Sika
Gefangen im Machtkampf mit der Gründerfamilie

Im Streit um Sika scheint ein Kompromiss kaum mehr möglich. Augenschein an einem Gerichtstermin.

Niklaus Vontobel
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Aufgeben, und fertig: Sika-Verwaltungsräte Daniel Sauter, Monika Ribar, Frits van Dijk und Ulrich Suter.

Aufgeben, und fertig: Sika-Verwaltungsräte Daniel Sauter, Monika Ribar, Frits van Dijk und Ulrich Suter.

Keystone

Zug, Kantonsgericht. Im Saal mit der Nummer 12 sitzen an einem verregneten Donnerstag ein Dutzend Menschen, herbeigerufen durch die bittere Logik eines irrational gewordenen Streits. Kompromisse sind unmöglich an diesem Schauplatz im drei Jahre andauernden Kampf um den Bauzulieferer Sika. In diesem Saal ist alles umstritten, selbst die Zahl der Schauplätze.

Im Mai 2015, ein halbes Jahr nachdem sie ihre Verkaufspläne offenlegte, reichte die Gründerfamilie Burkard eine Verantwortlichkeitsklage ein gegen drei der sechs widerspenstigen Verwaltungsräte. Diese würden viel zu viel Geld aus den Sika-Kassen nehmen, um einen ungerechtfertigten «Unabhängigkeitskampf» zu finanzieren. Damit würden sie ihre Pflichten verletzt. Das Gericht solle sie zur Rückzahlung der verschwendeten Millionen verurteilen.

Der Promi

Und so sitzen die drei Beklagten an diesem 15. Februar im Saal 12. Monika Ribar, 58 Jahre alt, ist der Promi, seit zwei Jahren ist sie Präsidentin der SBB. Christoph Tobler, ehemals Leiter einer Sika-Sparte, ist heute CEO eines anderen Traditionsunternehmens. Ulrich Suter, 73, ist der Dienstälteste. Der ehemalige ETH-Professor, Spezialist für Materialien, wollte eigentlich schon vor drei Jahren altershalber aus dem Verwaltungsrat austreten. «Sehr stolz» wäre er damals auf seine Sika-Zeit gewesen. Stattdessen sitzt er nun da als Beklagter und wird mit traurig-vorwurfsvollen Blicken bedacht vom Anwalt der Burkards, Paul Bürgi.

Während seines Plädoyers schaut dieser Bürgi oft nach rechts, zu den Beklagten. Sie hätten total 17,4 Millionen Franken an Kosten verursacht. Alleine 4,3 Millionen für Investmentbanker. Diese hätten sie nach Wegen suchen lassen, um die Burkards auszukaufen. Aber: «Nach schweizerischem Recht wählen die Aktionäre den Verwaltungsrat (...). Es ist nicht der Verwaltungsrat, der sich die Aktionäre aussucht.» Blick nach rechts. Dabei macht er das Gesicht eines Vaters vor dem Kind, das ihn enttäuscht hat.

«Widerstand brechen»

Für Rechtsberater hätten die Anwälte rund 9,7 Millionen ausgegeben, so Bürgi weiter. Die Höhe des Betrages zeige, dass es dabei nicht um die Interessen der Sika gegangen sei. «Die Beklagten haben sich entschlossen, ohne Rücksicht auf deren Belastung jede mögliche Ausgabe zu finanzieren.» Ins Auge springen würden die Rechnungen von Professor Peter Nobel. 1,7 Millionen für ein Gutachten von weniger als 100 Seiten. Ein besonders betrübter Blick nach rechts, die Mundwinkel gehen tief nach unten.

Beat von Rechenberg, Anwalt der Beklagten, hat eine andere Strategie. Fast zwei Meter gross, graue Löwenmähne, verpackt er Fakten in gute Storys. Vor «der schwerwiegendsten strategischen Herausforderung in der Geschichte von Sika» hätten seine Klienten gestanden. Die Einverleibung in den Grosskonzern Saint-Gobain habe gedroht, der Verlust der unternehmerischen Selbstständigkeit. Was, fragt er rhetorisch, hätten die Beklagten da tun sollen an jenem Wochenende im Dezember 2014. Die Hände in den Schoss legen?

Nein, so von Rechenberg, seine Klienten seien nicht nur berechtigt gewesen, Berater beizuziehen. «Vielmehr waren sie dazu verpflichtet, die sich stellenden Fragen abklären zu lassen.» Dieser Pflicht kämen sie seit über drei Jahren beispielhaft nach. Der Börsenwert habe sich verdoppelt seit dem Dezember 2014. Derweil verweigerten die Burkards seinen Klienten das übliche Honorar. «Auch diese Massnahme bezweckt nur, den Widerstand der unabhängigen Verwaltungsräte zu brechen.»

Viele Gespräche

Die Hände in den Schoss legen – das wollte ETH-Professor Suter damals tatsächlich nicht. Er war an jenem Wochenende dabei, für Gäste eine Weinflasche zu öffnen, als das Display seines Handys aufleuchtete. Paul Hälg stand darauf, der Präsident von Sika. In vielen Gesprächen über die folgenden 48 Stunden wollte Suter eines wissen: Ist der Deal mit Saint-Gobain sinnvoll für Sika? Das Management sagte Nein. Saint-Gobain überzeugte ihn nicht. Also blieb er im Verwaltungsrat, obschon er zurücktreten wollte, und widersetzte sich dem Plan der Burkards.

Seither habe Suter wiederholt mitgeholfen, einen Kompromiss zu suchen. Er glaubte, ein Vertrauensverhältnis zur Familie zu haben. Sei aber abgeblockt worden. «Man sagte uns, wir sollten aufgeben, und fertig. Auch Drohungen gab es, man werde uns finanziell ruinieren.» Angefangen hatte seine Zeit bei Sika harmonisch, mit einem angenehmen Essen am Zürichsee. Für ihn war entscheidend, dass Sika eine Eigentümerfamilie im Hintergrund hatte. In seiner Karriere nahm er nur VR-Posten bei solchen Familienunternehmen an. «In diesem Fall ging diese Strategie jedoch gründlich in die Hosen.»

Mit der Härte, mit der diese Auseinandersetzung geführt wird, scheinen sich beide Seite mittlerweile abgefunden zu haben. Dennoch wundern sich altgediente Angestellte manchmal, wie es in diesen drei Jahren so weit kam. «Es ist einfach nicht Sika-like, wie wir miteinander umgehen», sagt einer. Der Streit beschäftigt ihn offensichtlich, und er liest neuerdings Literatur aus der Konfliktforschung. «In den ersten paar Stufen ist ein Kompromiss noch möglich. Danach geht es nur noch um eines: Der eigene Schaden soll geringer sein als der Schaden des Gegners.» Der Streit um Sika habe die ersten paar Stufen längst überschritten. Rein rational geht es nicht mehr zu und her.