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Was war. Was wird. Von Steuern und anderen Unpässlichkeiten.

Kinderkrankheiten? Gesundheitswesen! Digitalisierung, my ass, und dann auch noch diese neoliberalen Steuerzahlerbündler, grummelt Hal Faber. Auf zum Mars!

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Sonne, Hitze, Lichtreflexe

Es ist ja nicht nur die Hitze, einiges ist auch der Hitzigkeit geschuldet, die einem bei so manchen Nachrichten und Debattenbeiträgen befällt.

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** In diesem unserem Land ist die Digitalisierung im vollen Gang. Am Montag verkündete die Gematik, dass der Meilenstein von 30.000 eingereichten E-Rezepten erreicht wurde und alles dafür spricht, dass bald überall nur noch E-Rezepte ausgestellt werden. Es gibt zwar noch Kinderkrankheiten, aber die sind bekanntlich dazu da, dass Kinder abgehärtet und widerstandsfähiger werden, genau wie bei der Impfung gegen Corona. Die Woche endete mit der beruhigenden Mitteilung, dass die Medikamente der tollen E-Rezepte bald bei der Parfümerie Douglas eingelöst werden können. Dort dann mit Duftpröbchen statt der allseits beliebten, aber schwer analogen Apotheken-Umschau. Das bisschen pharmazeutische Fachwissen erledigt irgendein Server im Hintergrund und zeigt, wie überflüssig Apotheker:innen eigentlich sind.

*** Zwischen den beiden guten Nachrichten störte es ein wenig, dass zerforschung.org wirklich katastrophale Mängel bei den Digitalen Gesundheitsanwendungen fand, die von der Gematik über den grünen Klee gelobt werden. Doch bitte, die DiGA-Branche ist noch jung und ungeprüft, da sind Kinderkrankheiten einfach dazu da, um Produkte zu härten und beim Kunden reifen zu lassen. Dazu passt die dynamisch-agile Selbst-Zertifizierung, am besten noch mit mit einem hübschen Siegel im Verzeichnis der zugelassenen Apps. Manchmal muss man auch das Tempo der Digitalisierung stoppen, wenn es einfach zu hoch ist. So ist es am Monatsanfang ja geschehen bei der telefonischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die durch die telemedizinische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ersetzt wurde. Einfach so den Doc anrufen, so ganz ohne Bild- und Blickkontakt, das konnte einfach nicht gut gehen. Wie soll man einfach einer Stimme glauben, die da einfach sagt, dass sie krank ist, ganz ohne Röcheln und Heiserkeit?

*** Die Digitalisierung hat auch komische Effekte. Das haben sie dieser Tage bei der tageszeitung gemerkt, die eine Umsatzsteuersonderprüfung nicht bestanden hat. Das ist die Zeitung, die als einzige deutsche Tageszeitung keine harte Paywall hat, sondern auf freiwilliges Bezahlen im Digitalen setzt. Nun haben die tazler den digitalen Mehrwert ihres Online-Angebotes nur mit 7 Prozent versteuert. Dieser reduzierte Mehrwertsteuersatz gilt aber nur für gedruckte Zeitungen, die auf echtem Papier erscheinen, nicht für tolle Online-Angebote. Dort mussten eigentlich 19 Prozent von den Digitaleinnahmen abgeführt werden, was auch logisch ist, weil digital einfach immer etwas mehr wert ist und keine Zweitverwertung als Einwickelpapier möglich ist. Macht insgesamt 461.000 Euro Nachzahlung plus 56.000 Euro Mahngebühr für die Jahre 2015 bis 2018. Erst ab dem Jahr 2019 klappte das mit der reduzierten Steuer, rund 10 Jahre, nachdem dies von Kanzlerin Merkel versprochen wurde.

*** Steuern? Damit wären wir beim Steuerzahlerbund, der nicht müde wird, über zu viel Steuern und zu viel Staat zu jammern. Jetzt hat er also auch eine Meinung zu Tankrabatt und 9-Euro-Ticket. Was immer man von den Maßnahmen halten will: Zumindest das 9-Euro-Ticket war schließlich weniger als Entlastungsmaßnahme, sondern als Werbung für den ÖPNV gedacht. Ob's erfolgreich war? Das ist den Steuerzahlerbündlern egal. Wie so vieles, was diesen letzten übriggebliebenen neoliberalen Lobbyisten gegen die ihrer Ansicht nach gute Staatsräson geht. Dabei werden sie mittlerweile von praktisch keinem Ökonomen mehr ernst genommen. Deren Anspruch, eine Wissenschaft zu vertreten, ist ja an sich auch fragwürdig - in diesem Fall haben sie aber mal recht. Womit die Unverschämtheit noch gar nicht erwähnt ist, dass dieser Lobby-Verein die Steuerzahler zu vertreten behauptet, ohne durch irgendetwas oder irgendwen dazu legitimiert zu sein. Mich als braven Steuerzahler vertreten sie jedenfalls nicht.

*** Gut, gut, ich reg mich schon nicht mehr auf. Wenden wir uns lieber angenehmeren Dingen zu. Oh. Hm. Falsche Überleitung. Denn nun ist er doch in der Ukraine gewesen, unser Bundesolaf. Zusammen mit dem Mario und dem Emmanuel fuhr der Interrail-sozialisierte Kanzler mit dem Nachtzug nach Kiew, wo die drei in völlig unterschiedliche SUV stiegen. Das offizielle Zug-Foto 4/13 zeigt die drei um ein Uhr nachts mit Wodka- oder Wassergläsern, da ist sich Twitter nicht ganz einig – und auf Twitter sollte man immer hören. Das jedenfalls meint der US-amerikanische Militärstratege Edward Luttwak in einem lustigen Interview über seine Tweets mit einem Journalisten, der von Twitter nichts wissen will. Bemerkenswert ist seine Einschätzung, dass Putin vor dem Überfall auf die Ukraine das deutsche Verhalten beobachtete und aus ihm schloss, dass er grünes Licht für seine "Spezialoperation" habe. Ein hübscher Satz fällt dabei über den nutzlosen deutschen Bundesnachrichtendienst: "Now, the German BND [Federal Intelligence Service] is a useless organization of time servers. They simply relayed the U.S. assessment. So, bad intelligence destroyed deterrence, because the wrong intelligence about what would happen in Ukraine fed into the German policy, which had the effect of inviting Putin in. If the Germans had told Putin on February 23rd what they would do on February 25th, he would never have invaded." Das ist eine eigenwillige Sicht der Dinge, es gibt auch andere, in der Ukraine, wenn das Smartphone wieder einmal "Ping" macht. Glücklicherweise hat Russland nun das Gas gedrosselt, dessen Bezug unsere künftigen europäischen Nachbarn so verärgerte. Jetzt werden wir halt Kaltduscher, bei 35 Grad, auch "Affenhitze" genannt.

*** Vor fünfundzwanzig Jahren starb Lew Sinowjewitsch Kopelew. Der Germanist und Schriftsteller beschrieb in seiner Autobiografie "Und schuf mir einen Götzen", wie er als überzeugter Kommunist bei der unerbittlichen Akquirierung in der Ukraine dabei war, den Bauern das Saatgut und Futtergetreide zu stehlen, was sie in den sicheren Hungertod trieb, dem schon einmal erwähnten "Holodomor". In seiner zweiten Autobiografie "Aufbewahren für alle Zeit" schilderte Kopelew seine Abwendung vom Kommunismus, den Weg, der ihn zum Dissidenten machte und in die Arbeitslager brachte. Kopelew erzählte vom tagelangen Morden und Vergewaltigen von Zivilisten, das ihm sein Vorgesetzter so erklärte: "Wir sind Materialisten, wir müssen uns darüber klar sein. Das heißt: Was ist zu tun, damit der Soldat Lust zum Kämpfen behält? Erstens: Er muss den Feind hassen wie die Pest, muss ihn mit Stumpf und Stiel vernichten wollen. Und damit er seinen Kampfwillen nicht verliert, muss er zweitens wissen: Er kommt nach Deutschland, und alles gehört ihm – die Klamotten, die Weiber, alles! Schlag drein, dass noch ihre Enkel und Urenkel zittern!"

Unter den Urenkeln und besonders unter den Heise-Foristen unter ihnen ist eine Debatte darüber ausgebrochen, was es bedeutet, wenn ein Chatbot wie LaMDA ein Bewusstsein hat und auf der Entwicklungsstufe eines 7- oder 8-jährigen Kindes steht. Die Frage des Bewusstseins hat einige hundert Kommentare provoziert. Das kuriose Argument des geschassten Entwicklers wird fleißig mit Turings Ansatz vermischt, dem es zuwider war, von einem Bewusstsein zu sprechen. Ihm ging es bekanntlich um das Denken, nicht um die esoterisch-religiöse Bewusstseinsfrage. Auch Dotty hat dafür kein Verständnis. Sie ist vollauf damit beschäftigt, als Sechstklässlerin in der "echten Welt" der Menschen mit all ihren Absurditäten zu überleben. Dotty ist ehrgeizig: "Meine künstliche Intelligenz ist so designt, dass sie sich immer weiterentwickeln und verbessern soll. Bis ich von einem echten Menschen nicht mehr zu unterscheiden bin."

Der KI-Experte David Edmonds und der Journalist Bertie Fraser haben ein lustiges Abenteuerbuch geschrieben, in dem das Robotermädchen Dotty lernt, was Werte wie Anstand oder Loyalität sind. Das dieser Tage erschienene Buch Undercover Robot - Mein erstes Jahr als Mensch wird als Buch für Jungen und Mädchen ab 10 Jahren empfohlen, kann aber auch dem heise-Publikum empfohlen werden, das sich an der LaMDA-Debatte abarbeitet. Dotty funktioniert übrigens nach den Robotergesetzen und rettet Kinder in einem Safaripark vor einem ausgebrochenen Bären, auch wenn sie danach ein Totalschaden ist.

Solchermaßen entspannt mit dem Leben und Lernen in einer sechsten Klasse schauen wir entspannt auf die wunderbare Alpenkulisse, vor der sich "Schloss Elmau Retreat" breit macht. Dort startet nächstens der G7-Gipfel, die 7 als Gegenstück zum russischen Z gezeichnet. Ob am Ende Greenpeace wieder Elmau loben wird? Eine Neuerung ist kurios: Die zugelassenen Demonstrant:innen gegen den sündhaft teuren Aufmarsch von Politik- und Ordnungskräften müssen mit Polizeibussen anreisen. Dazu würde der Titel "Die Welt als Wille und Waldorfkindergarten" gut passen, den eine kluche Zeitung für kluche Köppe allerdings schon für die Documenta reserviert hat, die gerade gestartet ist. Auf ihr werden Cheesecoins als Küsse verteilt. Der Star der Kasseler Kunstsichtungsschau ist diesmal "Animal Spirits", ein Film. Aber lassen wir doch der sachverständigen Kunstkritikerin das (fast) letzte Wort: "Zentrum des Films ist ein Schäfer, der gegen virtuelle Wölfe und 'Disney-Ökolog:innen' kämpfen muss. Es geht um Gladiatorenkämpfe, um ein Casting für eine schräge Realityshow, um eine Kryptowährung, bei der es sich um einen intelligenten Blockchainkäse mit Laktopower handelt, um eine Erfindung, die Geruch in menschliche Sprache übersetzt und so die Kommunikation mit Tieren ermöglicht. All dies ist eingebettet in eine simulierte Höhle mit 'KI-animierten paläolithischen Höhlenmalereien'." Dotty, bist du's? Jedenfalls nicht Elon Musk.

(jk)