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Weg zu neuen Blutdruck-Senkern Säugertoxin aus der Dino-Zeit

Autor / Redakteur: Patricia Pätzold-Algner* / Christian Lüttmann

Giftige Tiere gibt es viele – doch unter Säugetieren ist Gift eine Seltenheit. Neben Schnabeltier sowie einigen Spitzmäusen und Primaten ist der nahezu ausgestorbene Schlitzrüssler eine weitere giftige Art. Dessen Venom haben nun Forscher der TU Berlin entschlüsselt.

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Der giftige Schlitzrüssler (Solenodon) ist eines der ältesten Säugetiere der Welt und extrem selten.
Der giftige Schlitzrüssler (Solenodon) ist eines der ältesten Säugetiere der Welt und extrem selten.
(Bild: Lucy Emory)

Berlin – Er ist eines der frühesten höheren Säugetiere der Erde und galt lange Zeit als ausgestorben: Der Solenodon. Mit rund 60 Zentimetern Körperlänge ist der behaarte „Schlitzrüssler“, wie er mit deutschem Namen heißt, ein lebendes Fossil und ein evolutionär einzigartiger Giftsäuger. Vor wenigen Jahren wurde der ungewöhnliche Säuger, der einer Riesenfeldmaus mit langem Rüssel ähnelt, überraschend wieder gesichtet. Er hatte an zwei Orten der Welt überlebt: Auf den Karibikinseln Kuba und Hispaniola. Doch die Wissenschaft weiß nach wie vor wenig über dieses seltene Tier.

Nun haben Biochemiker der TU Berlin zusammen mit internationalen Forschungspartnern sein Venom entschlüsselt, die Zusammensetzung seines Giftes. Sie identifizierten dabei auch ein Protein, das für eine zukünftige Medikamentenentwicklung vielversprechend sein könnte.

Gift zur Regulierung des Blutdrucks?

Die Zusammensetzung und Verwendung des Giftes beim Schlitzrüssler stellte bisher ein Rätsel dar. In der internationalen Zusammenarbeit untersuchten die Forscher die Toxin-Bestandteile sowie das Genom des Schlitzrüsslers.

Eine ähnlich zusammengesetzte chemische Substanz hätte auch Anwendungspotenzial in der Humanmedizin, wie Studienleiter Prof. Dr. Roderich Süssmuth vom Institut für Chemie der TU Berlin sagt: „Die Injektion des Giftes hat zur Folge, dass der Blutdruck rapide abfällt, wodurch der Beutefang erleichtert wird. Eine dem Toxin verwandte Verbindung ist auch im menschlichen Körper zu finden und von entscheidender Bedeutung zur Regulierung des Blutdrucks.“

Parallele Evolution von Toxinen

Das TU-Forscherteam fand heraus, dass sich das besondere Gift des Schlitzrüsslers evolutionär parallel zu anderen Insektenfresser-Toxinen wie Spitzmäusen, Igeln oder Maulwürfen bereits vor über 70 Millionen Jahren entwickelte – also zu einer Zeit, als Dinosaurier noch unsere Erde bewohnten. „Das Gift enthält spezielle Enzyme, die Proteine spezifisch spalten, so genannte Kallikrein-1-Serinproteasen“, erklärt Benjamin Hempel, Doktorand in Süssmuths Arbeitsgruppe.

Das Aufdecken dieser Details über das bisher nicht untersuchte Giftsystem des Schlitzrüsslers gibt neue Einblicke in die Lebensweise dieser beinahe ausgestorbenen Säugetiere. „Es war bislang noch nicht einmal bekannt, ob der Schlitzrüssler sein Gift, das er nach einem Biss über Kanäle in den unteren Schneidezähnen injiziert, zur Verteidigung, für Revierkämpfe oder zum Beutefang verwendet. Jetzt konnten wir zeigen, dass es für die Jagd kleinerer Säugetiere verwendet wird“, sagt Hempel.

Die bei der Untersuchung des Schlitzrüssler-Giftes gefundenen Proteine seien in den Speicheldrüsen verschiedener Säugetiere vorhanden, besitzen dort jedoch eine voneinander unabhängige toxische Rolle, wie der britische Wissenschaftler Prof. Dr. Nicholas Casewell sagt. Die Studienergebnisse seien daher ein faszinierendes Beispiel dafür, wie die Evolution neuartige Anpassungen für bereits existierende Systeme vornimmt.

Originalpublikation: Nicholas R. Casewell, Daniel Petras, Daren C. Card, Vivek Suranse, Alexis M. Mychajliw, David Richards, Ivan Koludarov, Laura-Oana Albulescu, Julien Slagboom, Benjamin-Florian Hempel, Neville M. Ngum, Rosalind J. Kennerley, Jorge L. Brocca, Gareth Whiteley, Robert A. Harrison, Fiona M. S. Bolton, Jordan Debono, Freek J. Vonk, Jessica Alföldi, Jeremy Johnson, Elinor K. Karlsson, Kerstin Lindblad-Toh, Ian R. Mellor, Roderich D. Süssmuth, Bryan G. Fry, Sanjaya Kuruppu, Wayne C. Hodgson, Jeroen Kool, Todd A. Castoe, Ian Barnes, Kartik Sunagar, Eivind A. B. Undheim, and Samuel T. Turvey: Solenodon genome reveals convergent evolution of venom in eulipotyphlan mammals, PNAS December 17, 2019 116 (51) 25745-25755; DOI: 10.1073/pnas.1906117116

* P. Pätzold-Algner, Technische Universität Berlin, 10623 Berlin

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