Unabkömmliche Vormerkung

Der Verteidiger hat einen Anspruch auf Einsicht in die Ermittlungsakten. Selbstredend nicht jederzeit, sondern in gesetzlich geregelten Fällen.

Der Gesetzgeber hat das Akteneinsichtsrecht in § 147 StPO beschrieben. In dessen Absatz 2 heißt es auszugsweise:

Ist der Abschluss der Ermittlungen noch nicht in den Akten vermerkt, kann dem Verteidiger die Einsicht in die Akten oder einzelne Aktenteile […] versagt werden, soweit dies den Untersuchungszweck gefährden kann.

Was soll ich von einem Staatsanwalt halten, der mir die Aktensicht mit folgender Begründung verwehrt:

Unabkömmlich

Es ist ja nun höchst bedauerlich, daß mir die Akteneinsicht nicht gewährt werden könne, weil die Akten „unabkömmlich“ seien. Gemäß § 147 II StPO kann Akteneinsicht vor Abschluß der Ermittlungen zum Teil versagt werden, wenn der Untersuchungszweck bei Akteneinsicht gefährdet wäre. Ein Recht, die Akteneinsicht zu verweigern mit der Begründung, die Akten seien „unabkömmlich“, kennt die StPO irgendwie noch nicht.

Weshalb sind sie denn unabkömmlich? Wenn der Herr Staatsanwalt sie benötigt, um sein Sitzkissen zu erhöhen, weil er nur so über die Papierberge blicken kann, um sich an seinen Jagdtrophäen an der Wand zu erfreuen, würde ich ja gern darauf warten. Aber das kann er mir dann doch mitteilen, dafür hätte ich sogar vollstes Verständnis. Ein zufriedener Staatsanwalt, was kann einem Verteidiger denn Schöneres passieren?

Nehmen Sie sich ruhig Zeit, Herr Staatsanwalt. Und vielen Dank auch für meine Erfassung und Ihre gütige Vormerkung.

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

14 Antworten auf Unabkömmliche Vormerkung

  1. 1
    Stefan says:

    Sollten man die Aktenzeichen und der Name des Staatsanwaltschaft schwärzen?

  2. 2
    Mirko Laudon says:

    „Unabkömmlich“ könnte natürlich auch bedeuten, wir wollen erst noch einen Haftbefehl oder Durchsuchungsbeschluss vollstrecken, von dem Sie, sehr geehrter Herr Verteidiger, besser noch keine Kenntnis haben sollten.

    • Lieber Mirko, es gehört ohnehin zur Standard-Beratung, Mandanten darauf hinzuweisen, nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens die Cannabispflanzen besser außerhalb der Wohnung aufzubewahren.
       
      Ganz besonders bei diesem Staatsanwalt aus Potsdam müssen Beschuldigte mit allem rechnen. Jeder Strauchdieb steht im (General-)Verdacht, Mitglied der Mafia zu sein. Angeschossenes Wild ist unberechenbar … crh
  3. 3
    matthiasausk says:

    Ist „unabkömmlich“ verjährungshemmend?

  4. 4
    Engywuck says:

    @#2: dann könnte der Staatsanwalt statt „unabkömmlich“ auch schreiben „werden nach §147(2) StPO in ihrer Gesamtheit benötigt, Sie erhalten diese unmittelbar nach Abschluss der (hindernden Teile der) Ermittlungen“.

    Nur müsste dann auch eine solche Hinderung vorliegen und nicht nur ein „oh verdammt, die Akte müssen wir noch erstellen/ordnen/von allem befreien, was entlastend sein könnte“

  5. 5
    Beamter says:

    Das riecht für mich aber irgendwie eher nach einer „Verdammt wir finden die Akte gerade nicht aber wollen das nicht zugeben“ Ausrede :-)

  6. 6
    K75 S says:

    Der Gedanke von @Beamter drängt sich mir auch gerade auf.

    Nach allem was ich hier aber mittlerweile so gelesen habe, könnte es auch schlicht ein defekter Kopierer sein, der die Behörde an einer notwendigen Vervielfältigung der Papierberge hindert. Oder?

  7. 7
    JLloyd says:

    Reicht eine derart hanebüchene Begründung nicht evtl. für einen Befangenheitsantrag aus ? Dann müsste sich zunächst ein anderer Oberteufel in die Akte einarbeiten, was bestenfalls zu einer mangelhaften Vorbereitung & schlimmstenfalls zu einer Verfahrensverzögerung führte.

  8. 8
    CramersV says:

    Und wo steht noch gleich, dass ein bloß gesteller Befangenheitsantrag gegen einen Staatsanwalt(!) seine weitere Befassung mit der Angelegenheit hindert?

  9. 9
    ct says:

    Sieht die StPO den ein Aktenübersendungsrecht im Rahmen der Akteneinsicht vor, oder darf die StA auch auf die Möglichkeit der Einsichtnahme bei der Behörde verweisen?

    Im zweiteren Fall wäre eine schlichte und unverdächtige Erklärung, dass man die Akten gerade selbst benötigt und daher nicht versenden will. Das gesetzliche Einsichtnahmerecht (vor Ort) bliebe unberührt, es läge keine Verweigerung der Akteneinsicht vor.

  10. 10
    Non Nomen says:

    Lieber Mirko, es gehört ohnehin zur Standard-Beratung, Mandanten darauf hinzuweisen, nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens die Cannabispflanzen besser außerhalb der Wohnung aufzubewahren.

    … crh

    Ich kenne da ein lauschiges Plätzchen im Vorgarten eines Potsdamer Staatsanwaltes. Irgendwie ist mir auch er Begriff ‚Pot‘ im Zusammenhang mit ’sdam‘ aufgefallen. War da was?

  11. 11
    Ingo says:

    Das ist hier die schon fast reflexartige Reaktion auf Akteneinsichtsgesuche in Umfangsverfahren vor Abschluss der Ermittlungen…

    Irgendwie hat sich jeder dran gewöhnt. Keiner beklagt sich mehr ernsthaft.

  12. 12
    Anonym says:

    Schon wieder ein (neues/altes) Pillenverfahren? Oder macht der betreffende StA auch noch was anderes?

  13. 13
    Ein StA says:

    Im hiesigen Bezirk ist es allerdings auch nicht unüblich, dass Akteneinsicht nach Abschluss der Ermittlungen gewährt wird. Die RAe sind da meiner Erfahrung nach auch nicht unglücklich drüber, weil sie dann (zumindest im Ermittlungsverfahren) nur einmal Akteneinsicht zu nehmen brauchen.

  14. 14
    Waschi says:

    Da liegt der Denkfehler: „unabkömmlich“ ist gar keine Begründung. Das ist nur die Aussage „wir geben ihnen die Akte zur Zeit nicht.“ Eine Begründung steht in dem Schreiben nicht drin, und m.E. muss es das auch nicht. In § 147 steht nämlich nur, dass es einen guten Grund geben muss und nicht, dass dieser Grund auch kommuniziert werden muss.

    • An Ihnen ist ein Spitzenkommentator der Strafprozeßordnung verloren gegangen. Soll ich Sie mal an geeigneter Stelle empfehlen? crh