«AUFGEGABELT»: Neuer Gourmetführer für Beizen mit Charakter und Seele

Das Gegenstück zu «Gault-Millau» & Co.: Martin Jenni hat 555 Schweizer Adressen für unverfälschten Genuss aufgegabelt. Mit reicher Zentralschweizer Auswahl.

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Eines von 555 Beispielen – «Bistro 54», Stans: «Alles da, was Freude macht.» (Bild: Marco Aste/www.at-verlag.ch)

Eines von 555 Beispielen – «Bistro 54», Stans: «Alles da, was Freude macht.» (Bild: Marco Aste/www.at-verlag.ch)

Hans Graber

Gastroführer vermögen aus zwei Gründen meist nicht recht zu befriedigen. Entweder huldigen sie wie im Falle des «Gault-Millau» willfährig und recht engstirnig einer oft ziemlich abgehobenen Kochakrobatik und deren Exzessen, die durchaus auch finanzieller Natur sein können. Oder aber den Führern haftet von der ersten bis zur letzten Seite ein «Gschmäckle» an: Wenn der Beizer bezahlt hat, darf er mit einem wohlwollenden Eintrag rechnen und diesen gleich selber schreiben.

Eine schwache Alternative sind Bewertungsportale im Internet. Im Jekami tummeln sich allzu oft bestochene Gefälligkeitsgutachter, blasierte Selbstdarsteller, fehlgeleitete Foodies und durchgedrehte Wutbürger.

Wer gerne geniesst und etwas Gutes isst, sich dabei aber ungezwungen wohlfühlen möchte, statt einem sternegekrönten Hochamt beizuwohnen, kennt hoffentlich in seiner näheren Umgebung ein paar Adressen. Schwieriger wird es, wenn man sich ausserhalb des heimischen Gevierts herumtreibt und nach einer passablen Lokalität sucht. Nur noch bedingt verlässlich ist die alte Faustregel, dass ein volles Haus zuverlässig Gewähr für eine ungetrübte Einkehr bietet, denn auch mit dieser sogenannten Schwarmintelligenz ist es leider nicht immer so weit her.

Was also tun? Am besten das soeben erschienene und sehr preiswerte Büchlein «Aufgegabelt» zur Hand nehmen. Der im Jura einsitzende Martin Jenni (58), Journalist und Buchautor mit einem Flair für feine Lebensart, listet darin «555 stimmungsvolle Beizen und authentische Produkte» auf. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber alles nach seinem persönlichen Gusto.

Will heissen: Beizen und Läden mit Seele und Charakter. Orte wie zum Beispiel das «Alpina» in Lumbrein GR, wo einem «bei der Rüebli-Frischkäse-Torte von Carla und einem Glas Schiller alles egal wird. Auch die Abfahrtszeit des Postautos.»

Jenni schätzt Wirtschaften, «die mit reellen Gerichten, Geschichten und filigranen Weinen» überzeugen. Zuwider sind ihm teure Luxushütten und andere Lokalitäten, die auf Folklorebarock getrimmt sind oder mit Balsamico-Klecksen auf radkappengrossen Tellern langweilen. Mit ganz allem muss man ja nicht mit Jenni einiggehen, aber ob man einigermassen auf gleicher Wellenlänge ist, zeigt vermutlich die Übersicht der Adressen aus unserer Region (unten). Es empfiehlt sich freilich, zu diesen Lokalitäten auch die kurzen, aber immer stimmigen Beschreibungen im Buch zu lesen.

Gelegenheit, sich mit der kulinarischen Welt von Martin Jenni vertraut zu machen, gab es bereits früher, in «Cervelat und Tafelspitz», einer Liebeserklärung an 99 Beizen, sowie «Buttenmost und Ochsenschwanz», einer Ode an 84 Originale und ihre kulinarischen Geheimnisse.

Und nun also «Aufgegabelt» in handlicher Form zum Mitnehmen beim Herumstreunen in den vier Landesteilen, mit einem besonderen Übernachtungstipp für jeden Kanton. Die Bandbreite der 555 Adressen reicht vom «Gault-Millau»-Restaurant bis zu einfachen Spunten mit einer einzigen Hausspezialität, vom edlen Feinkostladen bis zur gut gehopften Kleinstbrauerei.

Naturgemäss hat nicht alles, was Martin Jenni gefällt, Bestand: Das eine oder andere im Buch ist bereits überholt. Wegen zu geschlossen. Aber der Gesamteindruck wird nicht getrübt. Und die entstehenden Lücken lassen sich ja auch wieder schliessen. Danke im Voraus, Herr Jenni, 555- oder besser 1110-fach.

Hinweis

Martin Jenni, «Aufgegabelt», AT-Verlag, www.at-verlag.ch, 328 S., Fr. 19.90