MOUNTAINBIKE
Er war ein Bikepionier und fuhr mit Beat Breu im selben Team

In der Serie «Was macht eigentlich …?» spricht der ehemalige Schlieremer Downhillfahrer Roger Essig (47) über die Anfänge des Mountainbikesports in der Schweiz, über seinen schweren Arbeitsunfall und die Zeit im Team mit «Bergfloh» Beat Breu.

Ruedi Burkart
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Roger Essig im Jahr 1995 mit eingebundenem Arm wenige Wochen nach der Entlassung aus dem Spital.

Roger Essig im Jahr 1995 mit eingebundenem Arm wenige Wochen nach der Entlassung aus dem Spital.

Ruedi Burkart/Limmattaler Zeitung

Wenn man sich nach knapp 20 Jahren zum ersten Mal wieder begegnet, gibt es viel zu erzählen. Und zu lachen.

«Schau dir nur an, was für Velos wir damals gefahren sind. Schmale Reifen und vorne kaum Federweg»,

sagt Roger Essig mit einem Schmunzeln. Im grosszügigen Wohnzimmer seiner Urdorfer Wohnung blättert der ehemalige Leistungssportler in einem Ordner mit Fotos und Zeitungsartikeln aus seiner aktiven Zeit. Damals, das war die Zeit zwischen 1993 und der Jahrtausendwende, als das damalige «Limmattaler Tagblatt» die Karriere des talentierten Mountainbikers hautnah mitverfolgte und die Leserschaft stets auf dem neusten Stand der Entwicklungen hielt.

«Roger Essig: Vertrag bei Profiteam von Beat Breu» lautete im Januar 1993 der Titel eines Artikels, ein anderer, zwei Jahre später: «Saison futsch nach Arbeitsunfall». Für einen Moment wird Essig ernst, blickt zu seiner Frau Patricia. Er trägt ein Kurzarmshirt, die Narben am rechten Unterarm sind gut sichtbar. Diese werden ihn das Leben lang an diesen fatalen Moment vor über 25 Jahren erinnern. Im Sommer 1995 war’s, als der damals 21-jährige gelernte Bauspengler bei der Arbeit mit einem Kübel heissem Bitumen stürzte und sich die Brühe über den Arm leerte. Beim Malheur zog sich Essig Verbrennungen dritten Grades zu, zweimal war eine Hauttransplantation nötig. «Das war eine schwierige Zeit», sagt Essig.

Unfall hin oder her, mit seinem geliebten Sport wollte er nicht aufhören. So ganz nach dem Motto: Wer mit 80 Sachen einen Berg hinunterrast, den hält ein solcher unglücklicher Vorfall nicht auf.

«Ich musste eine Trainings- und Rennpause einlegen. Nach meiner Genesung fuhr ich weiter. Aber danach war es nicht mehr das Gleiche»,

sagt Essig. Er erreichte nie mehr das Niveau, das ihn an die Weltspitze hätte bringen können.

Sportliches Quartett: Die Familie Essig-Roth ist viel mit dem Bike unterwegs.

Sportliches Quartett: Die Familie Essig-Roth ist viel mit dem Bike unterwegs.

zvg/Gaudenz Danuser

In der heutigen Zeit kaum zu glauben, aber Roger Essig begann erst im Alter von 17 Jahren rennmässig Mountainbike zu fahren. Zum Vergleich: Seine beiden Kinder im Alter von acht und zehn Jahren flitzen jetzt schon mit ihren Bikes über die engsten Singletrails, als hätten sie nie etwas anderes gemacht.

«In der Schweiz kamen die Mountainbikes erst gegen Ende der 1980er auf, vorher gab’s die gar nicht»,

sagt Essig. Die geländetauglichen Velos mit stabilem Rahmen, Federung, vielen Gängen und Profilpneus kommen ursprünglich aus den USA, die Mountainbikewelle schwappte Mitte der 1980er-Jahre auf Europa über. 1988 fand in Crans-Montana die erste Weltmeisterschaft statt, bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta wurde im Mountainbiking erstmals um Medaillen gefahren.

Schlussstrich unter die Karriere mit 27 Jahren

Vor seinem Wechsel aufs Bike kurbelte Roger Essig zusammen mit Schlieremer Kollegen auf dem Rennvelo durch die nähere und weitere Umgebung. «Zwei Räder, dann ist Roger zufrieden», sagt seine Frau Patricia lachend. Den Sprung an die internationale Downhillspitze schaffte der Limmattaler nie ganz, auch wenn er an Juniorenweltmeisterschaften teilnehmen durfte und auch im Weltcup die eine oder andere Duftmarke setzen konnte. 2001 war schliesslich fertig, Essig gab im Alter von 27 Jahren seinen Rücktritt bekannt.

«Ich konnte mit den jungen Fahrern nicht mehr mithalten. Der Bikesport entwickelte sich enorm schnell, und ich habe mir eingestehen müssen, dass jetzt die Zeit gekommen ist, Adieu zu sagen.»

Essig schaut nicht frustriert auf seine Karriere im Mountainbikesport zurück – im Gegenteil!

«Ich habe viel gesehen von der Welt. Ich startete an Weltmeisterschaften und durfte beispielsweise im Weltcup in Übersee teilnehmen, in Vail und Hunter Mountain. Es war eine gute Zeit.»

Bekanntlich öffnet sich meistens eine Tür, wenn eine andere sich schliesst. So auch bei Roger Essig, beruflich wie privat. Seinen Job als Bauspengler musste er nach seinem Arbeitsunfall aufgeben, heute arbeitet er im Aussendienst für eine Handelsfirma. Und seit 2006 ist er zusammen mit seiner Patricia. Gefunkt hatte es zwischen den beiden, als Essig in einem bei Schweizern äusserst beliebten Bikehotel im italienischen Ort Massa Vecchia Ferien verbrachte. Patricia leitete damals das Hotel. «Wir haben dieselben Interessen, es passte von Beginn an», erinnert sich Patricia, die nach der Heirat im Jahr 2010 ihren Nachnamen Roth behalten hat. Dem Paar wurden zwei Kinder geschenkt, Sohn Loris ist acht Jahre, Tochter Noela zehn Jahre alt. Patricia Roth betreibt mit der Bike Agentur in Urdorf eine Firma, die touristische Destinationen bezüglich Angebotsentwicklung und Marketing berät.

Der Videodreh mit dem Olympiasieger

Unnötig zu erwähnen, dass die beiden Sprösslinge ebenfalls sehr sportlich sind. «Wir sind als Familie sehr viel unterwegs. Langweilig ist es nie», sagt Patricia mit einem Lächeln. Im Winter geht’s fast jedes Wochenende zum Skifahren, Schlitteln oder Langlaufen in die Berge. In der warmen Jahreszeit ist Velofahren angesagt. Und auf ihren Bikes gibt das Quartett aus Urdorf mächtig Gas.

Auf verschiedenen Social-Media-Kanälen postet die Familie Essig-Roth immer wieder aufwendig hergestellte Videos von Ausfahrten. Zuweilen ist in den Filmchen auf dem Internetportal Youtube auch Prominenz auszumachen. Unter dem Titel «Like Kate, like Nino» beispielsweise machen Loris und Noela mit dem achtfachen Weltmeister und Olympiasieger Nino Schurter sowie der Amerikanerin Kate Courtney – der Weltmeisterin von 2019 – eine Ausfahrt und versuchen, ihren Idolen nachzueifern. Der Grund für die spezielle Zusammenarbeit zwischen den Limmattalern und dem amtierenden Europameister Schurter: Werbung für Ausrüster Scott.

«Es macht Spass, solche Sachen zu realisieren. Für uns, für die Kinder, auch Nino ist davon begeistert»,

freut sich Mami Patricia. Übrigens: «Like Kate, like Nino» wurde bisher über 28000-mal angeklickt.

Eine Sache muss abschliessend doch noch geklärt werden. Wie war das damals mit Beat Breu? War Essig vor 28 Jahren tatsächlich Teamkollege des zweifachen Tour-de-Suisse-Siegers und Triumphators der Alpe-d’Huez-Etappe an der Frankreichrundfahrt 1982? Essig schmunzelt und sagt:

«Ja, das war tatsächlich so. Ich wechselte auf die Saison 1993 vom Team GT zum Team Wheeler. Und dort war eben auch Breu im Herbst seiner Karriere unter Vertrag. Wenn ich mich richtig erinnere, kam er vom Radquer zum Mountainbike.»

Viel zu schaffen hatte Essig mit dem Ostschweizer indes nicht. «Mir ist jedenfalls keine Begegnung mit ihm im Gedächtnis haften geblieben.»

Was macht eigentlich?

In ihrer Serie «Was macht eigentlich?» beleuchtet die «Limmattaler Zeitung» das aktuelle Leben ehemaliger Grössen des Regionalsports. Die Serie erscheint in loser Folge.