„Tante Tilla“ und Toskana: So wurde der Wacholder zum Nationalgetränk der Lipper

Till Brand

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Ein Schlückchen in Ehren: Hobbyhistoriker Hermann Hentschel (links) und Spirituosenfabrikant Jürgen Schöttker studieren das Etikett einer Wacholder-Flasche. Eine fünfstellige Zahl stellt Schöttker davon Jahr für Jahr her. - © Till Brand
Ein Schlückchen in Ehren: Hobbyhistoriker Hermann Hentschel (links) und Spirituosenfabrikant Jürgen Schöttker studieren das Etikett einer Wacholder-Flasche. Eine fünfstellige Zahl stellt Schöttker davon Jahr für Jahr her. (© Till Brand)

Lemgo. Gin ist in aller Munde. Trendy ist, wer ihn trinkt. Ob im Negroni gepaart mit Wermut und Campari oder so klassisch wie simpel mit Tonic. Während der Gin-Hype aber erst vor wenigen Jahren einsetzte, hält sich die Liebe der Lipper zum Wacholder schon deutlich länger als die berühmteste Gin-Verfechterin Queen Mum im Amt. Wie es zu der mehr als Hundertjährigen Brüderschaft von Wacholder und lippischer Rose kommen konnte, hat die LZ bei einem ergründet, der es wissen muss: dem Spirituosen-Produzenten Jürgen Schöttker.

Lippe und Wacholder... das ist so eine Sache. Die Wacholderbeeren, die eigentlich Zapfen eines Nadelgehölzes sind, bezieht Jürgen Schöttker heute „direkt von den Südhängen der Toskana", wie er betont. Der Qualität wegen: mildes Klima, guter Boden. Auch Wippermann Lemgo kaufte in Italien ein. Früher, so der Hobbyhistoriker Hentschel Hermann, dürfte aber auch die alte Hansestadt eigene Wacholder-Reviere gehabt haben: die Südhänge des Biesterbergs ebenso wie die Luherheide, die sich der Sonne entgegen recken. Hier erinnert der Name Wacholderweg an die Historie.

Die Rohware kommt in großen Säcken

Sonne, Sonne, Sonne – damit kommt das Gehölz gut zurecht. Der Jahrhundertsommer 2018 hätte ihm gefallen. In großen Säcken lässt Jürgen Schöttker die Rohware heute aus Italien importieren – direkt zum Brenner, wo nach dem alten Familienrezept angesetzt wird. Einmal jährlich, dann muss die Charge passen, damit sie auch für das Lemgoer Schützenfest passt, bei dem der Wacholder bekanntermaßen eines der Grundnahrungsmittel darstellt. Selbstverständlich oberschenkelwarm. „Dann entfaltet er seine Aromen besser", unterstreicht Hentschel. Auch gute Kneipen hätten immer zwei Flaschen im Anbruch, eine im Kühlschrank, eine im Wandschrank.

Von Schöttkers Brennblase ist es derweil noch ein weiter Weg. Das Destillat, das aus den Rohren rinnt, hat zunächst 73 Volumen-Prozent Alkohol, zu viel für den Konsum. Jürgen Schöttker selbst entscheidet, wann der ungenießbare Vorlauf zu Ende ist, und wann der wiederum zu trennende Nachlauf gewinnt. Was dazwischen entsteht ist es, was der Spirituosen-Produzent will. Stimmt der Geschmack, wird das Ganze auf die vorgeschriebenen 32 Prozent heruntergemischt.

Vom Zieglertropfen zum Nationalgetränk

Eine fünfstellige Zahl an Flaschen kommt so jährlich zusammen – dazu gesellt sich der Wippermann, der inzwischen zwar nicht mehr aus Lemgo stammt, aber trotzdem noch am Markt gut ankommt. Die Silhouette des Wippermannschen Hauses in der Kramerstraße versprüht Lokalkolorit. Doch ob Wippermann oder einer der zwei Schöttker-Wacholder – wie wurde der Brand zum lippischen Nationalgetränk? Da ist Hobbyhistoriker Hentschel gefragt. Er geht davon aus, dass die Geschichte der lippischen Ziegler, „die halb Berlin aufgebaut haben", damit zusammen hängt. Die Männer hätten einen Knochenjob gehabt, „da hat man zum Ausgleich gern einen genommen", meint Hentschel.

Schöttkers Wacholder-Geschichte reicht bis 1901 zurück, die von Wippermann (heute im Besitz von Heydt in Haselünne) bis ins 19. Jahrhundert. Schlachter verlangten seinerzeit erst ein Gläschen, bevor sie das Messer wetzten. Bei Schöttker füllte „Tante Tilla" den Wacholder aus alten Tongefäßen in Flaschen um, die die Kunden mitbrachten. Dann war da Familie Tintelnot, die ihren eigenen Schnaps hatte. Und Wirtin „Puttchen": Bei ihr gab es zum Wacholder auf Wunsch einen Schuss Kräuterbitter. „Boonekamp aus der Maggi-Flasche, so viel man wollte", erinnert sich Hermann Hentschel.

Geschichten, die Geschichte sind. Wie die von Jürgen Schöttkers Großmutter. Sie starb sechs Wochen vo ihrem 100. Geburtstag. „Weil sie morgens und abends einen Wacholder aus dem Nachttisch nahm", sagt er. „Hätte sie mittags auch noch einen getrunken, wäre sie 100 geworden."

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