Die Fragen stellte Nikolaos Gavalakis.

Deutschland will nun nach wochenlanger Debatte der Ukraine doch Leopard-2-Kampfpanzer liefern sowie anderen europäischen Ländern die Genehmigung für die Lieferung erteilen. Eine richtige Entscheidung?

Aus meiner Sicht ist es die einzig logische Entscheidung. Ich glaube, es war auch der Bundesregierung schon länger klar, dass es weniger um die Frage der militärischen Sinnhaftigkeit und der Folgerichtigkeit aufgrund der bisherigen Entwicklung des Krieges ging, als um die Frage, wie man das politisch einbettet.

Ist die transatlantische Panzerallianz ein Erfolg für die deutsche Bundesregierung und Kanzler Scholz?

Das Taktieren der Bundesregierung hat Vertrauen gekostet. Aber es hat am Ende zu einem guten Ergebnis geführt. Ob Preis und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, wird man abschließend erst mit etwas Abstand beurteilen können.

Wie entscheidend ist der Einsatz der Leopard-Panzer auf ukrainischer Seite für den Kriegsverlauf der nächsten Monate?

Die Entscheidung gegen die Bereitstellung der Panzer hätte den Kriegsverlauf wahrscheinlich sehr negativ beeinflusst. Es gibt ein Problem mit der Entwicklung der letzten zehn Monate: Man hat zwar kontinuierlich aus den eigenen Beständen die Ukraine unterstützt, wir haben aber nicht gleichzeitig angefangen, nachzuproduzieren. Das heißt, die Menge an Material, die geliefert werden kann, wird kontinuierlich aufgebraucht. Daher war es notwendig, von altem sowjetischem Material überzugehen zur Lieferung auch westlicher Waffen. Das ist die eine logische Schlussfolgerung. Und die andere, die noch aussteht, ist: Wir müssen auch in die Produktion von Kriegsmaterial gehen, weil wir alle nicht wissen, wie lange dieser Krieg dauert. Und wenn es dabei bleibt, dass wir die Ukraine so lange unterstützen, wie es notwendig ist, dann wird das nicht gehen, ohne dass man auch anfängt, zu produzieren, so dass man auch in Zukunft noch liefern kann.

Der Gordische Knoten wurde erst durch die Zusage der USA gelöst, ihrerseits Abrams-Panzer an die Ukraine zu liefern. Statt dass Berlin, Paris und London gemeinsam voranschreiten, hat es die Rückversicherung aus Washington gebraucht. Wie eigenständig ist Europa in militärischen Angelegenheiten?

Europa ist in militärischen Angelegenheiten nach wie vor kaum eigenständig, weil die europäischen Armeen durch die Entwicklung der letzten 30 Jahre so schwach geworden sind, dass sie nicht mehr selbstständig in der Lage sind, die europäische Sicherheit zu gewährleisten. Das wirkt sich natürlich in so einer Situation aus. Es bedeutet, dass es offensichtlich ein starkes strategisches Interesse gibt, kein sicherheitspolitisches De-Coupling von den USA zu riskieren. Und es scheint ja auch der eigentliche Sinn des politischen Handelns von Olaf Scholz gewesen zu sein, dass man genau das ausschließen wollte.

Wie stark erhöht die Leopard-Lieferung das Risiko einer militärischen Eskalation im Krieg mit Russland?

Ich sehe da keine sehr große Gefahr. Die Russen haben bereits militärisch eskaliert. Sie sind bereit, Kriegsverbrechen zu begehen, um ihre militärischen Ziele zu erreichen. Durch die Lieferung der Leopard-Panzer ist keine qualitative Veränderung eingetreten. Warum ein Staat in einem höheren Maße Kriegspartei sein soll, wenn er Kampfpanzer liefert, als wenn er Flakpanzer liefert, hat sich mir nie erschlossen.

Die westliche Allianz sollte die Ukraine darin unterstützen, ihre territoriale Integrität in vollem Umfang wiederherzustellen.

Wie geht es nun weiter? Von einigen Stimmen wird bereits die Lieferung von Kampfflugzeugen und Militärschiffen gefordert.

Welche Debatten und welche Fragen sich noch stellen, ist natürlich abhängig von der militärischen Entwicklung im Kriegsgebiet. Klar ist, man muss potentielle Waffenlieferungen immer abhängig machen von den militärischen Zielen, die erreicht werden sollen. Wenn der Grundsatz ist: Wir wollen der Ukraine helfen, sich zu verteidigen, in dem Sinne, dass sie auch in die Lage versetzt wird, ihre territoriale Integrität wiederherzustellen, dann braucht sie Waffen, mit denen sie auch in der Lage ist, besetztes Territorium wieder zu befreien. Das ist ein Akt der Verteidigung, kein Akt der Aggression. Das bedeutet aber wiederum, dass sie Waffen haben muss, die geeignet sind, um die feindlichen Streitkräfte aus ihren Stellungen zu werfen. Dazu gehören selbstverständlich die Kampfpanzer, von denen wir jetzt gesprochen haben. Dazu gehört im Rahmen einer Gegenoffensive aber auch die Fähigkeit, die Luftüberlegenheit zu erringen. Ob das eine Debatte über Kampfflugzeuge erforderlich macht, kann ich schwer beurteilen. Aber dass es taktisch notwendig ist, dass, wenn man eine Gegenoffensive durchführen will, man es nicht mit einem Feind zu tun haben darf, der die Luftüberlegenheit hat, scheint mir nur logisch zu sein. All das muss man bedenken, wenn man eine Entscheidung trifft.

Welches Ziel sollte die westliche Allianz verfolgen?

Meines Erachtens sollte die westliche Allianz die Ukraine darin unterstützen, ihre territoriale Integrität in vollem Umfang wiederherzustellen. Das bedeutet, dass Russland diesen Krieg verloren hat, dass alle seine Opfer und Anstrengungen und seine Verbrechen umsonst gewesen sind. Und das scheint mir auch der Begriff Verteidigung auszusagen.

Also Rückeroberung aller Gebiete inklusive Krim?

Grundsätzlich ja, völkerrechtlich gehören die Krim und die besetzten Gebiete im Donbass dazu. Ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass der Krieg bis an den Punkt ausgefochten wird, an dem die ukrainischen Streitkräfte an die Staatsgrenzen vorgerückt sind.

Müssen wir uns auf einen langjährigen Krieg in der Ukraine einstellen?

Wir müssen uns zumindest auf die Möglichkeit eines langjährigen Krieges einstellen. Die Entscheidung, wie lange dieser Krieg noch geht, fällt am Ende in Moskau. Dort wird irgendwann die Güterabwägung stattfinden, ob es sich noch lohnt, diesen Krieg fortzusetzen, oder ob es nicht sinnvoll wäre, die verlustreichen Kämpfe zu beenden. Solange wir durchhalten, wird diese Entscheidung am Ende in Moskau fallen. Es ist jedoch schwer vorherzusagen, wann der Punkt erreicht ist, an dem es in der russischen Führung ein Umdenken gibt.