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„Sie verstehen die Krankheit und den Erkrankten nicht“

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Gudrun Tissler-Berndt mit Jürgen Maiwald, Geschäftsführer der Bücherei Leseberg, wo es das Buch „Die Hoffnung trägt“ gibt.
Gudrun Tissler-Berndt mit Jürgen Maiwald, Geschäftsführer der Bücherei Leseberg, wo es das Buch „Die Hoffnung trägt“ gibt. © Mediengruppe Kreiszeitung

Nienburg - Von Kurt Henschel. „Plötzlich ist nichts mehr so, wie es einmal war. Psychische Krankheiten beginnen oft schleichend. Die Erkrankten sind vielfach nichteinsichtig. Ein Prozess, dem die Angehörigen der betroffenen Menschen meist hilflos gegenüberstehen. Spät – oft zu spät – suchen sie Hilfe.“ Das sagt Gudrun Tissler-Berndt, Ansprechpartnerin der Gruppe für Angehörige psychisch erkrankter Menschen. Bekannte und Familie, so Tissler-Berndt, „können nicht viel ausrichten bei volljährigen Angehörigen, und sie kennen sich nicht aus in den Versorgungsstrukturen“.

„Ärzte und Therapeuten haben lange Wartezeiten, beim Sozialpsychiatrischen Dienst fürchten sie die Akte“, weiß Tissler-Berndt. Sie kennt die Scham, die Vorurteile, die Angst vor der Diagnose. Dabei gibt es Hilfe: „Wir sind jetzt mit Instituts-Ambulanz und Tagesklinik gut aufgestellt im Landkreis. Ich versuche, anderen Betroffenen die Angst vor der Hilfe zu nehmen, sie aufzuklären, denn schnelle Hilfe kann Chronifizierung verhindern“, erklärt die Ansprechpartnerin der Gruppe der Angehörigen.

Familie, Partner und Freunde lebten oft ein Leben wie auf dem Pulverfass, in Angst und Sorge. Sie seien schon froh, wenn keine Katastrophe passiert. Manchmal erfolge deswegen die Abkehr von den Erkrankten: „Familie und Freunde wollen mit den Betroffenen nichts mehr zu tun haben. Sie verstehen den Erkrankten nicht.“ Tissler-Berndt: „Dieser Weg ist zu einfach, denn die Patienten brauchen den Kontakt. Das Bewusstsein um die Familie im Hintergrund gibt ihnen Halt und Kraft. Sie können dann schneller den Weg aus der Erkrankung schaffen. Sie brauchen soziale Kontakte.“

Ehemals Betroffene

gibt Auskunft

Ihre Gruppe lebe vom Erfahrungsaustausch. Aufgeklärte Angehörige befänden sich im ständigen Spagat zwischen dem Übernehmen von Verantwortung in Krisensituationen und dem Loslassen, das dem Erkrankten seine Eigenständigkeit ermöglicht. „Wir lernen, Grenzen zu setzen, unsere eigenen Grenzen der Belastbarkeit zu erkennen und Kraftquellen zu finden. So können wir unser Leben leben und den Erkrankten bei Bedarf helfen.“

Eine Gruppe der Angehörigen von psychisch erkrankten Menschen habe es bereits seit Ende der 80er-Jahre beim Sozialpsychiatrischen Dienst gegeben, seit 1999 nun als Selbsthilfegruppe mit Gudrun Tissler-Berndt als Ansprechpartnerin. Sie befindet sich landes- und bundesweit im ständigen Austausch mit Angehörigen, Betroffenen, beruflichen Helfern und der Sozialpolitik. Sie ermöglicht es anderen Angehörigen bundesweit, an Fortbildungen teilzunehmen, die beispielsweise auch die Krankenkassen fördern.

Nun steht die Selbsthilfegruppe vor ihrem 15. Geburtstag. Dazu lädt Tissler-Berndt Betroffene, Angehörige, beruflich Helfende und Interessierte ein – für Mittwoch, 22. Oktober, ab 16 Uhr in das Vestibül im Rathaus in Nienburg. Dort soll es dann um das Thema „Die Hoffnung trägt – Das Recovery Modell – Wege zur Genesung“ gehen.

Referent ist Professor Dr. Michael Schulz aus Bielefeld. Er ist Pflegewissenschaftler, Dozent an der Fachhochschule der Diakonie Bethel, Träger mehrerer Gesundheitspreise, Mitherausgeber diverser Fachzeitschriften und Fachbücher sowie Herausgeber des Buches „Die Hoffnung trägt“. In diesem Buch berichten ehemals psychisch erkrankte Menschen von ihrer Recovery-Genesungs-Geschichte.

Eine dieser ehemals psychisch Erkrankten ist Dr. Angelika Filius aus Bielefeld. Sie will in Nienburg von ihrem Weg in die Genesung und ihrer jetzigen Hilfe für andere Erkrankte berichten. „Wir sind stolz, dass diese Experten zugesagt haben, auch in Nienburg das Recovery-Modell vorzustellen“, so Tissler-Berndt.

Abschließend beginnt eine Ausstellung mit Fotos von Werner Krüper zum Buch „Die Hoffnung trägt“ im Vestibül des Rathauses. Die Buchhandlung Leseberg hält im Oktober das Buch zum Vortrag und entsprechende Literatur am Lager und im Sonderfenster vor. Der Berufsbildungsbereich der Lebenshilfe will die Gäste mit Getränken und Häppchen verwöhnen, die Musikgruppe „Einfach anders“ vom Verein „Blauwahl“ der Betroffenen aus Sulingen stimmt ein „auf einen Hoffnung tragenden Nachmittag“, so Tissler-Berndt.

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