RICHTER IN ENGLAND MÜSSTE MAN SEIN
Entgegen landläufiger Meinung und vielen falschen Stock-Fotos schwingen zwar auch englische Richterinnen und Richter keinen Hammer (gavel). Aber sonst ist auf der Insel so ziemlich alles besser als hierzulande: Das schnöde Gehalt (siehe Post) ist dabei nur ein Aspekt. Wichtiger ist das Standing, das Judges dort genießen. Nach 20 Jahren Erfahrung mit deutsch-englischen Prozessen habe ich den direkten Vergleich. Ein paar Beispiele:
- Vom Gericht gesetzte Fristen und Termine gelten. Verlängerungsanträge? Nur im absoluten Ausnahmefall. Terminsverlegung? Forget it.
- Parteien und Zeugen müssen ihre Aussagen Monate vorher detailliert schriftlich niederlegen und mit einer eidesstattlichen Versicherung (statement of truth) versehen. Gnade dem Zeugen, wenn sich im Kreuzverhör durch den Gegneranwalt dann herausstellt, dass der Vortrag nicht stimmt.
- Zum Thema Umgang hier ein Auszug aus der Berufsordnung für Barrister: "Man wendet dem Richter nie den Rücken zu. Muss man den Gerichtssaal verlassen, während der Richter noch anwesend ist, verbeugt man sich und verlässt rückwärts gehend den Saal". No joke. Am Amtsgericht Wanne-Brummhausen muss man als Richter schon froh sein, vom (keinen Schlips tragenden) Anwalt überhaupt gegrüßt zu werden.
- Apropos Schlips: Für Barrister besteht ein mehrseitiger Dress Code der Anwaltskammer (Bar Council). Braune Schuhe oder gar braune Anzüge gehen zum Beispiel gar nicht ("when in town, don't wear brown"). https://lnkd.in/eMqRWNSv
- Die Zivilprozessakte (trial bundle) führt nicht das Gericht, sondern - aufgepasst - die Klagepartei. Der Anwalt des Klägers muss die vollständige Gerichtsakte (in Wirtschaftsprozessen können das mehrere 1.000 Seiten sein) kurz vor dem Verhandlungstermin dem Gericht schicken (not earlier than 7 days and not later than 3 days before the trial). Als Papierakte und als PDF. Und wehe es fehlt was oder die Datei ist korrumpiert.
- Zivilurteile schreiben die englischen Richter übrigens in "ich-Form" und sparen oft nicht mit Schelte. Da wird schon mal ins Urteil aufgenommen, dass das Gutachten des Sachverständigen John Smith (natürlich wird in englischen Urteilen nichts anonymisiert) "komplett unbrauchbar" war oder die rechtlichen Ausführungen des Anwalts Harry Brown "keine Substanz" hatten. Wie meinen Sie? Sie wollen einen Befangenheitsantrag stellen? Machen Sie sich bitte nicht lächerlich!
Man kann die Liste noch etliche Seiten lang fortsetzen und in meinem bald erscheinenden Praxishandbuch zum englischen Prozessrecht habe ich das auch getan.
Deutsche Richterinnen und Richter merken bei solchen Beispielen vielleicht, dass ihnen da in puncto Standing und Respekt etwas entglitten sein könnte. Ob sie allerdings in Zeiten der Klimaerwärmung auf die schicken Pferdehaarperücken neidisch sind, die die englischen Kolleginnen und Kollegen tragen müssen? https://lnkd.in/ee9y-e5K