Suhl - Hinterher mochte oder konnte die Dietzhäuser Autorin Ursula Schütt eine leichte Enttäuschung nicht völlig verbergen. Denn in der Bibliothek waren am Freitagabend zur Lesung des Südthüringer Literaturvereins einige Plätze mehr frei geblieben als in den vergangenen beiden Jahren, als die Vereinsmitglieder auch schon zum Thüringer Tag der Literatur einen Querschnitt ihres kreativen Schaffens vorgestellt hatten. Und der Verein hatte auch diesmal wieder im Vorfeld mächtig für die Lesung getrommelt. Möglich, dass Cindy aus Marzahn im CCS einiges Publikum abgeschöpft hat. Andererseits: Ein langer und warmer Applaus sorgte auch in der Bibliothek für einen versöhnlichen Abschluss.

Zuvor trugen zwölf Vereinsmitglieder um ihren Vorsitzenden Holger Uske aus Suhl vor, was sie sich im kreativen Austausch oder in einsamer Stille von der Seele geschrieben hatten. Nicht nur Texte der letzten zwölf Monate darunter, sondern auch ältere Stücke. Der Verein hat schließlich eben ein Jubiläum begangen und blickte deshalb nicht nur auf zwanzig Jahre deutsche Einheit zurück, sondern auch auf zwanzig Jahre Vereinsgeschichte. Trotzdem gab's statt Selbstbeweihräucherung im neuen Programm "Lösungsmodell mit Rest" eher Zeitkritisches von damals wie heute zu hören. "Die Fürsten gehen nun zu Fuß/Wende/Üben ihre Diener" hieß es etwa in Uskes Gedicht "Zeit-Bild, November 1989".

Natur und Fabelhaftes

In seinem kurzen Gedicht "Fragen" beschäftigte sich Horst Wiegand aus Steinheid mit dem Thema, wie viel Ausbeutung der Mensch der Erde zumuten kann - oder besser, wie viel Ausbeutung sich die Erde vom Menschen zumuten lässt. Mit einer guten Portion Hintersinn, dazu aber gewürzt mit etwas Satire, gefielen auch die knackigen Fabeln von Ursula Schütt. In "Regieren" verkauft die Regierung ungelegte Eier, weil die Vogelgrippe alle Hühner dahingewürzt hat. Während in "Irreparabel" der Fehler des Systems ist, dass die Nimmersatten an Herzversagen das Zeitliche segneten - und trotzdem umher laufen. Da kann auch Gottes Gelber Engel so schnell nichts reparieren.

Auch für längere Geschichten nahmen sich die Vereinsmitglieder Zeit. Ulrike Blechschmidt aus Zella-Mehlis las Erzählung einer Backbuch-Autorin, die mit einem fremden Mann eine Nacht verbringt - obwohl sie zunächst "um nichts in der Welt" auf die einzelnen Annäherungsschritte einzugehen gedenkt.

Raffiniert garniert Blechschmidt diese Erzählung mit allerlei Metaphern aus der Welt des Schlemmens. An ein schweres Stück deutscher Nachkriegsgeschichte voller Armut und Not erinnerte dagegen der Text "Reise in die BRD" von Brigitte Störmer, den Heidi Büttner vortrug.

Neue Anthologie

So zeigte der Abend das kreative Potenzial des Südthüringer Literaturvereins. Und bot mit dem Multi-Instrumentalist Martin Wenzel aus Bamberg und seinen Klangcollagen mit Percussion, Kontrabass, Gitarre und Keyboard auch musikalisch allerhand. So schaffte es Wenzel spielend, aus dem Olsenbande-Thema improvisierend bei Beethovens Neunter mit der "Freude schöner Götterfunken" zu landen. Und der Verein konnte jenen helfen, die angesichts der Fülle von fast 30 Texten über die eine oder andere Zeile länger nachgegrübelt hätten. Denn die Texte sind in der Anthologie "Lösungsmodell mit Rest" enthalten, die zum Auftritt in der Bücherei fertig wurde und die über den Literaturverein erhältlich ist.