaft wieder lernt, das Gute zu sehen und somit ein zufriedeneres Leben zu führen.  

Über die Autorin:
Dr. Christiane Chadasch ist seit drei Jahrzehnten im Gesundheitsmanagement verankert. Auf eine pflegerische Ausbildung, folgte ein pädagogisches Studium sowie eine sechsjährige Forschungszeit an der Universität zu Köln im Bereich der Heilpädagogischen Psychologie. Forschungsschwerpunkt war die Lebenszufriedenheit von Menschen in stark belasteten Situationen. Als Geschäftsführerin der Gesundheitsakademie Chadasch – DIE Gesundheitsakademie für erfolgreiche Führungskräfte organisiert Frau Dr. Chadasch Persönlichkeitsentwicklungsseminare und coacht im Rahmen eines erfolgreichen Lebensgefühls für Ihre Kunden. Kontakt: kontakt@christiane-chadasch.de