Am Montagabend feierte Michael Hanekemit "Happy End" zum siebenten Mal Weltpremiere im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes. Ob der 75-jährige Österreicher mit seinem neuen Film jedoch die dritte Goldene Palme einheimsen kann, bleibt fraglich - sollte der Durchschnitt der Pressereaktionen auf den Film ein Hinweis sein, in welche Richtung die Jury unter Pedro Almodovar am Sonntag tendiert.

Die elf Kritiker des einflussreichen Branchenmagazins "The Screen" vergeben jedenfalls nur 2,2 Punkte für "Happy End" - was der Bewertung "Durchschnittlich" bei einer Skala bedeutet, die zwischen 0 für "Schlecht" und 4 für "Exzellent" changiert. Damit liegt das neue Haneke-Werk bei den bisherigen zehn Wettbewerbsfilmen auf Platz 7.

Ein Blick auf die internationale Rezensionen:

Lee Marshall ("Screen"): "'Happy End' fühlt sich an wie eine Collage der Lieblingsthemen des Regisseurs - eine Vorspeise aus Videoüberwachung, langen Kameraeinstellungen, unheimlichen, engelgesichtigen Kindern und anderen Haneke-Ingredienzien, aus denen aber kein Hauptgericht wird. [...] Hanekes narrative Schweigsamkeit ist mit einem Male eher frustrierend denn befruchtend."

Tim Robey ("The Telegraph"): "'Happy End' zeigt einen Haneke, der seine alten Routinen zusammenfasst und dabei bewusst auf eine Modernisierung verzichtet: Wenn seine Karriere bis zu diesem Punkt eine Abfolge formidabler Kapitel war, sind hier die Fußnoten dazu."

Richard Lawson ("Vanity Fair"): "'Happy End' ist ausgesprochen allegorisch. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mir noch nicht klar darüber geworden bin, worum es bei diesen Allegorien geht. [...] 'Happy End' ist für mich im Vergleich zu Hanekes anderen bissigen Kuriositäten ein unbedeutenderes Werk."

Peter Debruge ("Variety"): "Michael Haneke zieht seine altbekannten Kunstgriffe heran. [...] Es ist so, als ob der Regisseur ein paar lose Enden früherer Filme zusammengebunden hat und uns damit zwingt, sich Themen nochmals anzusehen, die seither nur drängender geworden sind."

Peter Bradshaw ("The Guardian"): "'Happy End' ist ein satirischer Alptraum des Reichtums im großbürgerlichen Europa: So klar, brillant und unversöhnlich wie Halogenlicht. Es zeigt zugegebenermaßen keine neue Entwicklung dieses Filmemachers, aber eine aufregende Richtung, die wie immer mit frappierender Inspiration überzeugt. Es ist so mitreißend wie eine teuflische Soapopera, eine Dynastie der verlorenen Seelen."

Verena Lueken ("FAZ"): "Auch von ihm hat das Festival in diesem Jahr nicht einen seiner besten Filme bekommen. [...] Den großzügigen Schuss Boshaftigkeit, seine Klarsicht, Unsentimentalität und momentweise Wahrhaftigkeit, auch die, hatte Hanekes 'Happy End' dann aber doch zu bieten. Was nicht über den Routineanteil an der Sache hinwegtäuscht."

Hanns-Georg Rodek ("Die Welt"): "Das Problem an 'Happy End' ist, dass Haneke seine vielen losen Enden nicht wirklich zusammenkriegt. Die tödliche Stringenz der meisten seiner Filme geht in dem großen Familien- und Gesellschaftspanorama verloren."

Tobias Kniebe ("Süddeutsche Zeitung"): "Dieser Film ist eine Art Kompilation all der Themen, die Haneke in den letzten dreißig Jahren beschäftigt haben. [...] Was es diesmal aber nicht gibt, ist diese radikale, ästhetische wie erzählerische Geschlossenheit, die so viele Haneke-Filme zu einer unentrinnbaren Erfahrung gemacht hat. Hier hat man das Gefühl, dass die Teile nicht zusammenpassen, vieles bleibt skizzen- und rätselhaft."

Auch die österreichischen Kritiker sind eher ambivalent:

Andrey Arnold ("Die Presse"): "Wollte man böse sein, könnte man sagen, dass dem österreichischen Kunstkino-Veteranen die Ideen ausgehen. Freundlicher könnte man von einer Quersumme seiner Karriere sprechen."

Dominik Kamalzadeh ("Der Standard"): "Der Film wirkt wie das Fazit eines an pessimistischen Diagnosen reichen Werks: kein Happy End, sondern ein exakt konstruiertes, aber auch seltsam geläufiges Haneke-Kompendium, in dem Wiedergänger früherer Arbeiten sich zu einem finalen Requiem aufraffen."

Alexandra Seibel ("Kurier"): "Er liefert eine scharfsichtige Bestandsaufnahme, ohne sie aber letztlich weiter (oder weit genug) zu treiben. [...] Mit seinem neuen, präzise kalkulierten Familienporträt "Happy End" [...] erzielte er nicht diese emotionale Wucht. Stattdessen ließ er seine Zuseher in etwas leidenschaftsloser Zwiespältigkeit zurück."

Magdalena Miedl ("Salzburger Nachrichten"): "In der ersten Festivalhälfte schien klar, dass 'the Haneke' zu den sicheren Siegern gehören muss. [...] Nun, nach der Vorführung des Films, sind die Festivalbeobachter nicht mehr so einig."

Christian Ude ("Kleine Zeitung"): "Michael Haneke dürfte seine dritte Goldene Palme verfehlen. [...] Natürlich hat das Drama intensive Momente, ist aber recht absehbar, fast alltäglich und wirkt wie ein unfertiges Puzzle, dessen Teile aus diversen Filmidee-Kisten entnommen wurden."

Matthias Greuling ("Wiener Zeitung"): "Michael Haneke hat in Cannes 'Happy End' vorgestellt, der starke Momente hat, sich aber in zu viele Richtungen wagt. [...] 'Happy End', das ist ein Film, der zu viel will und zu wenig gibt."