Nationalelf

Eduard Geyer: "Nicht auf der Wurstsuppe dahergeschwommen"

Interview über die Wende-Turbulenzen und die Nationalspieler aus dem Osten

Eduard Geyer: "Nicht auf der Wurstsuppe dahergeschwommen"

War Trainer beim 293. und letzten Länderspiel der DDR: Eduard Geyer.

War Trainer beim 293. und letzten Länderspiel der DDR: Eduard Geyer. picture alliance

Sie saßen beim Spiel gegen die Schweiz vor 30 Jahren auf der Tribüne des Neckarstadions. Waren Sie stolz, als Matthias Sammer und Andreas Thom erstmals fürs DFB-Team aufliefen, oder wehmütig, weil Ihre Zeit als Nationaltrainer vorbei war, Herr Geyer?

Ich hab' mich gefreut für Matthias und Andreas. Für mich war das 2:0 mit der DDR-Nationalmannschaft in Brüssel im September 1990 der Abschluss. Es waren damals so turbulente, verrückte Monate, da blieb nicht viel Zeit für Wehmut.

Die Spieler aus dem Osten, auch der später dominante Sammer, wirkten anfangs im Kreis des DFB eher zurückhaltend. Fehlte ihnen die Ellenbogen-Mentalität?

Matthias war damals ein junger Spieler. Und Andy Thom war ohnehin nicht der Typ Vordrängler. Die Jungs hatten ihre ersten Schritte in der Bundesliga hinter sich und kamen damals in eine Mannschaft, die 1990 Weltmeister geworden war. Die Konkurrenz war riesig. Und was man nicht vergessen darf: Die Welt, in der sie groß wurden, war gerade untergegangen.

Im Februar 1990 waren die Bundesrepublik und die DDR zusammen mit Belgien und Wales in die Qualifikations-Gruppe 5 für die EM 1992 ausgelost worden.

Der DFB entsandte eine Riesendelegation, ich war als DDR-Vertreter ganz allein in Stockholm und saß bei der Auslosung zwischen Berti Vogts und Michel Platini. Die Spiele wären natürlich reizvoll gewesen.

Ich glaube bis heute, dass der DFB Angst vor einer Blamage hatte. Wir hatten zuvor in Belgien trotz 22 Absagen mit einer Not-Elf 2:0 gewonnen. Das wussten alle.

Eduard Geyer über die Absage des Freundschaftsspiels in Leipzig

Am 21. November 1990 sollten die DDR und die Bundesrepublik in Leipzig um Punkte spielen, am 21. Dezember 1991 in München. Aber der Lauf der Geschichte war schneller.

Ursprünglich sollte die deutsche Fußball-Einheit erst 1992 vollzogen werden. Aber es ging dann viel schneller. Ich trat im April 1990 als Klubtrainer bei Dynamo Dresden zurück, weil ich mich auf die Rolle als Auswahltrainer und die EM-Qualifikation konzentrieren wollte. Aber das hatte sich dann recht bald erledigt.

Am 23. August beschloss die Volkskammer der DDR den Beitritt zur Bundesrepublik zum 3. Oktober 1990. Statt der beiden Qualifikationsspiele sollte es am 21. November 1990 ein Freundschaftsspiel in Leipzig geben.

Das hat der DFB dann acht Tage vorher abgesagt - offiziell wegen Sicherheitsbedenken. Ich glaube bis heute, dass der DFB Angst vor einer Blamage hatte. Wir hatten zuvor in Belgien trotz 22 Absagen mit einer Not-Elf 2:0 gewonnen. Das wussten alle.

Geyer: "Dass das ausblieb, fand ich schon etwas arrogant."

Eduard Geyer

Eduard Geyer picture alliance

Hat sich Berti Vogts bei Ihnen vor dem Schweiz-Spiel nach den Stärken und Schwächen der Ost-Spieler erkundigt?

Nein.

Und wie kam das bei Ihnen an?

Ich hätte ihn im umgekehrten Fall sicher angerufen. Dass das ausblieb, fand ich schon etwas arrogant. Aber letztlich muss jeder selber wissen, was richtig ist.

Vogts sagt, es habe Forderungen von DDR-Verbandsfunktionären gegeben, dass er immer vier, fünf DDR-Spieler einsetzen müsse. Bekamen Sie davon etwas mit?

Nein. Von mir kam die Forderung jedenfalls nicht (lacht). Die DFB-Mannschaft war absolute Weltklasse. Aber klar ist auch, dass man an Spielern wie Sammer, Thom, Doll und Kirsten gar nicht vorbeikam. Die kamen nicht auf der Wurstsuppe dahergeschwommen, die waren richtig gut.

In Stuttgart spielten nur zwei, Sammer und der für ihn eingewechselte Thom.

Man führte klar, da hätte Vogts als Geste sicher noch Thomas Doll bringen können. Verloren hätte Deutschland nicht.

Hofften Sie, in den DFB-Trainerstab integriert zu werden?

Nein, das stand nie zur Debatte. Ich hab' eher darauf gesetzt, dass sich ein Verein aus der Bundesliga meldet. Ich war mit Dresden Meister und Pokalsieger und stand 1989 im UEFA-Cup-Halbfinale, mit der Nationalmannschaft wären wir um ein Haar zur WM 1990 gefahren. Ich dachte, der Westen wartet auf mich. Aber da hat keiner gewartet.

Interview: Steffen Rohr