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„Ziemlich weit hergeholt, sozusagen graue Vorzeit“

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Vorposten christlicher Lebensorganisation: Die Städte Havelberg und Verden verbindet mehr als nur der Dom. © Meyer

Verden – Sie hatten sich gewappnet, die drei Verdener, die in offizieller Mission, aber völlig unangemeldet durch Havelberg stiefelten. Da war doch was, genau, ein Stück ähnlicher Geschichte, mit denen Verdens Bürgermeister Dr. Hartmut Friedrichs, dessen Stellvertreter Horst-Heiner Pabst und der damalige Stadtdirektor Dirk Richter über das Kopfsteinpflaster schritten. Den Pfarrer der Havelberger Stadtkirche hatten sie an diesen ersten Januartagen anno 1990 angesteuert. Das Für und Wider einer Städtepartnerschaft loteten sie aus.

Bei Kaffee und Stollen im noch reichlich weihnachtlich geschmückten Wohnzimmer des Klerikers griffen die Verdener Stadtoberen tief in die Historienkiste. „Die Bistümer Havelberg und Verden sind fast gleichzeitig als Vorposten christlicher Lebens- und Gemeindeorganisation gegenüber den heidnischen Wenden gegründet. Diese historische Gemeinsamkeit hat uns auf Havelberg gebracht“, hieß die Losung, die sie irgendwann in den Raum stellten. Aber statt erhoffter leuchtender Augen und mächtiger Euphorie ernteten sie nur betretenes Schweigen. Pfarrer Ulrich Wolff reagierte genauso wenig wie dessen Ehefrau. Sie sagten erstmal gar nichts.

Wolff beschrieb diese Szene später auf seine unnachahmliche Weise: „Die Verdener spürten es wohl selbst: Ziemlich weit hergeholt, über 1200 Jahre her, sozusagen graue Vorzeit. Macht sich aber in einem Pfarrhaus richtig gut.“ Verursachte jedoch nächste Ungereimtheiten. Die Kirchen des Kreises Havelberg verfügten allesamt über Partnergemeinden aus der BRD, der Bundesrepublik Deutschland, dem Westen. Aber Gemeinden des Kirchenkreises Verden gehörten nicht dazu, sie waren andernorts unterstützend tätig.

Die lähmende Stille rund um Krippe, Weihnachtstern und Gebäck beschreibt Pfarrer Wolff folgendermaßen: „Herr Richter scheint beunruhigt. War sowieso eine irre Idee von Dr. Friedrichs, einfach ohne die geringste Ortskenntnis, ohne Ansprechpartner vor Ort ins Blaue hinein loszufahren nach Havelberg und den Havelbergern eine Städtepartnerschaft anzubieten. Kann nur schiefgehen. Und jetzt sitzen sie hier und trinken Kaffee. Ist ausgerechnet die christlichen Geschichte der Kultivierung Norddeutschlands, an der Havelberg und Verden maßgeblich beteiligt sind, trotz der brisanten Parallelen hilfreich?“

Die angehende Städtepartnerschaft war schon an diesem Januartag des Jahres 1990 an einer Klippe angekommen. Würde sie beendet, noch ehe sie begonnen hatte? Wie war dieser Pfarrer Wolff einzuschätzen? Würde er dafür plädieren? Würde er zum Abwarten und weiterem Suchen beispielsweise nach bereits bekannten Partnern tendieren? 30 Jahre später hätte Verdens Stadtdirektor die Antwort gewusst, damals vermochte er den Havelberger Kirchenmann nicht richtig einzuschätzen. Richter: „Wie später bekannt wurde, gehörte Pfarrer Wolff nicht zum engeren System, er hatte nichts mit den Machthabern zu tun. Aber in den 40 Jahren DDR musste die Kirche über die Zeiten kommen, und das funktioniert nur, wenn man sich irgendwie mit den Verhältnissen arrangiert. Auch das wird Pfarrer Wolff sicher getan haben.“

Ullrich Wolff seinerseits hatte zu diesem Zeitpunkt schon ein neues Stück Havelberger Stadtgeschichte mitgeschrieben. Er führte die mutige Initiativgruppe Havelberg (IGH). Sie hatte sich nach den wöchentlichen Freitags-Friedensgebeten unter Federführung ebenfalls dieses Pfarrers Wolff bereits Anfang November 1989 gegründet. Wie das alles enden würde, stand noch in den Sternen. Wolff seinerzeit: „Bitter stößt immer noch Stefan Heims Bemerkung bei der Berliner Großdemo vom 4. November auf, in Deutschland habe noch nie eine Revolution gesiegt.“

Info

Teil 11 der Serie greift die entscheidenden Augenblicke an jenem Januar-Nachmittag im Havelberger Stadtkirchenpfarrhaus auf: Plötzlich drei Verdener und drei Havelberger am Tisch.

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