Michael Köhlmeier
International

Geschichte der Ehebrecherin als Beispiel für Konfliktlösungsfähigkeit

Wien, 19.10.17 (kath.ch) Als eine «Stelle, die zum schönsten gehört, was Literatur je hervorgebracht hat», erachtet Erfolgsautor Michael Köhlmeier die Erzählung im Johannesevangelium über Jesus und die Ehebrecherin. Der aus Vorarlberg stammende Schriftsteller sprach bei einem Pressegespräch im Vorfeld seiner Poetik-Vorlesung an der Wiener Katholisch-Theologischen Fakultät auch weitere «erschütternde» Geschichten der Bibel an.

Die Bibelstelle (Johannesevangelium 8,1-11) handelt von Pharisäern, die Jesus mit einem Urteil über die Ehebrecherin in Verlegenheit bringen wollten: Sein Ja oder Nein zur vorgesehenen Strafe der Steinigung würde ihn vor aller Welt zu einem gesetzesbrechenden Libertin oder aber zu einem von den Schriftgelehrten nicht Unterscheidbaren machen. Jesu Lösung, dem Gesetz solle Genüge getan werden, sei wegen der beispiellosen, «unglaublichen Konfliktlösungsfähigkeit» von Jesus ein Satz, «der mich jedes Mal so berührt, dass ich einen Knoten im Hals kriege», so Köhlmeier.

Jesus und die Ehebrecherin | © Lucia Fabiani/KNA

Von der Mutter geprägt

Der österreichische Schriftsteller erzählte mehrfach Bibelgeschichten in eigenen Werken oder Hörbüchern nach; er sei diesbezüglich geprägt von seiner Mutter, die ihm schon in jungen Jahren die Heilige Schrift nahegebracht hätten, wie er berichtete. Besonders berührt und «erschüttert» habe ihn sein ganzes Leben lang die Hiob-Erzählung. Was dieser Gestalt aus dem Alten Testament zustiess – die Kinder gestorben, der ganze Besitz verloren –, sei «grauenhaft», so Köhlmeier.

Dass dies aber Folge einer Wette Gottes mit dem Teufel war, fand er geradezu «herzzerreissend furchtbar» und habe ihn zur Frage geführt, wie er sich auf so einen letztlich «eitlen» Gott je verlassen könne, der Hiob zum Schluss eine fragwürdige «Wiedergutmachung» zugesteht.

Erzählungen aus Bibel oder Mythologie sprechen an.

So eine Geschichte und die dort aufgeworfene Frage, ob die Verteilung von Glück und Unglück etwas vollkommen Willkürliches ist, werde Menschen berühren, so lange die Menschheit besteht, meinte Köhlmeier. Seiner Einschätzung nach sprechen Erzählungen aus Bibel oder Mythologie, «die eine gewisse Zerrissenheit darstellen», heute besonders an. Viele Zeitgenossen seien heute geradezu «süchtig» danach, interessant sei nur das, «was einem das Herz zerreisst, wo man im Zweifel ist, wo man mit sich kämpft».

«Sagt uns das heute noch etwas?»

Wer sich heute an eine «Idylle» halte – ob als Produzent oder Konsument von Literatur – gerate «in Verdacht, dumm zu sein». Das finde er schade, sagte Köhlmeier, obwohl er sich selber den «Mut» wünschte, zum Beispiel eine «ganz brave Weihnachtsidylle» zu schreiben. Das wäre «schon fast wieder subversiv».

Zweifel äusserte der Schriftsteller darüber, ob man auch mit der grössten historischen Einfühlung wirklich nachvollziehen könne, was etwa die Propheten oder antike Mythenvermittler gemeint und empfunden hätten. «Wir haben keine Ahnung, wie die damals getickt haben.» Letztlich gehe es immer um die Frage: «Sagt uns das heute noch etwas?»

Theologen verteidigen das Rätsel in der Welt.

Auf die Frage, was ihn daran gereizt habe, an einer Theologischen Fakultät eine Poetik-Vorlesung zu halten, antwortete der Schriftsteller: Man komme während der literarischen Arbeit kaum dazu, sich darüber Gedanken zu machen, dies wolle er nun im universitären Kontext tun. Und dies bei den Theologen und nicht bei den Germanisten zu tun, finde er passend, weil erstere «dafür bekannt sind, das Rätsel in der Welt standhaft zu verteidigen».

«Gott» als Metapher für das Rätselhafte

Als ausgebildeter Germanist dagegen sei er dahingehend geschult worden, dem kreativen Prozess das Rätselhafte zu nehmen, was ihn sogar an seinem Berufswunsch Schriftsteller habe zweifeln lassen. Er sehe sich selbst als «kein so fest im Glauben verankerter Mensch». «Gott» oder «das Göttliche» sehe er als Metapher für dieses Rätselhafte und dessen Zauber. (kap)

Michael Köhlmeier | © Keystone
19. Oktober 2017 | 06:00
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