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SPD schafft Kommission mit Historikern ab

Tiefensee fordert Weiterarbeit, Eckert warnt vor Niedergang

Günther Heydemann

Günther Heydemann

Leipzig. Nachdem die SPD Ende Juni ihre „Historische Kommission“ (HiKo) aufgelöst hat, wächst in der Ost-SPD und unter Historikern die Wut. Immer mehr wenden sich an den Parteivorstand mit der Forderung, die Entscheidung wieder zurückzunehmen. Die über 150 Jahre alte SPD habe sich immer durch historisches Bewusstsein ausgezeichnet, dies stünde mit dem Aus der HiKo jetzt auf dem Spiel, lautet der Generalvorwurf. Die Kommission wurde 1981 unter SPD-Chef Willy Brandt (1913–1992) gegründet, der Vorschlag kam von SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz (1939– 2005), der nach der Wiedervereinigung Gründungsrektor der neuen Erfurter Uni wurde. Die HiKo äußerte sich zu aktuellen und historischen Fragen und arbeitete an der Aufarbeitung der SPD-Geschichte.

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Damit soll nach dem Willen der Parteiführung jetzt Schluss sein, aus Kostengründen wie es heißt. Dietmar Nietmann soll als Bundesschatzmeister der SPD sich quasi im Nebenjob mit historischen Fragen beschäftigen, um die eigene Vergangenheit soll sich die parteinahe Friedrich-Ebert-Stiftung kümmern.

Doch der Druck auf die Parteiführung wächst, die Empörung über die HiKo-Abschaffung nimmt zu. So wenden sich bislang schon über 700 Unterzeichner in einem „Offenen Brief“ direkt an Parteichefin Andrea Nahles „Keine Zukunft ohne Geschichte“ lautet der in der Überschrift verankerte Grundgedanke des Protestes. Die Unterschriftenliste ist geprägt von linksliberalen Historikern, aber auch konservative Kollegen ohne SPD-Parteibuch zeigen sich solidarisch. Aus Sachsen unter anderem mit dabei: Günther Heydemann (Hannah-Arendt-Institut Dresden), Dirk von Laak (Uni Leipzig) und Stefan Troebst (Osteuropa-Experte, Uni Leipzig). Aus Thüringen zählt Jörg Ganzenmüller, Chef der Stiftung Ettersberg, zu den Erstunterzeichnern. Zudem haben die Mitgründer der Ost-SPD, Stephan Hilsberg und Markus Meckel, unterschrieben. Die Unterzeichner kritisieren das HiKo-Ende als „einen schweren politischen Fehler“. Deshalb lautet die Forderung an Parteichefin Nahles. „Revidieren Sie diesen geschichts- und gegenwartsvergessenen Beschluss!“

Politischen Flankenschutz erhalten die Historiker von Thüringens SPD-Chef Wolfgang Tiefensee. „So sehr ich Verständnis für notwendige Einsparmaßnahmen habe, diese Entscheidung sollte noch einmal überdacht werden“, forderte er in der Thüringischen Landeszeitung. „Ich hoffe, dass es doch noch eine Möglichkeit gibt, die Weiterarbeit der Kommission wenn auch mit schmalerem Budget zu ermöglichen.“ Hart mit der eigenen Parteiführung geht auch Rainer Eckert, Ex-Chef des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig, ins Gericht. Der Historiker hat den „Offenen Brief“ mit unterschrieben und mit einem persönlichen Brief („Lieber Lars ...“) an SPD-Generalsekretär Klingbeil noch nachgelegt. „Für uns als Gründer-Generation der Ost-SPD in der Friedlichen Revolution ist es besonders bitter, dass fast 30 Jahre später die SPD eine West-Partei geblieben ist“, schreibt er in einer Art Generalabrechnung. Der Sozialdemokratie sei das Bewusstsein für die Bedeutung von Geschichte verloren gegangen. Eckerts vernichtendes Fazit lautet, dass die neue SPD-Parteiführung nicht begriffen habe, dass die Revolution von 1989 als demokratische Tradition von großer Bedeutung für den ganzen Westen sei. Und einmal in Rage lässt der Historiker seinen Brief mit einem Fazit enden, das jedem Genossen in den Ohren klingen muss. „Nach meinen Beobachtungen entwickelt zurzeit die AfD ein weitaus stärkeres Geschichtsbewusstsein.“ Er befürchte deshalb, dass sich der Niedergang der SPD vor allem im Osten fortsetzen werde.

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Von André Böhmer

LVZ

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