Nachdem Monate verstrichen sind, ohne dass von Seiten der Politik ein klares Konzept zur Bewältigung der Flüchtlingskrise vorgelegt worden wäre, kamen vergangenen Freitag endlich hochrangige Vertreter aus 24 Ländern zusammen, um einen Ausweg zu finden. Mehr als warme Worte produzierte der Gipfel allerdings nicht: Das vom Gastgeber vorgeschlagene Abschlussdokument, das gleichermaßen den Schutz der Flüchtlinge wie die Unterbindung »irregulärer Migration« und die Verfolgung von Menschenschmugglern betonen sollte, fand keine Mehrheit. »Wir haben diskutiert, sind aber zu keiner Einigung gekommen«, gab ein hochrangiger Diplomat zu. Deutlichere Worte fand ein anonym bleibender UN-Vertreter: Im Grunde gehe es den betroffenen Ländern nur um eine Informationskampagne zur Abschreckung, weder um Hilfe für Flüchtlinge in Seenot noch um humanitäre Hilfe.

Falls Sie sich wundern sollten, dass Sie von diesem bedeutenden Flüchtlingsgipfel nichts mitbekommen haben: Er hat tatsächlich stattgefunden – in Thailand. Für kurze Zeit im Frühjahr dominierte die südostasiatische Flüchtlingskrise auch deutsche Schlagzeilen. Damals trieben mehrere tausend Bootsflüchtlinge aus Myanmar und Bangladesch, großteils Angehörige der muslimischen Volksgruppe der Rohingya, teilweise wochenlang schutzlos in der Andamanensee. Indonesien und Malaysia nahmen die Menschen schließlich vorübergehend auf, nachdem Thailand und die beiden Länder sie zuerst über Wochen brutal von ihren Küsten ferngehalten hatten. Hunderte sollen dabei ums Leben gekommen sein.

Die Krise vom Frühjahr war in ihrem Ausmaß – rund 25.000 Menschen machten sich von Januar bis März in Booten auf den Weg – und in ihrer Dramatik außergewöhnlich. Was zugleich die Tatsache unterstreicht, dass man in Europa nur in Ausnahmefällen von den Flüchtlingen in Südostasien hört. Das mag Medienmechanismen und Aufmerksamkeitsökonomie geschuldet sein, aber wohl auch der Religion.

Als Opfer religiöser Diskriminierung finden Muslime in unseren Medien selten Erwähnung. Ganz im Gegensatz zu Christen, deren ideologisch motivierte Unterdrückung und Verfolgung in vielen Ländern – zu Recht – regelmäßig angeprangert wird. Ebenso regelmäßig heißt es dann, dass »Christen die Religionsgruppe sind, deren Angehörige am häufigsten verfolgt werden« (Volker Kauder mit Bezug auf Papst Benedikt XVI). Aber trifft das zu?

Hier zu widersprechen, zieht unweigerlich den Verdacht auf sich, eine Aufrechnung von Opferzahlen vornehmen zu wollen. Tatsächlich geht es um eine Horizonterweiterung: Denn das Schicksal der Rohingya oder der muslimischen Uiguren in China sollte nicht weniger berichtens- und beachtenswert sein als dasjenige der Kopten oder der christlichen Aramäer in der Türkei.

Dem Westen werden, was die Anprangerung von Christenverfolgung betrifft, oft Doppelstandards vorgeworfen – tatsächlich hat die islamische Welt durchaus ihre eigenen. Um so mehr sollte dies ein Grund sein, religiöse Diskriminierung unabhängig von der Konfession der Betroffenen anzuklagen.

In der muslimischen Welt ist es gewissermaßen genau umgekehrt: Die Rohingya etwa sind dort ein Dauerthema, insbesondere seit 2012, als die Stimmung gegen sie in Myanmar immer drastischer wurde und viele aus Angst um ihr Leben die Flucht ergriffen. Nur etwa zwei Prozent der Birmesen sind Rohingya, dennoch werden sie seit Jahrzehnten eklatant diskriminiert. Sie unterliegen Beschränkungen beim Reisen, Heiraten und Kinderkriegen und wurden immer wieder Opfer von Pogromen, 138.000 leben unter Zwang in Lagern. Rangun erkennt ihnen nicht einmal die Staatsbürgerschaft zu: Die 1,1 Millionen Rohingya besitzen keinen Pass, sondern eine sogenannte White Card, auf der vermerkt ist: »Der Inhaber ist kein Staatsbürger von Myanmar.« Gleich zwei Studien kamen vor wenigen Wochen zu dem Schluss, die Behandlung der Rohingya im buddhistisch geprägten Myanmar komme einem Genozid gleich. Ob sich daran nach dem Wahlsieg Aung Sang Suu Kyis Anfang November etwas ändert, bleibt <link regionen asien artikel detail darf-diese-frau-regieren-1130>abzuwarten – bislang hielt die Friedensnobelpreisträgerin sich zum Thema Rohingya bedeckt.

Ein weiteres Thema, das im Sommer 2015 starke Emotionen bei Muslimen schürte, waren die Repressionen gegen die Uiguren. Das Turkvolk in Chinas Nordwestprovinz Xinjiang, die 1955 Teil der Volksrepublik wurde, gilt bis heute als illoyal und wird dementsprechend streng überwacht. Zugleich siedelt die Regierung Han-Chinesen in Xinjiang an, die etwa in der Provinzhauptstadt Ürümqi bereits drei Viertel der Bevölkerung stellen. Widerstand von Seiten der uigurischen Unabhängigkeitsbewegung hat Peking im Gefolge der Terroranschläge von 2001 recht erfolgreich pauschal als islamistischen Terrorismus <link kolumne artikel der-islamische-separatismus-der-keiner-ist-511>deklariert. Mit ähnlicher Argumentation wurden im Sommer 2015 zahlreiche Uiguren an der Teilnahme am Fastenmonat Ramadan gehindert.

Wie dieses Beispiel aber auch zeigt, eignet sich die Verfolgung religiöser Minderheiten anderswo auch in muslimischen Ländern vorzüglich dazu, von innenpolitischen Missständen abzulenken. Etwa in der Türkei, wo die – von manchen Medien überzogen dargestellte – Diskriminierung während des Ramadan sowie die Auslieferung von rund 100 Uiguren durch Thailand nach China genügte, um die Volksseele überkochen zu lassen: Mit dem Ergebnis, dass Demonstrationen vor dem thailändischen Konsulat zu Übergriffen gegen irgendwie asiatisch aussehende Touristen eskalierten.

Dem Westen werden, was die Anprangerung von Christenverfolgung betrifft, oft Doppelstandards vorgeworfen – tatsächlich hat die islamische Welt durchaus ihre eigenen. Um so mehr sollte dies ein Grund sein, religiöse Diskriminierung unabhängig von der Konfession der Betroffenen anzuklagen. Dies wäre auch Basis einer verantwortungsvollen Berichterstattung und mithin Teil der öffentlichen Aufgabe der Medien, in welchem Land auch immer: Pauschalurteilen entgegenzuwirken und differenzierte Bilder zu zeichnen. Gerade beim Thema Religion scheint dies schwerzufallen.

Für uns bedeutet dies, dass wir stärker wahrnehmen sollten, in welcher Weise gerade auch Muslime unter den derzeitigen Verwerfungen im Nahen Osten samt ihrer globalen Auswirkungen zu leiden haben. Im Irak äußerten sich die bürgerkriegsähnlichen Phasen, aber auch staatlich sanktionierte Politik in den vergangenen zehn Jahren immer wieder in Form konfessioneller Verfolgung. Zahllose sunnitische ebenso wie schiitische Iraker wurden und werden unterdrückt, entführt, ermordet. Der Aufstand in Syrien hat sich in ebensolcher Weise (und unter tätiger Mithilfe des Regimes) in einen Konfessionskonflikt verwandelt. In Bahrain und Saudi-Arabien sind Schiiten diskriminiert, in Iran Sunniten, in der Türkei Aleviten.

Aber natürlich gibt es religiöse Minderheiten, die es noch wesentlich härter trifft, etwa die Bahá’í. Und Hand aufs Herz: Haben Sie vor 2014 schon einmal von den Jesiden gehört? Die kleine, alte religiöse Gemeinschaft im Nordirak litt schon unter Saddam Hussein unter Repressionen und auch schon vor ihm. Aber auch islamische Kleingruppen sind besonders bedroht, beispielsweise die Ahmadiyya. Deren Angehörigen wurde in Pakistan 1974 offiziell die Zugehörigkeit zum Islam abgesprochen, was sie dort extrem verwundbar für Attacken seitens radikaler Gruppen macht.

Dies beschreibt ein fundamentales – beziehungsweise fundamentalistisches – Problem des Islams: Ganz anders als die Rede von der »umma«, der weltweiten islamischen Gemeinschaft, suggeriert, franst der Islam an seinen Rändern stark aus. Es gibt viele Gruppen, deren Zugehörigkeit zur islamischen Religion unklar oder umstritten ist; teilweise seit langem, teilweise erst seit jüngerer Zeit. Die Popularisierung des »takfir«, des »Für-ungläubig-Erklärens«, durch militante Gruppen vor allem im 20. Jahrhundert hat dazu beigetragen. Denkt man diese Entwicklung zu Ende, ist irgendwann kein Muslim mehr vor religiöser Verfolgung sicher: Es wird sich immer eine Gruppe finden, die sein Verhalten für nicht islamisch genug erachtet.

Muslime als Opfer, dieser Topos hat sich hierzulande noch nicht durchgesetzt. Er würde aber helfen, nicht nur Vor- und Pauschalurteilen den Wind aus den Segeln zu nehmen, sondern auch eine gemeinsame Position gegen Diskriminierung und Radikalisierung zu stärken.