Wenn Karl ein guter Mensch sein will, muss er seine Gedanken unterdrücken. Nur so, glaubt er, kann er sich beherrschen – indem er nicht daran denkt, geschweige denn, seine Neigung auslebt. Karl ist pädophil, fühlt sich von Buben sexuell angezogen. Aus diesem Grund bittet er darum, nicht seinen echten Namen zu nennen. Er möchte lieber anonym bleiben.

Als ihm zum ersten Mal bewusst wird, dass er pädophil ist, ist Karl Anfang 20. Er fing an, sich nach Kindern umzudrehen, sie zu beobachten. Anfangs habe ihn das „irritiert“, erinnert sich der heute 44-Jährige. Aber mit den Jahren verstärkt sich in ihm der Wunsch, Kindern nah zu sein, der Gedanke an Sex.

Der erste Mensch, der von seinem Geheimnis erfährt, ist seine Therapeutin. Damals war er gerade auf Auslandssemester. „Ich habe gemerkt, sie ist damit völlig überfordert und hat schnell das Thema gewechselt.“

Einige Zeit später erfährt Karl von der Männerberatung in Wien. Dort öffnet er sich, spricht über seine Ängste, seine Gedanken und Fantasien. Er will nicht, dass es so weit kommt, dass er eine Gefahr für Kinder wird, dass er ihnen Gewalt antut und dass er durch das Ausleben seiner Neigung eine Straftat begeht. Zu diesem Zeitpunkt ist er 30 Jahre alt.

180.000 Pädophile leben in Österreich

Schätzungen zufolge leben etwa 180.000 pädophile Männer in Österreich. Die Männerberatung in Wien ist die älteste Einrichtung, wo Pädophile therapeutisch behandelt werden. „Bevor ich bei der Männerberatung angerufen habe, habe ich mir eine neue SIM-Karte und ein neues Handy besorgt, mich in mein Auto gesetzt und bin damit zu einem abgelegenen Sendemast gefahren. Ich wollte auf keinen Fall riskieren, dass der Anruf mit mir in Verbindung gebracht wird“, sagt Karl.

Wie groß die Scham vor gesellschaftlicher Ausgrenzung ist, weiß Psychotherapeut Alexander Seppelt. Er ist einer der wenigen Therapeuten in Österreich, der Pädophile behandelt. Karl ist seit 14 Jahren sein Klient. Seppelt ist überzeugt „wer Pädophile therapiert, schützt Kinder“. Denn das „extreme Tabu“, die Pädophilie zu verschweigen, würde nur dazu führen, dass Betroffene eher zu Tätern werden.

Psychotherapeut Alexander Seppelt behandelt Karl seit 14 Jahren
Psychotherapeut Alexander Seppelt behandelt Karl seit 14 Jahren © Christoph Kleinsasser

Therapieeinrichtungen sind am Limit

Das zeigt auch die neueste Entwicklung seit dem Fall Teichtmeister. „Seit drei Wochen haben wir täglich bis zu drei Erstgespräche mit Betroffenen. Normalerweise sind es pro Jahr rund 45“, sagt Seppelt. Hauptsächlich rufen Männer an, die Hands-Off-Täter sind, also Kindesmissbrauchs-Darstellungen konsumiert haben, aber keinen Körperkontakt mit Kindern hatten – „das hat es in dieser Form noch nie gegeben“. In der Regel sind die Klienten Straftäter, die vom Gericht bzw. von Strafanstalten die Weisung bekommen, eine Therapie machen zu müssen. Aber weil in Österreich das Angebot an therapeutischen Behandlungen für Pädophile ohnehin kaum vorhanden ist, führt die hohe Nachfrage nun dazu, dass die Einrichtungen am Limit sind. Sowohl in Wien, als auch in Graz, wo forensische Psychotherapien angeboten werden. Seit Jahren fordern die Einrichtungen eine Unterstützung vom Bund, etwa um Behandlungen kostenlos anzubieten oder bundesweite Kampagnen zu starten, die sich gezielt an Pädophile richten. Bislang wurde keine der Forderungen umgesetzt.

Auch im neuen Maßnahmenpaket der Regierung richtet sich die Präventionsarbeit nicht konkret an Betroffene. „Wir haben Männer oft wegschicken müssen, die sich die Therapie einfach nicht leisten konnten. Da braucht es Mittel vom Bund, um diesen Menschen zu helfen“, sagt Christian Scambor von der steirischen Männerberatung. Pro Einheit bezahlen die Betroffenen zwischen 80 und 100 Euro, rund ein Drittel würde die Krankenkasse übernehmen. „Das können sich viele nicht leisten“, sagt Seppelt.

In den Männerberatungen in Graz und Wien werden pro Jahr zwischen 200 und 300 betroffene Klienten behandelt. Einer davon ist Karl. Er wird die Therapie auch weiterhin besuchen: „Es stört mich nicht, dass ich in die Therapie gehe. Ich bin überzeugt, wenn es etwas gibt, dass Missbrauch verhindert, ist die Therapie eine wichtige Maßnahme, die etwas bringt. Ich weiß, hier erzähle ich alles, das hilft mir und macht mein Leben einfach besser.“