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Zur Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion
Nikolauspaket

Autor: Angela Ostlender

Der EURO ist in bislang 19 EU-Mitgliedstaaten einheitliches Zahlungsmittel. Aber die Staatsschulden- und Währungskrisen deckten viele Schwachstellen im System auf. Wie steht es nun um die langfristige Stabilität des EURO und der EURO-Länder?

Seit der Finanzkrise der Jahre 2008/09 und der darauffolgenden sogenannten „Eurokrise“, wird kontinuierlich an der Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion gearbeitet. Am 6. Dezember 2017 legte die EU-Kommission mit ihrem „Nikolauspaket“ Vorschläge für eine Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion vor.

Typisches Gruppenbild vor Stellwand mit den genannten Damen und Herren, die in die Kamera lächeln.

Nur immer neue Haushaltsinstrumente und Fiskalkapazitäten für den EURO-Raum sind für die Kritiker des "Nikolauspakets" nicht ausreichend. Auch unsere Experten haben differenzierte Meinungen: (vlnr) Kai Wynands (Europäische Kommission), René Höltschi (Neue Zürcher Zeitung), Barbara Schretter (Leiterin Bayerische Vertretung in Brüssel), Markus Ferber (MdEP), Alexander Radwan (MdB), Dr. Markus Ehm (HSS-Leiter Brüssel)

Joscha Nollet

Nikolauspaket in der Kritik

Kritiker konzentrieren sich besonders auf die darin enthaltenen Ansätze zur Schaffung neuer Haushaltsinstrumente und Fiskalkapazitäten für das Euro-Währungsgebiet, zu denen die Umwandlung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in einen Europäischen Währungsfonds (EMF) und die umstrittene europäische Einlagensicherung (EDIS) gehören. Auch der Vorschlag, einen EU-Minister für Wirtschaft und Finanzen zu ernennen, den der französische Staatspräsident Emmanuel Macron kurz nach der Bundestagswahl 2017 ins Spiel brachte, stößt nicht nur in Deutschland auf verhaltene Reaktionen. 

Diese Themen standen im Mittelpunkt einer Diskussionsveranstaltung der Verbindungsstelle Brüssel zur Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion am 24. Januar 2018.

Keine Solidarität ohne Gegenleistung

Klar Stellung bezogen in diesem Rahmen der Finanzexperte im Deutschen Bundestag, Alexander Radwan, MdB, und Markus Ferber, der erste stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments. Ferber, der außerdem stellvertretender Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung ist, sprach sich durchaus für effizientere Strukturen zur wirtschaftspolitischen Steuerung der EU aus, unterstrich aber, dass eine Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion nicht allein durch die Schaffung neuer Institutionen herbeigeführt werden könne.

Zwei elegante Herren an einem Tischchen (offenbar ein Podium) im Gespräch. Der Linke erklärt gerade einen Punkt, der Rechte lauscht nachdenklich.

„Eine Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion kann nicht allein durch die Schaffung neuer Institutionen herbeigeführt werden“, sagte Markus Ferber im Gespräch mit Moderator René Höltschi, Brüssel-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung – NZZ

Joscha Nollet

„Keine Solidarität ohne Gegenleistung“ forderte Ferber, der die Gefahr einer Aushöhlung des Haftungsprinzips sieht. Er warnte vor gefährlichen Fehlanreizen, die durch die Übertragung von nationaler Verantwortung auf die Gemeinschaft entstehen könnten, und sprach sich für die strikte Einhaltung des bestehenden Regelwerks, insbesondere des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, aus. Die Schaffung einer europäischen Einlagensicherung (EDIS) lehnt er nach wie vor ab. „Alle Mitgliedstaaten sollen bis 2020 nationale Einlagensicherungssysteme einführen“, so Ferber. „Nur auf dieser gemeinsamen Basis können wir weitere Schritte planen, die Wirkung zeigen.“

Mitgliedstaaten müssen wichtige Entscheidungskompetenzen behalten

„Nicht den dritten vor dem ersten Schritt machen!“, warnte auch Alexander Radwan mit Blick auf die Kommissionsvorschläge. Er versicherte, dass es keinen grundsätzlichen Dissens gebe. Das Ziel sei nicht das Problem, sondern der Weg dahin. Besonders beunruhigend bewertet der

Die beiden Herren an ihrem Tisch auf dem Podium. Radwan (rechts) scheint gerade auf die Antwort von Herrn Wynands zu warten, der mit niedergeschlagenen Augen sehr konzentriert wirkt.

„Nicht den dritten vor dem ersten Schritt machen“, lautete die Empfehlung von MdB Alexander Radwan an Kai Wynands, Europäische Kommission.

Joscha Nollet

Finanzexperte aus dem Deutschen Bundestag, dass mit der Umwandlung des ESM in einen „EWF“, wie sie die Europäische Kommission vorschlage, ein Gemeinschaftsinstrument geschaffen werde, das ohne Einstimmigkeit Beschlüsse fassen könne. „Wenn Kompetenzen einmal weg sind, kann man sie nicht zurückholen“, so Radwan mit Blick auf seine langjährige Erfahrung in der Wirtschafts-, Finanz- und Europapolitik. Kritisch sieht er auch den Interpretationsspielraum, den die Kommissionsentwürfe in vielen Bereichen zulassen. Der ehemalige Europaabgeordnete sprach sich daher für klare Formulierungen und Abgrenzungen aus.  „Die europäische Währungspolitik kann die Völker auseinander treiben und trägt auch eine Mitschuld an der EU-Abkehr vieler Bürger “, warnte er abschließend. „Man muss sich dieses Sprengsatzes unbedingt bewusst sein.“ 

Risikoreduzierung oder Risikoverteilung 

„Es herrscht immer noch Katerstimmung in der Eurozone“, sagte Kai Wynands rückblickend auf den Schock, den die Eurokrise ausgelöst hat. Der Kabinettchef des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission mit Zuständigkeit für den EURO verteidigte die Vorschläge seiner Institution und begrüßte die öffentliche Diskussion darüber.

Vier Herren auf dem Podium. Markus Ferber (ganz links) spricht gerade ins Mikro.

Gefahr einer Spaltung: Europas Süden ist für Risikoverteilung, der Norden steht für Risikoreduzierung.

Joscha Nollet

Die Europäische Kommission habe intensive Krisenbewältigung betrieben und aktiv zur Stabilisierung der Eurozone beigetragen. „Auf der Basis unserer Erfahrungen in Griechenland wurde ein Dienst zur technischen Unterstützung von Strukturreformen geschaffen. Viele Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, nehmen diesen Dienst in Anspruch. Mit dem Europäischen Semester für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik gehört er zu den wichtigen Wegmarken.

Es stellt sich nun die Frage, wie wir vorsorgen können, damit eine solche Krisensituation nicht nochmals eintritt. Das Maßnahmenpaket liegt jetzt auf dem Verhandlungstisch von Rat und Europäischem Parlament“, erklärte Wynands. Das Thema der Europäischen Einlagensicherung (EDIS) bezeichnete er als schwierig. Es bestehe die Gefahr einer Spaltung. Die vorwiegend im Norden angesiedelten Länder stünden mehrheitlich für Risikoreduzierung bei Wirtschafts- und Währungsfragen, der Süden hingegen für Risikoverteilung. „Hier stehen sich zwei grundverschiedene Erwartungshaltungen gegenüber“.

Hinsichtlich des wachsenden Erfolgs populistischer Parteien, der sich teilweise auch auf die Ablehnung des Euros und der WWU gründe, empfahl Wynands den Mitgliedstaaten, wieder mehr daran zu arbeiten, das Vertrauen ihrer Bürger zu gewinnen, wobei aber nicht nur die eigenen, sondern auch die Interessen der anderen EU-Länder im Auge zu behalten seien. „Eine neue deutsche Regierung kann in diesen Bereichen noch viel bewegen und gestalten und hat mit Frankreich wieder einen starken Partner“, sagte er abschließend mit Blick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen in Berlin.

INFO

Der EU-Vertrag von Maastricht schuf 1992 die Grundlage für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU).  Damals stand fest, dass nur die strikte Einhaltung der Stabilitätskriterien eine langfristige Stabilität der Gemeinschaftswährung gewährleisten kann. Dennoch hielten sich EU-Mitgliedstaaten im Laufe der Jahre in Sachen Haushaltsdefizit und staatlicher Gesamtverschuldungsrate nicht immer daran, Deutschland nicht ausgeschlossen.  Auch die Europäische Kommission steht in der Kritik, ihrer Aufsichtsfunktion nicht rigoros genug nachgekommen zu sein. Als Konsequenz aus der Euro- und Staatsschuldenkrise, die aus der weltweiten Bankenkrise der Jahre 2007 bis 2009 hervorging, entwickelten die Eurozonenländer verschiedene Mechanismen, Verfahren und Systeme, um einer erneuten Krise entgegenzuwirken, die im nachstehenden Menü aufgeführt sind. 

 

Stationen auf dem Weg zu einer stabileren Gemeinschaftswährung seit der weltweiten Finanzkrise:

2010
Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM)
Der EFSM war ein EU-Gemeinschaftsinstrument. Er steuerte zu dem im Jahr 2010 errichteten temporären Euro-Schutzschirm 60 Milliarden Euro bei. Der deutsche Finanzierungsanteil entsprach dem Anteil am EU-Haushalt in Höhe von rund 20 Prozent. Mit der Ablösung durch den permanenten im Jahre 2012 geschaffenen ESM fiel der EFSM ersatzlos weg.

Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF)
Die EFSF war ein weiteres Element des bis Mitte 2013 befristeten Euro-Schutzschirms. Der dauerhafte ESM hat die EFSF im Jahre 2012 ersetzt. Die EFSF gewährte EURO-Mitgliedstaaten Finanzhilfen gegen klar definierte Auflagen, um deren Zahlungsfähigkeit zu sichern und damit die Finanzstabilität im Euroraum insgesamt zu schützen. Das Geld für die Kredite lieh sich die EFSF am Kapitalmarkt. Hierfür stellten die Euro-Länder anteilig Garantien bereit.

Europäische Semester für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik (Hyperlink)
Das 2010 eingeführte Europäische Semester stellt sicher, dass die Mitgliedstaaten ihre haushalts- und wirtschaftspolitischen Planung zu bestimmten, über das ganze Jahr verteilten Zeitpunkten mit den EU-Partnern erörtern. Auf diese Weise wird eine gegenseitige Überprüfung der Planungen ermöglicht, und die Kommission in die Lage versetzt, beizeiten politische Leitlinien vorzulegen, bevor auf nationaler Ebene endgültige Entscheidungen fallen. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten im Rahmen des Europäischen Semesters auf die in der langfristigen Wachstumsstrategie der EU „Europa 2020“ festgelegten Ziele hinarbeiten.
Das Europäische Semester soll:  

  • dazu beitragen, Konvergenz und Stabilität in der EU sicherzustellen

  • dazu beitragen, solide öffentliche Finanzen zu gewährleisten

  • das Wirtschaftswachstum fördern

  • übermäßige makroökonomische Ungleichgewichte in der EU verhindern

  • die Strategie Europa 2020 umsetzen

2011
Euro-Plus-Pakt
(Hyperlink)
Der Euro-Plus-Pakt ist eine Vereinbarung zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten durch engere Zusammenarbeit und Angleichung der makroökonomischen Strukturen in den Bereichen Wirtschaft, Sozialpolitik, Ausbildung, Steuern, Renten und Haushalt. Beteiligt am Euro-Plus-Pakt sind nicht nur die 17 Eurostaaten, ihm haben sich auch EU-Staaten (deshalb »Euro-plus-Pakt«) angeschlossen, welche den Euro (noch) nicht eingeführt haben (Bulgarien, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien) bzw. dies durch Regelungen im EU-Vertrag (»Opting out«-Klausel) ausgeschlossen haben (Dänemark und derzeit noch Großbritannien). Das zentrale Ziel des Euro-Plus-Pakts ist die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten nach innen und nach außen. Um dies zu erreichen, schlägt der Euro-Plus-Pakt u. a. eine Angleichung etwa in der Haushalts-, Renten- und Lohnpolitik vor.

Sixpack-Vereinbarung (Hyperlink)
Der verschärfte Stabilitäts- und Wachstumspakt enthält neue Regeln für die wirtschafts- und haushaltspolitische Überwachung. Bei diesen neuen Maßnahmen handelt es sich um fünf Verordnungen und eine Richtlinie. Die Neuerungen stellten die umfassendste Stärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung in der EU und im Euro-Gebiet seit dem Beginn der Wirtschafts- und Währungsunion dar. Im Einklang mit den beim Europäischen Gipfel vom 8. und 9. Dezember 2011 getroffenen Vereinbarungen ist das Gesetzgebungspaket bereits ein konkreter und entscheidender Schritt im Hinblick auf die Gewährleistung der Haushaltsdisziplin, die Stabilisierung der Wirtschaft und die Vermeidung einer neuen Krise in der EU.

2012
Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM
Der ESM hat am 8. Oktober 2012 seine Arbeit aufgenommen. Er sichert langfristig und nachhaltig das Vertrauen in die Stabilität der Eurozone. Sein Stammkapital beträgt 700 Milliarden Euro. Diese Summe teilt sich auf in 80 Milliarden einzuzahlendes Kapital und weitere 620 Milliarden Euro an Garantien. Der ESM hat Mitte 2013 den EFSF vollständig abgelöst. Er ist ein wichtiger Bestandteil des Gesamtpakets zur dauerhaften Stärkung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.

2014
Einheitlicher Bankenaufsichtsmechanismus (SSM)
Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM) bezeichnet das System der Bankenaufsicht in Europa. Es setzt sich aus der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden der teilnehmenden Länder zusammen. Die neue Bankenaufsicht soll die Sicherheit und Solidität des europäischen Bankensystems gewährleisten;  die Finanzintegration und -stabilität stärken und eine einheitliche Aufsicht sicherstellen. Der SSM ist neben dem Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism – SRM) eine der beiden Säulen der EU-Bankenunion.

2014/2015
Einheitlicher Bankenabwicklungsmechanismus (SRM)
Der einheitliche Abwicklungsmechanismus soll die ordnungsgemäße Abwicklung von ausfallenden Banken mit möglichst geringen Kosten für den Steuerzahler und die Realwirtschaft sicherstellen. Er ist der zweite zentrale Pfeiler der europäischen Bankenunion.

2015
Vorschlag: Europäische Einlagensicherung (EDIS)
Als möglicher dritter Pfeiler der Bankenunion gilt der umstrittene EDIS-Vorschlag, der auf dem System der nationalen Einlagensicherungssysteme aufbaut. Dieses System stellt bereits sicher, dass alle Einlagen bis zu 100.000 EUR durch nationale Einlagensicherungssysteme in der gesamten EU geschützt sind. EDIS soll einen stärkeren und einheitlicheren Versicherungsschutz im Euroraum gewährleisten. Dies würde laut Europäischer Kommission die Anfälligkeit nationaler Einlagensicherungssysteme gegenüber großen lokalen Schocks verringern und sicherstellen, dass das Vertrauen der Einleger in eine Bank nicht vom Standort der Bank abhängt und die Verbindung zwischen Banken und ihren nationalen Souveränen schwächt.

2016
Dienst zur Unterstützung von Strukturreformen (SRSS)
Der Dienst zur Unterstützung von Strukturreformen (SRSS) unterstützt EU-Länder bei der Entwicklung und Durchführung von Strukturreformen und ihren Bemühungen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und nachhaltigem Wachstum. Der SRSS koordiniert und bietet maßgeschneiderte Lösungen in Zusammenarbeit mit den zuständigen Kommissionsdienststellen. Die Unterstützung wird insbesondere durch das Programm zur Unterstützung von Strukturreformen (SRSP) bereitgestellt. Ziel ist es, den EU-Ländern dabei zu helfen, stärkere Steuerungsrahmen und effizientere öffentliche Verwaltungsstrukturen und Institutionen aufzubauen.

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter