c't 13/2023
S. 29
Aktuell
Prozessoren
Bild: Speedrookie/Reddit

Überreizt

Defekte Ryzen-7000-Prozessoren durch Übertakterspeicher

Hohe Spannungen für schnelleres RAM können AM5-CPUs überhitzen, wodurch sie sich und das Mainboard zerstören. BIOS-Updates sollen das Risiko senken, aber das grundlegende Problem bleibt bestehen.

Von Christian Hirsch

Während der vergangenen Wochen häuften sich in Internetforen Berichte über defekte Ryzen-7000-Prozessoren, die sich so stark erwärmt hatten, dass der CPU-Träger sich nach unten wölbte und teilweise das Plastik der Fassung auf dem Board schmolz. Betroffen sind überproportional häufig Systeme mit X3D-Prozessoren, die zusätzlichen, aufgestapelten Level-3-Cache tragen.

​Eigentlich sollten solche Schäden seit fast zwei Jahrzehnten der Vergangenheit angehören. Denn alle Prozessorhersteller integrieren in ihre Chips eine zweistellige Anzahl an Temperatursensoren sowie Schutzschaltungen, die eine heiß laufende CPU drosseln und notfalls abschalten.

​Ursache für das Versagen ist wohl eine Kombination mehrerer Faktoren: Die meisten Betroffenen haben ihren Prozessor nicht manuell übertaktet, aber schnellen Arbeitsspeicher wie DDR5-6000 eingebaut, der diese vom Hersteller versprochenen hohen Taktfrequenzen und kurzen Latenzen erst mit erhöhter Spannung erreicht. Damit die Anwender nicht von Hand im BIOS-Setup eine zweistellige Anwahl an Timing-Parametern passend einstellen müssen, enthalten diese Übertakter-DIMMs erweiterte Speicherprofile wie AMDs Extended Profiles for Overclocking (EXPO) oder Intels Extreme Memory Profile (XMP).

​EXPO und XMP sind nicht automatisch aktiv, sondern Nutzer müssen sie im BIOS-Setup aktivieren, was auch Konsequenzen für die Schadenshaftung hat, auf die wir noch eingehen.

​Notabschaltung durchgebrannt

​Durchs Einschalten von EXPO oder XMP erhöht das Mainboard jedoch nicht nur die RAM-Versorgungsspannung von 1,1 Volt auf zumeist 1,25 Volt, sondern dreht auch Spannungen der CPU hoch. Denn bei Ryzen-7000-Prozessoren liegt der Speichercontroller in der gleichen Taktdomäne wie zum Beispiel die Hochgeschwindigkeitsschnittstelle Infinity Fabric, die unterschiedliche Funktionsblöcke der CPU miteinander verbindet. Damit auch diese mit dem höheren Takt des Overclocking-RAM stabil läuft, steigern die Board-Hersteller die sogenannte SoC-Spannung des Prozessors, die normalerweise 1,1 Volt beträgt. Das MSI Pro B650-P WIFI hob sie mit DDR5-6000 EXPO als Spitzenreiter unserer Stichprobe auf 1,36 Volt an.

​Für die in 5- und 6-Nanometer-Technik gefertigten Chiplets der Ryzen 7000 ist das wohl zu viel. Eine anonyme Quelle steckte dem Onlinemagazin Tom’s Hardware Guide, dass die hohe SoC-Spannung perfiderweise zuerst die Schaltkreise durchbrennen lässt, die dem Schutz vor zu hohen Temperaturen und elektrischen Strömen dienen. Der YouTuber der8auer hatte kürzlich einen defekten Ryzen 9 7900X vom Heatspreader befreit. Dabei offenbarte sich, dass die dünne Schicht Indium zwischen Halbleiter-Die und Metalldeckel der CPU geschmolzen war. Der Schmelzpunkt von Indium liegt bei 157 Grad Celsius, die Notabschaltung hätte aber bereits bei 125 Grad Celsius eingreifen müssen. Ryzen 7000X3D sind stärker gefährdet, weil sie durch den aufgestapelten Level-3-Cache die Wärme schlechter abführen.

​AMD hat deshalb Ende April den AGESA-Firmware-Rohling in Version 1.0.0.7 an die Board-Hersteller geschickt, der die SoC-Spannung auf 1,3 Volt begrenzt, was wir in unseren Tests bestätigen konnten. Inzwischen bieten die meisten Hersteller für ihre AM5-Boards aktualisierte BIOSe mit dieser Firmware zum Download an. Asus ging noch einen Schritt weiter und hat alle früheren Versionen offline genommen.

​Marketing schlägt Verstand

​Die Prozessor-, Mainboard- und DIMM-Hersteller bewerben ihre Produkte häufig mit Benchmarks, die mit RAM-Geschwindigkeiten weit oberhalb der selbst festgelegten Spezifikationen ermittelt wurden. Obwohl AMD maximal DDR5-5200 freigegeben hat, verwendet der CPU-Hersteller DDR5-6000-Speicher für die Referenzwerte des Ryzen 7 7800X3D. Den meisten Anwendern dürfte dabei nicht bewusst sein, dass es sich bei EXPO und XMP um Overclocking handelt, was zum Verlust der Garantie für die Hardware führt. Weil der Nutzer die erweiterten Profile selbst im BIOS-Setup aktivieren muss, können sich die Hersteller geschickt aus der Verantwortung ziehen. Warnhinweise fehlten bisher, die hat zum Beispiel Asus erst mit den kürzlich veröffentlichten Firmware-Updates hinzugefügt.

​Wer EXPO- oder XMP-DIMMs mit Ryzen 7000 einsetzt, sollte unbedingt die aktuellen BIOS-Updates einspielen. Wir verzichten bei unseren c’t-Bauvorschlägen bewusst auf Übertakter-RAM. Leben Sie lieber mit ein paar Prozent weniger Performance, anstatt Hardware für mehrere Hundert Euro in Rauch aufgehen zu lassen. (chh@ct.de)

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