2. Besuch im Tierheim in Gheorgheni – als Karpatenstreunerin zu den Karpatenstreunern

2. – 5. August – Grenzerfahrungen in Bessarabien

Unsere Wege trennen sich nun wieder, Moni und Willi fahren in Richtung Südwesten, wir wollen einen Abstecher nach Nordosten zum Fluss Pruth machen. Der Fluss entspringt in der Ukraine und fließt südwärts über 953 km zur Donau. Dabei bildet er die natürliche Grenze zwischen dem rumänischen Landesteil Moldova und der Republik Moldawien, ehemals Teil der UdSSR. Die alte Bezeichnung Bessarabien für diese Region ist hier noch sehr gebräuchlich.

Ich liebe Flußläufe, die durch die Landschaft mäandern, wilde Schleifen bilden und zumindest auf der Landkarte ursprünglich erscheinen. Dieser Fluss Pruth ist unser Ziel.

In der Mittagshitze des 3. August erreichen wir den Fluß und träumen von einem schattigen Plätzchen für ein gemütliche Mittagspause am Wasser. Der Traum geht nicht in Erfüllung, die Landschaft ist baumloses Agrarland bis zum steil abfallenden Ufer. Schatten unter Bäumen gibt’s nur am anderen Ufer im anderen Land.

Dann eben in der prallen Mittagssonne Picknick am Fluß… Es ist erstaunlich still, keine badenden Kinder im Fluß. Die Strömung ist zu heftig, hier kann ich auch die Hunde nicht schwimmen lassen. Dann eben nur einen Stock für die Hunde ins Wasser werfen und die Füße baden…
Ich fotografiere ein Stückchen Republik Moldavien. Das Ufer sieht spannend aus.

Unvermittelt raschelt es im Gebüsch neben uns, flüsternde Stimmen erzeugen ein seltsames Gefühl. Ich halte die Hunde nah bei mir.
Zwei Uniformierte mit allerlei bedrohlichen Dingen am Gürtel treten aus dem Gebüsch ins grelle Licht. High Noon im wilden Osten? Langsam dämmert es mir, es ist Grenzpolizei, die hier am Ende der EU einen Fluß bewacht und uns eine halbe Stunde lang kontrolliert, ausfragt und unsere Daten per Mobiltelefon an irgendjemanden weitergibt.

Das hier ist eine gut bewachte EU-Aussengrenze, Hier geht es um illegale Einwanderer und zollfreie Zigaretten, damit ist nicht zu spaßen. Doch wir sind Nichtraucher und ausser den beiden Hunden ist niemand in unserem Auto. Nach einigem Hin und Her lassen sie uns ziehen. Big brother is watching us?

Wir ziehen weiter in Richtung Norden. Das Land ist sonnenverbrannt, die Temperaturen steigen auf 40°C.

Auf der Karte entdecke ich, wiederum in einer Biegung des Flusses Pruth, eine Ruine: die Cetate Lesilor beim Dorf Oroftiana. Cetate weist auf eine alte römische Siedlung hin. Da könnten wir ein feines Übernachtungsplätzchen finden. Soweit die Hoffnung.

Das Navi kennt den Ort und verspricht, uns dorthin zu leiten, doch immer wieder behauptet es auf schnurgerader Strecke, dass wir bitte wenden sollen. Manchmal befinden wir uns sogar jenseits aller Straßen? Trotzdem meint die freundliche Dame, dass wir in 70 Meter links abbiegen sollen. Doch irgendwann erreichen wir Oroftiana, der Straßenverlauf im Dorf entspricht der Kartenansicht bis wir urplötzlich und ohne jegliche Warnung vor einem unbewachten Schlagbaum stehen. Dahinter beginnt die Ukraine, fotografieren verboten. Wir halten notgedrungen an, direkt neben der Straße sitzen eine junge Frau und ihr Vater auf einer Bank in der Abendsonne. Ihr kleiner Hof liegt noch gerade in Rumänien, die einzige Kuh darf aber in der Ukraine grasen. Wir steigen aus und fragen nach der Cetate, meine Hunde pinkeln mal eben im Nachbarland.

Lilly ist von unserem unfreiwilligen Besuch begeistert, denn sonst ist hier nichts los. Sie hat in der Schule Englisch gelernt und sieht nun eine reale Chance, das auch mal zu nutzen. Allerdings raschelt es auch hier wieder im Gebüsch und die Grenzpolizei taucht erneut auf. Auch hier sind illegale Grenzübertritte und Zigarettenschmuggel nicht erwünscht. The same procedure as last time?

Nicht ganz, der Versuch unsere schon längst bekannten Daten via Mobilfunk zu übermitteln scheitert. Weder RO Orange noch RO Vodafon sind derzeit nutzbar. Nun muss alles fein säuberlich von Hand geschrieben werden. Lilly und ihr Vater übersetzen für uns, sie kennen die Grenzer gut, alles bleibt locker und entspannt. Ausserdem ist bald Feierabend. Die Grenzer wollen heim.

Hier im Dorf dürfen wir nicht übernachten, 20 km müssen wir mindestens von der Grenze entfernt sein, es sei denn, unser Auto steht auf privatem Grund und Boden. Dann sind wir legalisiert. Lilly hat sofort eine Lösung parat: Auf dem Grundstück eines Onkels, der zur Zeit sein Häuschen in Oroftiana nicht bewohnt, können wir im Wohnmobil übernachten. So finden wir mal wieder auf typisch rumänische Weise unser Nachtplätzchen und Lilly ein bisschen Abwechslung.

Sie freut sich, dass ich sie besuche und zeigt mir Haus und Hof, wo sie und ihr Vater gemeinsam leben und fast alles halten, anbauen und herstellen, was man für die Grundversorgung braucht: Eine Kuh, ein Kalb, ein Schwein, natürlich Hühner, Gemüse, Kartoffeln, ein kleines Maisfeld. Sie backen Brot, machen Butter und Käse selber, keltern Wein, auch Kräuter gegen alles möglichen Beschwerden werden angebaut und verwendet. Der Hof ist sehr verwinkelt, jeder Quadratmeter wird sinnvoll genutzt. Hunde dürfen nicht ins Haus, meine Sheila muss draussen bleiben, egal wie schwer ihr das fällt. Shahri habe ich gar nicht erst mitgenommen, denn die ist sehr indiskret und hätte längst jeden Winkel untersucht. Das muss nicht sein.

Die Kaninchen sind noch ganz jung. “Jetzt sind sie süß und kuschelig, wenn sie älter werden, sind sie häßlich und stinken”. Damit fällt es leichter die ehemaligen Kuscheltiere zu schlachten und zu essen. Überlebensnotwendiger Rationalismus?

Blick in den Hinterhof mit Kettenhund

Hier ist sie wieder: eine dieser Situationen, in denen ich mich so hilflos fühle: Die Hündin an der Kette tut mir leid, aber die Menschen sind freundlich, offen und zeigen mir nicht ohne Stolz ihr Zuhause, in dem Bewusstsein nichts Unrechtes zu tun. Wie finde ich die richtigen Worte, um zu erklären, dass Kettenhaltung für den Hund grausam ist.

Lilly streichelt die Hündin, die ihr voll vetraut. Wie soll ich das jetzt sagen? Welches Recht habe ich dazu? Ich bin hier nur Gast.

Ich kann nur vorsichtig Fragen stellen, aber man versteht mich überhaupt nicht. So wird es seit jeher gemacht. Immerhin hat diese Hündin ein Zuhause, bekommt Futter, Wasser und Streicheleinheiten. Und manchmal nimmt Lilly sie auch an die Leine und geht draussen mit ihr spazieren. 
Kastration? Warum?, dann kann sie doch keine Babies mehr bekommen. …  Mindestens einmal soll sie werfen. Ob es dabei bleibt? …

Wie erkläre ich das jetzt, ohne westlich-überheblich oder belehrend zu sein. Die Menschen bewundern, streicheln und knuddeln meine frei herumlaufenden, spielenden Aussies, die Tricks vorführen, nur leider halten sie ihre Hunde weiterhin an der Kette. Ich hoffe einfach, dass ich mit meinen Hunden vorleben kann, dass es ohne Kette doch viel schöner ist.

Lilly und ich gehen gemeinsam spazieren, aber die Kamera darf ich nicht mitnehmen, denn wir befinden uns dabei schon auf ukrainischem Territorium – für die Einheimischen ist das erlaubt – und schauen uns ganz still einen wunderschönen Sonnenuntergang über dem Pruth an. Keine Grenzpolizei taucht auf, alles ist in Ordnung. Am diesseitigen Ufer EU-Rumänien, jenseits das Non-EU-Land Ukraine, wo zahlreiche Menschen nur auf die Nacht warten um Zigaretten zu schmuggeln oder illegal in die EU einzureisen?

Von Lillys Haus aus fotgrafiere ich zum Abschluss noch einmal das “andere” Land. Ach ja, die Cetate lag ganz früher mal auf rumänischem Land, aber inzwischen ist das ukrainisches Territorium, und da kann ich von hier aus nicht hin.

Lilly

und ihr Vater am nächsten Morgen auf dem Grundstück wo wir übernachten durften.

Es fällt mir schwer, diese Art des Lebens in allen Konsequenzen nachzuvollziehen: Im Sommer sind Temperaturen um 40°C nicht selten, im Winter kann es minus 30°C kalt werden. Fließendes Wasser gibt es in den meisten Häusern nicht. Erstaunlich finde ich, dass das Brunnenwasser im Sommer angenehm kühl ist und im Winter nicht einfriert. Natürlich haben die Häuser auch keine Zentralheizungen. Sicher, ein offener Kamin mag mal romantisch und anheimelnd sein, aber bei strengem Frost als einzige Wärmequelle im Haus? 

Schon jetzt kommen uns hier im rumänischen “Outback” auf den Straßen ständig mit Holzstämmen beladene Pferdefuhrwerke entgegen. Im Wald toben die Kettensägen, es ist Zeit, an das Holz für den Winter zu denken. – Du meine Güte, was sind wir verwöhnt…

Wir laden unsere Gastgeber ein, mit uns zu frühstücken. Unser erstes ist mindestens ihr zweites Frühstück – es ist halb zehn – , und ich glaube frisch im Wohnmobil gekochter Kaffee und aufgebackene Brötchen mit Marmelade oder Käse finden sie ihrerseits etwas gewöhnungsbedürftig.

Ein paar Tage lang sind wir noch mit unseren Aussies in den Karpaten herumgestreunt, diesmal vor allem in den Harghita-Bergen und im Ceahleau-Massiv.

Der Lacu Rosu, nicht weit von Gheorgheni entfernt. Er heisst Roter See, weil er durch bestimmte Algen manchmal rot gefärbt wird.

Die Bicaz-Klamm mit beeindruckend steilen Felswänden. Es wäre dort sicherlich sehr schön, wenn die sehr enge Schlucht nicht gleichzeitig eine Hauptverkehrsstraße wäre, und eine der wenigen befahrbaren Passagen durch die östlichen Karpaten.

In der Schlucht reihen sich die Verkaufsstände aneinander.Kilometerlang.

Irgendwo in einem kleinen Dorf mit scheinbar stehengebliebener Zeit

Wo immer Menschen leben, produzieren sie Müll, und der zieht Hunde magisch an. Will man das Problem der Straßenhunde lösen, sollte man diese Tatsache nicht so beharrlich übersehen.

Beliebte Aufenthaltsort für hungrige Hunde sind auch die großen Einkaufszentren von Kaufland, Penny und Co. Jede etwas größere Stadt hat inzwischen solch ein Zentrum, und da fällt immer mal was für die Hunde ab.

11. August 2012

Der heutige Tag war nochmals sehr ereignisreich, unter anderem habe ich ein halb verhungertes etwa 4 Wochen altes verlassenes Katerchen mitten auf einer Straße aufgelesen, wir konnten gerade noch bremsen. Ich konnte nicht anders, ich habe das Kleinteilchen – gerade mal etwas größer als meine Hand – aufgelesen, auf den Arm genommen, dort ist es geblieben, die ganze einstündige Autofahrt lang, bis wir auf einem Campingplatz bei lieben Bekannten in Fundu Moldovei ankamen.

Sein Schwänzchen ist mindestens dreimal gebrochen, das Tierchen besteht nur aus Fell und Knochen, kann sich kaum auf den Beinchen halten, und ein Auge ist entzündet. Auf dem Campingplatz angekommen, haben wir den kleinen Tom Cat erstmal gefüttert bis das Bäuchlein rund wurde.

Er hat geschnurrt und es sich auf der Hundedecke gemütlich gemacht und gepennt: endlich in Sicherheit und satt. Eine rumänische Angestellte des Campingplatzes hat sich sofort in den kleinen Kater verliebt, und ihn mit nach Hause genommen. Wir haben sie mit einigen Lei für Katzenfutter zum Aufpäppeln unterstützt. Sie hat zuhause noch zwei weitere Katzen. Dort wird er es gut haben!

Im Frühjahr soll er dann auf unsere Kosten kastriert werden. Er heisst jetzt Jerry.

Viel Glück kleiner Jerry und ein tolles Leben in Fundu Moldovei wünsch’ ich dir.

Fundu Moldovei