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Parlamente: Wie man mit Grundrissen Politik macht

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Architektur der Abgeordnetenhäuser Wie der Grundriss der Parlamente ihre Politik prägt

Auf den ersten Blick könnte man glauben, man sei im Jahr 1977 gelandet. Doch tatsächlich schreibt man auch in diesem Raum das Jahr 2016. 616 Parlamentarier sollen hier im russischen Parlament ihre Entscheidungen treffen, ein Raum mit grauem Teppich, Neon-Kronleuchtern und hellen Holztischen.

Ganz anders sieht es am Treffpunkt des Kgotla in Botswana aus. Die Mitglieder des informellen Gemeindeparlaments tagen unter einem Strohdach mit offenen Wänden. Und doch haben zwei Amsterdamer Architekten Gemeinsamkeiten bei beiden Volksvertretungen gefunden. Beide Räume haben ein "Klassenzimmer.-Layout"; die Parlamentarier sitzen in Reihen. "Es ist eine sehr praktische Form, wenn Sie die ganze Aufmerksamkeit nach vorne haben wollen," zitiert das Webmagazin Wired.com David Mulder van der Vegt,  Partner der Kreativagentur XML. "Diese Form ist sehr beliebt in nicht demokratischen Regimen."

Van der Vegt hat sich zusammen mit seinem Partner Max Cohen de Lara die Parlamentssitze aller 193 UN-Mitgliedsstaaten angeschaut. Ihr Buch "Parlament" zeigt die Grundrisse etlicher Volksvertretungen. Alle lassen sich in fünf Typen einordnen: Halbkreis, Hufeisen, gegenüberliegende Bänke, Kreis und Klassenzimmer.

"Wenn man sich vorstellt, wie man mit jemanden diskutiert, der neben einem sitzt -oder der von oben herab auf einer Kanzel steht, dann dürfte das Auswirkungen haben", meinen die beiden Herausgeber.

Das britische Unterhaus zum Beispiel trifft sich im Palast von Westminster auf gegenüberliegenden Bänken. Entworfen von den Architekten Charles Barry, Augustus Pugin und Giles Gilbert Scott im Jahr 1950 stehen sich die beiden wichtigsten politischen Parteien frontal gegenüber. Dadurch ließen sich inhaltliche Positionen schnell erschließen; die Enge des Raumes führe zudem zu intensiveren Debatten, meinen die Autoren.

Das deutsche Parlamentsgebäude wurde 1999 im Rahmen der Renovierungsarbeiten im Reichstag neu geordnet. Dahinter steckt Stararchitekt Norman Foster. Er setzte das Parlament, wie in den meisten europäischen Ländern üblich, in einen Halbkreis. Der fächerförmigen Grundriss hat seinen Ursprung in der griechischen Antike und wurde in römischen Theatern und Amphitheatern fortgesetzt. Das Nebeneinander ist ein visuelles Zeichen, die Macht einzelner beschränken zu wollen. Im Gegensatz zu den britischen gegenüberliegenden Bänken zeigt der Halbkreis das Parlament als Einheit.

Das Gebäude, in dem das Parlament Brasiliens, die União, tagt, wurde von dem berühmten Architekten Oscar Niemeyer entworfen. Er baute im Unterrichtsstil - zwar sitzen die Parlamentarier auf Eames-Lederstühlen, die Führungsspitze sitzt jedoch gegenüber. Van der Vegt sieht darin mehr Ähnlichkeiten mit den russischen, nordkoreanischen und chinesischen Abgeordnetenhäusern als mit anderen demokratischen Ländern. Der Architekt sieht großen Innovationsbedarf für die Struktur von Parlamentsgebäuden. Häufig zeige sich in der Bauweise, ob Parlament und Gesetzgebungsorgane funktionieren oder nicht, so Van der Vegt. Alle üblichen Typologien stammten aus dem 19. Jahrhundert. Heute müssten die Säle aber so konzipiert sein, dass sie viel flexibler auf die politische Dynamik reagieren können.