Keep do it, Cannstatt

Die Zeit zwischen zwei Meetings wird Scharwenzelzeit genannt. Wenn man zum Beispiel 30 Minuten zwischen Arzt- und Kundentermin in Bad Cannstatt hat, hat man ausreichend Scharwenzelzeit, um einmal um den Bahnhofsblock zu scharwenzeln, zu staunen und zu knipsen.

Und am Ende hat man relativ gemütlich ein relativ schönes Insticle zusammen. Also einen digitalen Bilderbogen. Für den die Bahnhofsgegend Cannstatt, glaube ich, ursprünglich mal von Stadtplanern entworfen wurde. Here we go…

Laufsteg Cannstatt. So eine Mischung aus Open Air Primark und Breuninger Exquisit. Ich bin sicher, wenn da eine Modebloggerin ein paar Schnäppchen macht und das sexy kombiniert mit ihren Doc Martens und den komischen Jeans, die gerade alle tragen und die ich schon damals nicht verstanden habe, als sie zum ersten Mal en vogue waren, dann kommt dabei vielleicht ein ganz hübsches Ensemble raus.

Ganz Cannstatt ein einziger Hofflohmarkt. Und ich muss sagen: die Kombination aus Strick und Camouflage könnte in dieser Herbst/Winter-Saison noch groß werden. Ich hatte in meinem Leben glaube ich erst einmal ein Kleidungsstück in Tarnfarben. Und das war gar nicht zum Anziehen sondern zum Umhängen. So ne kleine öddelige Eastpack Tasche, aus denen heute Drogen raus verkauft werden. Ansonsten kann ich dem Thema Tarn nicht so viel abgewinnen. Traumatisiert haben mich dabei weniger irgendwelche Kriegsbilder als vielmehr der Udo.

Der Udo war Sänger einer recht erfolgreichen deutschen Heavy Metal Band und trug immer Tarn. Irgendwann startete er seine Solokarriere, typographierte sich Punkte zwischen die Buchstaben und nannte sich als Solo-Act U.D.O. In dieser Funktion rief er mich eines Tages an und fragte, ob ich in seiner Band spielen wolle. Ich würde paar Hundert D-Mark pro Monat bekommen, müsste aber fulltime nach Solingen ziehen und fulltime Tarn tragen. In dem Moment bin ich schweiss- und tarngebadet aufgewacht. Sackfroh, zu ihm N.E.I.N. gesagt zu haben.

Man will ja niemandem wirtschaftlichen Misserfolg wünschen. Andererseits hält sich mein Daumendrücken in Grenzen für alle Läden mit -ei in ihrem Namen: Broterei, Wasserei, Bloggerei. Die Grillerei in Cannstatt hatte aber vielleicht auch einfach nur Betriebsferien. Oder war auf einer Messe für nachhaltige Lebensmittelverarbeitung. Oder nebenan im 1 Euro Shop, sich einen Besen besorgen. Man muss allerdings auch sagen, dass das dieser Sturmtieftag war – und es deshalb vor der Grillerei aussieht wie bei der Hempelei unterm Sofa.

Um die Ecke von der Grillerei wird die Sprache rauer und die Botschaften werden tougher. Gangland Cannstatt. Gegenüber hatte eine verfeindete Gruppe die Worte BUCHWEIZENRISOTTO gesprayed.

Irgendwo bei Nike in Oregon sind sie gerade richtig sauer, dass sie nicht auf so eine Idee gekommen sind. Ich mag mich jetzt gar nicht inhaltlich, grammatikalisch und sprachlich so weit aus dem Fenster lehnen – aber ist das nicht auf allen Ebenen komplett falsch? Angefangen damit, dass man ja wohl in Hausschlappen nur wenige Dinge tut – oder weiterhin tut – zu denen man von seinen Schuhen große Motivationsschübe braucht.

Ich stelle mir gerade vor, wie man in diesem Modell furzend in seinem Sessel sitzt, die NicNacs krümeln so ein bisschen in den Schritt, du schaust runter und deine Schlappen sagen dir: Gut gemacht, weiter so Junge. Und kann mir mal jemand den Langenscheid Englisch-Deutsch runterreichen?

Shop the Look zur Fridays for Future Demo im Pop-up Shop Quälerei. Mir ist schon klar, dass das kein echtes Kaninchen ist bei dem Preis. Und der Farbe. Und dem Point of Sale. Egal. Ich mag ohnehin den Apres Ski Style unten rechts viel lieber: lindgrüne Bommelmütze, dann so ne Fake Uvex-Sportbrille drüber (!), untenrum Engelbert Strauss, weil man direkt vom Schaffen kommt und Salomon Trailrunninschuhe – oder gleich Gezer ‚Keep do it‘ . Und dann vor dem Glühweinstand im eigenen Erbrochenen stehen. Like, wer es fühlt. Re-Post, wer es kennt.

Wer sagt’s ihnen? Wenn mich amazon Prime irgendwann rauswirft, geh ich zu diesem Fachgeschäft und fange einfach wieder von vorne an. Wobei ich das meiste in der Grabbelkiste glaub nicht gesehen habe. Und in 3…2…1…kommt jemand um die Ecke und schreibt: WIE? Du hast Two and a Half Men nicht gesehen???? Absolut Kult. Pflicht! Muss man gesehen haben. Die Chancen stehen 1:4, dass dieser jemand Thorsten ist.

Die Synergie-Effekte dieses Namenssponsorings hat man sich in der Tübinger Straße glaube ich auch anders vorgestellt. Wobei das vielleicht sogar noch aus Zeiten stammt, in denen Schwaben Bräu in Vaihingen oben gebraut wurde.

Fragt man Google nach diesem traurigen Ort, antwortet es mit einem Systemabsturz einem Auszug aus einer Konzeptstudie zur Revitalisierung von Einkaufs- und Ladenzentren. Und das macht es alles auch nicht besser.

Zitat: „Hingegen wird die Schwabenbräu-Passage mit ihrer hohen Leerstandsquote und ihrer in sich gekehrten, stark sanierungsbedürftigen Passagensituation als verlorenes Ladenzentrum bewertet.“

You had me at in sich gekehrtes, verlorenes Ladenzentrum. Und weiter „Mit den prekären Nutzungen im Umfeld, zeigt das Bahnhofsquartier hohen Handlungsdruck“. Sag ich doch! Sie haben das Olive Öl Graffiti also auch gesehen.

Die Studie rät dem Quartier abschliessend: „Um der Bedeutung des Standorts gerecht zu werden, sollte die Nutzung ikonenhaft und eingebettet in die gesamthafte Quartiersentwicklung sein.“ Ikonenhaft wie zum Beispiel durch ein Riesenrad.

An dieser Ecke dagegen würde ich bitte gar nix verändern. Weil ikonenhafter geht ja wohl nicht. Und mehr Venice Beach Vibes gehen ja wohl auch nicht. Dass da noch niemand auf Roller Skates mit einem Banjo und einem Turban Straßenmusik macht, ist echt ein kleines Wunder. Ich bin jedesmal von dieser Mischung aus Foodcourt und Favela fasziniert. Und meine das durchaus positiv und ernst.

Das Angebot an exotischem Fastfood und diese Architektur, die weiter stadteinwärts so sicher nicht geduldet würde, haben echt ihren ganz eigenen Charme. Über die Shawarma-Qualität muss bitte jemand anders was sagen. Ich hatte weiter oben ne Bowl, die war ok, aber nicht geil.

GLG gehen raus an die Bloggerbrüder vom Vertikalpass. Die sich neulich in einer wüsten 2G/3G Impfdiskussion wüst beschimpfen lassen mussten. Vertikalpack, meinten die einen. Asozial die anderen. Und, ich glaube, Joshua Kimmich die dritten. So ein Quatsch alles, Leute. Es geht um fucking Fussball. Und nicht um Kaninchenpelz. Keep let it!

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