Die Welt schaut gebannt auf Donald Trump, der den amerikanischen Vorwahlkampf mit seinen Provokationen beherrscht. Was wäre, wenn der selbsterklärte Milliardär tatsächlich ins Weiße Haus einziehen könnte? Würde Muslimen die Einreise in die USA schlicht verwehrt, wie er großspurig ankündigt? Noch ist selbstverständlich nichts entschieden; vielleicht findet sich unter den immer noch zahlreichen Republikanischen Kandidaten noch ein „Anti-Trump“, der die Unterstützer der anderen auf sich vereinigen kann. Oder das Partei-Establishment fasst auf dem Parteitag in die Verfahrenstrickkiste. Und ohnehin: Den Demokraten werden größere Chancen auf den Gewinn der Präsidentschaft vorhergesagt.

Tatsächlich ist Trump ohnehin nur die gegenwärtige – wenn auch besonders besorgniserregende – Form eines Phänomens, das die USA schon seit langer Zeit prägt. Warum gibt es in den USA keinen Sozialismus, war eine klassische Frage der Amerikanistik. Und 2004 fragte der Publizist Thomas Frank in seinem Bestseller „What’s the matter with Kansas?“, warum insbesondere weiße Amerikaner ohne College-Abschluss beziehungsweise solche mit geringen Einkommen so oft gegen ihre eigenen ökonomischen Interessen abstimmen. Die klassischen Antworten wie die vom amerikanischen Traum des individuellen Aufstiegs entbehren heute zunehmend ihrer materiellen Grundlage oder sind unterkomplex wie Franks Verweis auf „falsches Bewusstsein“. Doch die massenhafte Zustimmung für Donald Trump – zumindest an der Republikanischen Basis (41 Prozent gegenüber 14 Prozent für seinen nächsten Verfolger, Ted Cruz) – scheint der klassischen Konstellation zu entsprechen: Was haben die fast ausschließlich weißen, überwiegend nicht wohlhabenden Republikaner von einem egozentrischen Geschäftsmann und TV-Star zu erwarten, welcher sich vor allem durch drastische verbale Schüsse aus der Hüfte auszeichnet?

Am Beispiel der Außenpolitik, welche in der Republikanischen Debatte vom 15. Dezember angesichts der gestiegenen terroristischen Bedrohung einen großen Stellenwert hatte, kann gezeigt werden, warum für einen großen Teil der Amerikaner (Trump erzielt ja auch gute Werte in den fiktiven Duellen gegen die Demokratischen Kandidaten) die Unterstützung Trumps durchaus nicht einfach als irrational zu bezeichnen ist. Für die klassische Außenpolitik interessieren sich die Wähler dabei kaum, auch wenn es sicherlich Menschen gibt, die von den taffen Kampfansagen gegenüber dem Islamischen Staat, mit denen sich die Kandidaten überboten, angesprochen werden. Insbesondere Ted Cruz versuchte sich mit seiner Ankündigung von „carpet bombing“ als Kriegspräsident in spe – aber auch Trump, Ben Carson und Marco Rubio gingen lässig über die Beeinträchtigung von Zivilbevölkerungen hinweg.

Die Schlüssel für Trumps Beliebtheit liegen eher in den Bereichen Immigration und Globalisierung. Erfolg hat eine „Politik der Angst“.

Die Schlüssel für Trumps Beliebtheit liegen aber eher in den Bereichen Immigration und Globalisierung. Erfolg hat eine „Politik der Angst“. Dabei sind gesellschaftspolitische Veränderungen wie zum Beispiel die Homo-Ehe nicht länger entscheidend, aber die Angst vor wirtschaftlichem und sozialem Abstieg und dem „Anderen/Fremden“ kann mobilisiert werden und wahlentscheidend sein. Nativismus gehört zum ideologischen Gründungsrepertoire der „Grand Old Party“ der Republikaner. Schwarze Amerikaner und Latinos haben herausfinden müssen, dass sie aus dieser Perspektive für viele nach wie vor „andere“ sind. Aber Trump macht mehr, als nur auf diese Instinkte zu setzen. Stärker als alle seine Republikanischen Konkurrenten (und auch stärker als Hillary Clinton) setzt er sich von dem Jahrzehnte lang de facto herrschenden Elitenkonsens ab, der besagt, dass Globalisierung in allen ihren Formen zu begrüßen ist: freier Handel mit Gütern und Dienstleistungen, auch wenn die amerikanischen Industriearbeitsplätze dadurch verschwinden; freier Kapitalverkehr, auch wenn dadurch noch mehr Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern; Immigration, auch nicht-dokumentierte, auch wenn dadurch die Konkurrenz um niedrig qualifizierte Jobs und bezahlbaren Wohnraum steigt. Pat Buchanan, wie Trump eine Medienfigur, hat in den 1990er Jahren mehrfach versucht, in den Republikanischen Vorwahlen auf ähnliche Weise zu punkten – die Zeit war noch nicht reif dafür.

Es ist nicht so, dass Weiße ohne Collegeabschluss und/oder mit niedrigen Einkommen deutlich negativer von diesen Entwicklungen betroffen wären als Afro-Amerikaner und Latinos. Sie sehen allerdings zusätzlich ihre traditionellen politischen und sozialen Vorteile schwinden, ihre kulturelle Vorherrschaft, ihre Identität als prägende Kraft in den USA. Die Wahl Barack Obamas personifizierte diesen gefühlten Abstieg, und die demographische Entwicklung hin zu einer „Majority Minority Society“, also einer Gesellschaft, in der die Summe der Minderheiten größer ist als die Zahl der größten Einzelgruppe, der Weißen, prognostiziert für einen Zeitpunkt irgendwann zwischen 2040 und 2050, verstärkt dieses Gefühl. Aktuell findet eine Debatte statt über die Ursachen einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands von Weißen, insbesondere Männern, im mittleren Alter und mit geringen und mittleren Einkommen. Die weiße Arbeiterklasse leidet, und es sind nicht die Demokraten, die sie mobilisieren, um ihre sozioökonomische Lage zu verbessern – wenn Bernie Sanders gegen die Wall Street wettert, ist er ein Außenseiter in einer grundsätzlich wirtschaftsfreundlichen Partei, die den Liberalisierungs- und Deregulierungskurs mehr als nur mitgetragen hat. Stattdessen ist es der großmäulige Populismus des „Making America great again“ des Donald Trump, der diesen Menschen die Seele streichelt, ähnlich wie die Tea Party dies auf sozialpolitischem Gebiet vermochte – die Gesundheitsreform wurde bekanntlich auch von denen leidenschaftlich abgelehnt, für die sie eine Verbesserung bedeutete, auch weil auf keinen Fall „die anderen“ begünstigt werden sollten.

Selbstverständlich hat der ökonomische Populismus des Donald Trump seine Grenzen; von ihm ist weder eine nachhaltige Reform der sozialstaatlichen Programme noch eine gerechte Besteuerung zu erwarten.

Selbstverständlich hat der ökonomische Populismus des Donald Trump seine Grenzen; von ihm ist weder eine nachhaltige Reform der sozialstaatlichen Programme noch eine gerechte Besteuerung zu erwarten. Und er würde vermutlich auch nicht die Grenzen für alle Muslime schließen (auch wenn er das als Präsident nach aktueller Gesetzeslage wohl tatsächlich könnte!). Insbesondere der Wirtschaftsflügel der Republikaner ist trotzdem geschockt und zwar nicht wegen der ständigen Provokationen oder dem Anti-Intellektualismus, der in der Partei durchaus Tradition hat. Aber das Establishment hat aus der Auseinandersetzung mit der Tea Party und anderen Bewegungskonservativen gelernt und wird alles daran setzen, Trump zu verhindern. Die Entwicklung der Republikaner zu einer Partei der Weißen ist dennoch kaum aufzuhalten.