Märchenhaft bis schweißtreibend: Leben auf einem Schloss

Das Leben auf einem Schloss ist heute nicht nur Idylle, denn der Erhalt des Baudenkmals bringt viel Arbeit mit sich. Eine Familie erzählt, was sie antreibt.

Die alte Treppe am Steilhang ist lange niemand mehr hinaufgestiegen. Efeu wächst auf den Stufen und rankt armdick an einer gut zehn Meter hohen Steinmauer. Oben steht ein kleines gusseisernes Tor, über dem ein Wappen in die Mauer eingelassen ist. „1784“ ist dort zu lesen. Es ist der fast vergessene Seiteneingang von Schloss Hochhausen – eine der vielen Ecken auf dem Anwesen, an denen es Geschichte zu entdecken gibt, wo aber auch viel Arbeit wartet. Denn Leben auf einem Schloss bedeutet auch, das Baudenkmal instand zu halten.

Dieter von Helmstatt ist in dem Schloss am Neckar aufgewachsen. Das Gebäude ging aus einer mittelalterlichen Burg hervor und wurde 1752 im Stil des Spätbarocks umgebaut. Seitdem ist es im Familienbesitz. Immer an Dieter von Helmstatts Seite ist Ehefrau Monique, die vor 40 Jahren aus Brüssel hierher aufs Land kam. Beide sind Anfang 70 und leben auf dem etwa 900 Quadratmeter großen Schloss, das von einem Park umgeben ist. Oft sind Besucher da, denn das Schloss ist auch ein Gästehaus.

Schloss Hochhausen: Außenansicht mit Terrasse. (Foto: Christina Bock)
Das barocke Schloss in Hochhausen am Neckar ging aus einer mittelalterlichen Burg hervor.
(Foto: Christina Bock)

Leben auf dem Schloss: vielfältige Aufgaben

Jeden Morgen planen Monique und Dieter von Helmstatt, was zu tun ist. Sie machen nahezu alles selbst. Sich gut zu organisieren sei wichtig, sagen sie. Muss etwas repariert werden? Sind Gästezimmer zu richten? Tropft einer der vielen Wasserhähne? Gestern machte die Zentralheizung, die mit Hackschnitzeln aus dem schlosseigenen Wald betrieben wird, Probleme. Das ließ sich zum Glück schnell beheben. Das Paar ist sparsam mit dem Heizen, denn Wärme geht in den hohen Räumen schnell verloren. „Die Heizkörper drehen wir in den Zimmern erst auf, wenn Gäste kommen.“

Im Park müssen zwei Hektar Wiesen, Baumstücke, Blumenbeete und Wege gepflegt werden. Auf dem Kiesweg vor der Terrasse liegt ein halb zersägter Baum, der darauf wartet, in handliche Scheite gespalten zu werden. Doch Dieter von Helmstatt geht zuerst in den Gemüsegarten, den er in einer sonnigen Ecke des Parks angelegt hat. Dort wachsen Kartoffeln, Karotten und Bohnen. „Ich freue mich auf die Ernte und auf das gemeinsame Kochen mit meiner Frau“, sagt er. „Das Gärtnern ist für mich in diesem Fall mal keine Pflicht, sondern Hobby.“

„Vieles habe ich mir bei Fachleuten, die hier etwas repariert haben, abgeschaut.“

Schlossherr Dieter von Helmstatt

Alles, was das Ehepaar von Helmstatt rund um das Schloss können muss, hat es sich selbst beigebracht. „Lernen durch Handeln“ lautet die Devise. „Ich habe keine Ausbildung zum Handwerker, Buchhalter oder Gärtner“, sagt der Schlossherr. „Vieles habe ich mir bei Fachleuten, die hier etwas repariert haben, abgeschaut.“ Außer handwerklichem Geschick brauche es auch eine Portion Lässigkeit, wenn man mit einem so großen Anwesen glücklich sein will, meint Monique von Helmstatt. „Hier ist nicht alles perfekt. Da muss man ein Auge zudrücken.“

Im Mehrgenerationenhaus packen alle mit an

Lange war unklar, wie es mit dem Schloss weitergehen wird, weil das Paar keine Kinder hat. Dann trafen die von Helmstatts Simone und Norbert Hommrichhausen. Nach einer Kennenlernzeit zogen die heute 37-jährige Projektmanagerin und der 49-jährige Diplom-Mineraloge vor rund zehn Jahren von München aufs Hochhausener Schloss. Hier wachsen die Kinder der Hommrichhausens auf: Johannes, sieben Jahre, und Marie, drei. „Das Zusammenleben im Mehrgenerationenhaus funktioniert sehr gut“, sagt Simone Hommrichhausen, was die von Helmstatts, die ganz in ihrer Großelternrolle aufgehen, bestätigen. An die Nachfolge will die junge Familie noch nicht denken. „Wir leben im Jetzt“, sagt Norbert Hommrichhausen. „Das Schloss soll unser aller Zuhause sein.“

Die Hommrichhausens packen bei anfallenden Arbeiten mit an, wenn Fenster gestrichen, Bäume zerlegt oder Hecken geschnitten werden müssen. „Wir wollen den Status quo erhalten“, sagt Norbert Hommrichhausen. Vor ein paar Wochen hat er die Stützmauer am Seiteneingang des Schlosses von ihrem Efeupolster befreit. Dabei kamen Schäden im Mauerwerk zum Vorschein: verschobene Steine und abgebröckelte Fugen. Die Mauer muss saniert werden. Weil das Schloss unter Denkmalschutz steht, sind bei allen baulichen Veränderungen Auflagen zu beachten und Anträge zu stellen. „Wir warten auf die Einschätzung der Experten, was an der Mauer zu tun ist“, sagt Dieter von Helmstatt. „Sind die Anforderungen klar, geht es mit Kostenvoranschlägen und dem Antrag beim Denkmalamt weiter.“

Erst Bausubstanz, dann Optik

Dieses Prozedere haben die von Helmstatts schon einige Male durchlaufen. Zwischen 1975 und 1985 ließen sie nach und nach die knapp 70 einfachverglasten Fenster gegen doppeltverglaste austauschen. „Das haben wir in fünf Etappen gemacht“, blickt Dieter von Helmstatt zurück. „Wegen der Denkmalschutzvorgaben mussten die Stichbögen erhalten bleiben und die äußeren Glasscheiben bekamen echte Holzsprossen.“ Mitte der 1990er Jahre waren die Dachgauben undicht. „Eigentlich wollten wir einfache Schleppgauben machen lassen, aber das Denkmalamt bestand auf Gauben mit kleinen Türmchen.“

Für den Mehraufwand bei der Denkmalpflege gibt es Fördergelder. Zur Finanzierung des Schlosses tragen auch die Pachtzinsen für Felder, Wald und einen Biohof bei. Was wann saniert wird, wägen die von Helmstatts ab. „Wir kümmern uns zuerst um das Wichtige: dass die Bausubstanz erhalten bleibt. Dann erst kommt das Äußerliche“, sagt Dieter von Helmstatt. „Darauf haben schon meine Eltern Wert gelegt.“ Deshalb behält das Schloss eine „Patina“, wie er es augenzwinkernd nennt.

Was den Charme des Schlosses ausmacht

Gäste, die einen Kurzurlaub auf Schloss Hochhausen buchen, scheinen „genau dieses Ungeschniegelte“ zu suchen. „Bei uns ist es nicht so anonym wie in einem Hotel. Die Menschen kommen zu uns, als seien sie privat eingeladen“, sagt Monique von Helmstatt. „Alles ist ein bisschen wild,  genau das schätzen wir und die Gäste.“ Voriges Wochenende probte ein Streichquartett auf dem Schloss , gerade ist das Künstlerehepaar Fiebig für drei Übernachtungen zu Besuch. „Wir lieben es, auf der Terrasse zu sitzen“, meint Christine Fiebig, die gemeinsam mit ihrem Mann fünf bis sechs Wochenenden im Jahr auf dem Schloss verbringt. „Man spürt, dass hier schon viele Generationen gelebt haben. Das ist etwas Besonderes.“

„Bei uns ist es nicht so anonym wie in einem Hotel.“

Schlossherrin Monique von Helmstatt

Junge Familie, antike Möbel

Die Hommrichhausens hatten hier einst ihre Flitterwochen verbracht. Heute leben sie im Schloss in einer Wohnung, die sie selbst saniert haben. „Das ursprüngliche Bad stammte aus den 1960er Jahren. Das wollten wir möglichst original erhalten“, berichtet Simone Hommrichhausen. „Neu in unserer Wohnung sind nur die Einbauküche und das Sofa. Das ist mit kleinen Kindern praktischer.“ Sonst ist alles antik: Esstisch, Schränke, Ölgemälde, Kupferstiche. Auch die Kinder schlafen in alten Betten.

Eingangshalle von Schloss Hochhausen mit Treppe, Gemälden und Skulpturen (Foto: Christina Bock)
Die zweigeschossige Eingangshalle des Schlosses birgt viele Antiquitäten und wurde im Jahr 1895 errichtet.
(Foto: Christina Bock)

Die Möbel stammen aus dem Schloss oder wurden von den Vorfahren Dieter von Helmstatts im Antiquitätenhandel gekauft. Überall im Gebäude gibt es Sitzecken mit kleinen Sofas, Beistelltischen, Gemälden und Tischlampen, jede Ecke ist anders eingerichtet. In der Eingangshalle hängen großformatige Porträts der Familie. Das älteste Gemälde schätzt Dieter von Helmstatt auf die Mitte des 16. Jahrhunderts. Entlang der breiten Treppe, die zu einer Galerie und den Gästezimmern führt, stehen Heiligenskulpturen. Woher die Dinge stammen, lasse sich nicht immer nachvollziehen.

„Im Schloss nachzuforschen bereitet mir große Freude.“

Schlossnachfolger Nobert Hommrichhausen

Nobert Hommrichhausen findet das spannend. Er sammelt jedes Dokument und Objekt mit Bezug zum Haus oder zur Familie, das er im Kunst- und Antiquitätenhandel finden kann, und geht gerne auf Entdeckungsreise durchs Schloss. So versucht er, die geschichtlichen Puzzleteile zusammenzusetzen. Früher hat er das beruflich gemacht: Als Materialwissenschaftler untersuchte er die Herkunft antiker Gegenstände. Heute arbeitet der Mineraloge in einem Ausstellungshaus für Naturwissenschaft und Technik, gut eine halbe Autostunde vom Schloss entfernt. „Naturwissenschaft und Historisches interessieren mich sehr. Ich möchte immer genau wissen, was das für ein Stein oder Putz ist, woher die Vase stammt oder wie alt ein Gemälde oder Möbel ist“, erzählt er. „Im Schloss nachzuforschen bereitet mir große Freude. Ich wohne sozusagen in meiner Passion.“

Leben auf dem Schloss: Verpflichtung, aber auch Privileg

Simone und Norbert Hommrichhausen wissen um ihre Verantwortung beim Erhalt des Schlosses. „Es darf weder uns noch künftigen Generationen passieren, dass man wichtige Reparaturmaßnahmen nicht finanzieren kann“, sagt der 49-Jährige. „Schließlich soll das Gebäude über die kommenden Jahrhunderte weiterbestehen.“ Solch ein Baudenkmal trägt dazu bei, das kulturelle Erbe der Region zu bewahren. Die Hommrichhausens wollen den Gästebetrieb fortführen und das Schloss für noch mehr Personen erlebbar machen.

Für Monique und Dieter von Helmstatt ist das Schloss ihr Lebenswerk. Irgendwann ausziehen? „Undenkbar“, sagt der Schlossherr. Barrierefrei ist das alte Gebäude nicht. „Einen Lift könnte man nirgends einbauen, das würde mit dem Denkmalschutz kollidieren.“ Die Treppe in der Eingangshalle sei aber mit ihren flachen Stufen auch für Menschen, die schlecht zu Fuß sind, zu bewältigen. Dieter von Helmstatts Tante hat bis zu ihrem Tod im Alter von 102 Jahren im Erdgeschoss des Schlosses gewohnt. Das stimmt das ältere Ehepaar zuversichtlich: „Es geht also.“

„Wir genießen einfach das Haus.“

Schlossbesitzer Monique und Dieter von Helmstatt

Für die von Helmstatts überwiegt das Positive am Leben auf dem Schloss. „Ein Schloss zu bewahren, ist zwar eine enorme Verpflichtung, gleichzeitig aber auch ein Privileg“, sagt Dieter von Helmstatt. Das große Gebäude und das Anwesen bringen Lebensqualität mit sich: viel Ruhe und Platz. Auch deshalb achtet das Paar darauf, im Arbeitsalltag immer wieder innezuhalten. Dann sitzen Monique und Dieter von Helmstatt auf der Schlossterrasse, trinken Tee und lauschen dem Plätschern des Springbrunnens und dem Vogelgezwitscher. „Wir genießen einfach das Haus.“

Schloss Hochhausen (Foto: Christina Bock)

Gästehaus Schloss Hochhausen
Schlossweg 3
74855 Haßmersheim-Hochhausen
www.schloss-hochhausen.de


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