Politik

"Gekifft wird über alle Parteigrenzen hinweg"

Trotzdem lässt der Gesetzentwurf der Ampel zur Legalisierung auf sich warten. Ein Gespräch über zögernde Minister, genossenschaftliche "Social Clubs" und die Anzahl privater Cannabis-Pflanzen


Eine Frau raucht einen Joint. Noch könnte sie deshalb Probleme bekommen, vor allem in Bayern.  Foto: Jochen Eckel/ imago

Eine Frau raucht einen Joint. Noch könnte sie deshalb Probleme bekommen, vor allem in Bayern. Foto: Jochen Eckel/ imago

Von Natalie Kettinger

München - AZ: Herr Gürpinar, bislang waren sich Linke und Ampel-Regierung zumindest in einem Punkt einig: Cannabis soll legalisiert werden. So steht es im Koalitionsvertrag, Ihre Partei hat dazu bereits vergangenen Sommer einen Gesetzentwurf vorgelegt. Auf den von Gesundheitsminister Karl Lauterbach wartet die Republik bis heute. Nun scheint es, als solle das Projekt - zumindest in Teilen - in die nächste Legislaturperiode verschoben werden. Enttäuscht?

ATES GÜRPINAR: Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits haben das Gesundheitsministerium und die Koalition erkannt, dass die Entkriminalisierung voranschreiten muss. Was den privaten Anbau und Besitz betrifft, wird jetzt offenbar verwirklicht, was wir schon im Juli 2022 eingefordert haben. Andererseits wird es bezüglich des Erwerbs und Verkaufs erstmal keine Legalisierung geben - nur in Modellregionen.

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Cannabis Demo Berlin, 22.04.2020 - Eine Frau raucht einen Joint waehrend einer Demonstration am 20.04, dem weltweiten Aktionstag fuer den legalen Marihuana-Konsum. Die Dermonstranten fordern eine Legalisierung und sofortige Entkriminalisierung von Cannabis Konsumenten in Deutschland. Berlin Berlin Deutschland *** Cannabis Demo Berlin, 22 04 2020 A woman smokes a joint during a demonstration on 20 04, the worldwide day of action for legal marijuana use The dermonstrators demand legalization and immediate decriminalization of cannabis users in Germany Berlin Berlin Germany

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Man hört, die Erkenntnisse aus diesen Regionen sollen vier Jahre lang ausgewertet werden.

Da soll etwas evaluiert werden, was längst bekannt ist.

Halten Sie eine solche Modellregion auch in Bayern für vorstellbar?

Natürlich wäre das möglich. Wenn solche Regionen ausgewiesen werden, könnte sich zum Beispiel München als Großstadt daran beteiligen. Aber so, wie ich unseren Gesundheitsminister Klaus Holetschek und die CSU kenne, werden sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Ich persönlich halte das für falsch, weil auch in Bayern Menschen leben, die progressiver sind, was die Drogenpolitik angeht.

Man hört, die Regierung mache sich Sorgen wegen europarechtlicher Vorgaben bezüglich des lizenzierten Verkaufs. Ein von der CSU in Auftrag gegebenes Gutachten sieht außerdem Probleme mit bestehenden UN-Übereinkommen. Wie bewerten Sie das?

Und ein Gutachten aus den Niederlanden kommt zu anderen Ergebnissen. Das Gesundheitsministerium und die Koalition stehen sich selbst im Weg, weil sie sich ständig Gedanken darüber machen, was die EU-Kommission womöglich sagt. Sie haben die Verantwortung abgegeben. Dabei schauen europaweit und darüber hinaus viele Staaten darauf, wie Deutschland die Legalisierung vorantreiben will. Die Regierung hätte einen Vorschlag machen sollen, und der wäre wohlwollend geprüft worden.

Was macht Sie da so sicher?

Es gibt ja bereits Länder, in denen die Entkriminalisierung von Cannabis umgesetzt wurde: Kanada oder Uruguay. In Europa sind Portugal und Malta auf einem sehr interessanten Weg, in den Niederlanden wurden auch schwierigere Erfahrungen gespiegelt. Sie alle verfolgen, wie wir als größtes Land Europas mit der Legalisierung umgehen. Und wenn immer mehr Länder in diese Richtung voranschreiten, wird auch die EU-Kommission nicht haltmachen.

Zurück zur ersten Phase: Der nicht kommerzielle Anbau und der Besitz von bis zu 30 Gramm sollen schneller erlaubt werden. Karl Lauterbach will Erwachsenen drei Hanfpflanzen pro Kopf zugestehen - Ihre Partei fordert vier bis sechs. Warum?

Wir haben uns mit dem Hanfverband und Leap beraten. Letztere ist eine Organisation von Personen, die sich beruflich im Recht bewegen, also von Anwältinnen und Anwälten, Richterinnen und Richtern und so weiter. Deren Vorschläge waren weitergehend als die drei Pflanzen, die wohl im lauterbachschen Gesetz stehen werden.

Der Vorstoß bedeutet also nicht, dass bei der Linken mehr gekifft wird als bei der SPD?

Das wage ich nicht einzuschätzen. Ich denke, gekifft wird über alle Parteigrenzen hinweg und durch alle Wählerinnen- und Wähler-Schichten hindurch.

In Ihren Forderungen ist auch von "Cannabis Social Clubs" die Rede. Nach allem, was man bisher erfahren hat, findet man die auch in der Regierung gut. Was hat es damit auf sich?

Zuerst einmal freuen wir uns, dass die Idee Eingang in die Vorschläge der Koalition gefunden hat. Es geht dabei um eine Art genossenschaftliches Modell: die Möglichkeit, Cannabis gemeinsam anzubauen, das dann jeder, der mitmacht, nutzen kann. Es ist aber explizit nicht zum Verkauf gedacht. Für uns Linke ist dieses Konzept besonders sinnvoll, weil es zwei wichtige Aspekte beinhaltet: Der Konsum ist mit einer höheren Wahrscheinlichkeit weniger gesundheitsschädlich, weil nichts beigemengt wird. Bei illegalen Produkten kann man ja nie sicher sein, was wirklich drinsteckt. Außerdem geht damit keine Profitorientierung einher, die es im Drogenbereich grundsätzlich nicht geben sollte.

Thema Gesundheit: Die Linke will Cannabis bereits für 18-Jährige freigeben. Experten warnen jedoch, das menschliche Gehirn sei erst im Alter von 25 Jahren voll entwickelt. Läuft man nicht Gefahr, den Heranwachsenden zu schaden?

Deshalb brauchen wir Aufklärung, die schon in der Schule stattfindet, und in der Sozialarbeit. Aber in dem Moment, in dem ein Mensch alle Pflichten erhält, soll er auch alle Rechte bekommen. Ob ich es nun gut finde oder nicht: Dazu gehört auch das Recht, sich im Zweifel selbst zu schädigen. Bei Alkohol und Tabak gilt das teilweise sogar schon früher.

Welche Vorteile - neben der Entlastung von Polizei und Justiz - sehen Sie noch, wenn Cannabis legalisiert wird?

Erstens werden dann auch Menschen entkriminalisiert, die abhängig sind. Es führt sie hinaus aus dem Teufelskreis, in dem sie sich befinden. Zweitens kann man über legalisierte Drogen besser aufklären, weil man offener und klarer über die Wirkung sprechen kann. Das wurde auch in anderen Ländern immer wieder als sinnvoller Effekt genannt. Drittens sind legalisierte Produkte weniger gesundheitsschädlich. Hinzu kommt der finanzielle Aspekt: Laut Hochrechnungen könnten die Mehreinnahmen für den Bund durch die Cannabis-Steuer rund 4,7 Milliarden Euro betragen.

Ein Problem bleibt bislang allerdings ungelöst: Bei Cannabis gilt - anders als bei Alkohol - im Straßenverkehr de facto eine Null-Toleranz-Politik. Und das, obwohl der Wirkstoff im Blut deutlich länger nachweisbar ist. Das passt nicht so richtig zum Legalisierungs-Gedanken...

Auch dazu haben wir bereits im letzten Jahr einen Antrag eingebracht. Bei Cannabis liegt die Grenze aktuell bei einem Nanogramm pro Milliliter Blutserum. Das ist ein Wert, der auch dann noch erreicht wird, wenn man schon sehr lange wieder fahrtüchtig ist. Wir fordern ähnlich der 0,5-Promille-Grenze beim Alkoholkonsum einen Toleranzgrenzwert von zehn Nanogramm THC pro Milliliter. Leider blockiert das Verkehrsministerium.

Zurück zum Anfang: Von der Cannabis-Legalisierung ist die Rede, seitdem SPD, Grüne und FDP an der Regierung sind. Bis jetzt ist nichts passiert. Wann wird die Entkriminalisierung Realität?

Ich hoffe zeitnah, vielleicht bis zur Sommerpause. Allerdings hat Karl Lauterbach schon immer viel versprochen und angekündigt, seinen Zeitplan aber noch nie eingehalten. Doch die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.