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Energiegipfel Schiefergas entwertet teure Pipelines

Brisantes Thema auf dem EU-Energiegipfel: Das lange vernachlässigte Erdgas wirbelt die politischen Pläne durcheinander. Denn die Energie von morgen könnte nicht aus russischen Pipelines, sondern aus so genannten "unkonventionellen Vorkommen" gefördert werden - etwa im Emsland, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
Von Kristian Klooß
Arbeit am Pipeline-Projekt "Northstream": Die Ostseepipeline soll russisches Erdgas von Russland nach Greifswald leiten - doch gleichzeitig setzen viele Energiekonzerne auf unkonventionelle Gasvorkommen, zum Beispiel die Gasgewinnung aus Schieferstein. Und davon gibt es in Deutschland reichlich

Arbeit am Pipeline-Projekt "Northstream": Die Ostseepipeline soll russisches Erdgas von Russland nach Greifswald leiten - doch gleichzeitig setzen viele Energiekonzerne auf unkonventionelle Gasvorkommen, zum Beispiel die Gasgewinnung aus Schieferstein. Und davon gibt es in Deutschland reichlich

Foto: Stefan Sauer/ dpa

Hamburg - Erstmals seit 2006 treffen sich an diesem Freitag die Staats- und Regierungschefs zu einem EU-Energiegipfel. Ziel ist, die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Strom-Binnenmarkt in Europa zu schaffen. In Brüssel geht es daher um Einsparungen, Marktregulierung und den Netzausbau. Die Hintergrundmusik spielen - wie schon 2006 - die steigenden Rohstoffpreise.

In der Tat gleicht die heutige Situation vordergründig jener, die die Energiemärkte der letzten Konferenz prägte. Damals hatte sich der Ölpreis der Marke Brent von knapp 18 Dollar pro Fass im Jahr 2002 auf mehr als 70 Dollar im Jahr 2006 entwickelt. Gekoppelt an den Ölpreis waren die Preise anderer fossiler Energieträger wie Kohle und Gas ebenfalls stark gestiegen.

Fünf Jahre später ist die Situation ähnlich. Nachdem der Ölpreis nach der Wirtschaftskrise kurze Zeit bei unter 40 Dollar notierte, ist er seitdem auf mehr als 100 Dollar geklettert.

Ein Umstand, der vor allem die Gewinne der großen Ölkonzerne sprudeln lässt. Der britisch-niederländische Ölkonzern Royal Dutch Shell  vermeldete am Donnerstag einen Nettogewinn von 20,1 Milliarden US-Dollar - 61 Prozent mehr als 2009. Die amerikanische Konkurrenz hatte schon vor einigen Tagen vorgelegt: Chevron  verdiente im vergangenen Jahr 19 Milliarden, Exxon Mobil 30,5 Milliarden Dollar.

Entkopplung: Erdgas folgt nicht mehr automatisch dem Ölpreis

Und dennoch haben sich die Rahmenbedingungen im Vergleich zu 2006 verändert. Denn im Gegensatz zu damals, haben sich Erdölpreis und Erdgaspreis entkoppelt. Der Grund: Mit jedem Dollar, den der Ölpreise pro Barrel steigt, wird die Suche nach alternativen Rohstoffen lukrativer. Und die wichtigste dieser Alternativen ist inzwischen das Erdgas. Die Tage, in denen es als Nebenprodukt bei der Gewinnung von Erdöl schlicht abgefackelt wurde, sind gezählt.

Liegt der Erdgasanteil an fossilen Energieträgern derzeit bei weltweit 25 Prozent, rechnet die internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bis zum Jahr 2080 mit einem Anteilswachstum auf mehr als 50 Prozent. Längst wird Erdgas nicht mehr nur zum Heizen genutzt, sondern auch zur Stromgewinnung in Gas-und-Dampf-Turbinen und als Kraftstoff für Autos.

Suche nach Erdgas forciert - auch aus unkonventionellen Vorkommen

Die Suche nach konventionellen Erdgasfeldern wird daher bereits forciert. Erst vor wenigen Wochen meldete der US-Konzerns Noble Energy gemeinsam mit seinem israelischen Partner Delek Energy den Fund eines 450 Milliarden Kubikmeter großen Erdgasfeld vor der israelischen Küste, rund 130 Kilometer nordöstlich von Haifa. Bis zu 100 Milliarden Dollar soll es wert sein. Ihre Entdecker haben es nach dem biblischen Ungeheuer "Leviathan" getauft.

Die größten Weltreserven werden vor allem in den Böden und vor den Küsten Russlands (25,4 %), Irans (15,0 %) und Katars (13,4 %) vermutet. Weltweit betrugen die konventionellen Erdgasreserven nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe im Jahr 2008 rund 188 Billionen Kubikmeter. Diese Menge würde bei gleichem Energieverbrauch noch für 61 Jahre reichen.

Doch die Erdgasförderer blickennzwischen auch auf die so genannten "unkonventionellen Gasvorkommen" - und damit gerät auch Deutschland als Land mit großen Gasreserven immer stärker in den Fokus. Diese Verschiebung könnte den künftigen Energiemix sowie die Preisgestaltung gehörig durcheinander wirbeln.

Die Revolution findet in Lünne, Drensteinfurt und Düsseldorf statt

Die eigentliche Revolution im Erdgasgeschäft findet aber nicht in Israel, dem Nahen Osten oder Russland statt. Sie vollzieht sich im emsländischen Lünne, im westfälischen Drensteinfurt und im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim. Neun verschiedene Unternehmen haben sich an diesen Orten inzwischen die Rechte an insgesamt 19 Feldern für großflächige Bohrungen nach unkonventionellem Erdgas gesichert - darunter Exxon Mobil, die BASF-Tochter Wintershall und die Shell-Tochter BEB.

Unkonventionell werden die Vorkommen deshalb genannt, weil das Gas in ihnen sich nicht in durchlässigen Gesteinsschichten, sondern in kleinsten Poren und Bruchzonen im Gestein befindet. Die größten Vorkommen sind im Schiefergestein eingeschlossen.

Und davon gibt es in Nordrhein-Westfalen viel. Nach den Niederlanden verfügt das einwohnerreichste deutsche Bundesland über das zweitgrößte Gasvorkommen in Europa.

Bekannt ist das längst. Die ersten Probebohrungen nach Erdgas fanden in Nordrhein-Westfalen bereits 1963 statt. Doch erst in den vergangenen Jahren ist die neue Bohrtechnik so günstig und das herkömmliche Öl so teuer geworden, dass sich der Abbau rechnet.

Erst jetzt rechnet sich die Gasgewinnung aus Schieferstein

In den Vereinigten Staaten werden die im Schiefer verborgenen Erdgase seitdem im großen Stil aus dem Erdboden gefördert - vor allem in Texas, Louisiana, Colorado und dem Nordosten des Landes. Die geschätzten Schiefergasreserven in den USA werden auf etwa 57 Billiarden Kubikmeter geschätzt. Das würde für rund 100 Jahre des derzeitigen US-Verbrauches reichen. Daniel Yergin, Pulitzerpreis-Gewinner und einer der führenden Rohstoffexperten Amerikas, spricht von einer "Amerikanischen Gas Revolution".

Die komplexe Technik, die für die Ausbeutung der im Schiefer gebundenen Vorkommen benötigt wird, ist weltweit begehrt. Als Innovator auf diesem Gebiet gilt vor allem das texanische Unternehmen Mitchell Energy. Aber auch Industriedienstleister wie Haliburton, Schlumberger und XTO haben sich mittlerweile auf das Bohren, Knacken und Ausspülen der Gesteinsschichten spezialisiert.

"Die großen Ölkonzerne haben dieses Geschäftsfeld lange vernachlässigt", sagt Josef Auer, Energie-Experte bei der Deutschen Bank Research. "Bis 2005 ist die Branche davon ausgegangen, dass sich der Ölpreis bei 30 bis 40 US-Dollar einpendeln wird."

Als die Ölpreise bis Mitte 2008, dem Beginn der Immobilienkrise, knapp 150 Dollar pro Fass erreicht hatten, waren die Konzerne indes aufgewacht. "Seitdem stecken sie ihre Claims in diesem Wachstumsmarkt ab", sagt Auer. Vor allem Exxon Mobil hat dabei bislang die Nase vorn. Für die Übernahme von XTO zahlte der Konzern im Dezember 2009 rund 31 Milliarden Dollar.

Gebohrt wird von Niedersachsen bis Südchina

Das Wettrennen um Rohstoffquellen ist seitdem nicht mehr nur auf wenige Weltregionen begrenzt. Europa besitzt nach Schätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) 35 Billiarden Kubikmeter Schiefergas, was etwa einem Drittel der vermuteten Weltreserven entspricht. Beim jetzigen Energieverbrauch würde diese Menge für 40 Jahre reichen.

Gernot Kalkoffen, Europa-Chef von Exxon Mobil, hat schon angekündigt, einen dreistelligen Millionenbetrag in die Erdgasförderung in Nordrhein-Westfalen zu investieren. In Deutschland ist das Unternehmen auch in Niedersachsen stark vertreten. Außerhalb Deutschlands vor allem in Ungarn.

Andere Global Player teilen sich den Rest Europas untereinander auf. Conoco Phillips und Marathon Oil setzen auf den Nordosten Polens. Shell Royal Dutch probiert es im Süden Schwedens und der Ukraine. In England hat das Unternehmen IGas Energy Anfang 2010 Vorkommen vor Liverpool entdeckt. In Österreich geht der heimische Öl- und Gaskonzern OMV im Wiener Becken auf Schiefergassuche. Außerdem ist der Konzern in Ungarn und Rumänien vertreten.

Neuer Energiemix könnte teure Pipelineprojekte entwerten

Zu den künftigen Fördergebieten werden auch Nordafrika, Indien, China, Australien und Lateinamerika zählen. So haben die Chinesen bereits Verträge mit Shell geschlossen. Der Konzern soll die Technik liefern, um das Gas aus den Ölschieferfeldern in den Provinzen Shanxxi und Sichuan im Südwesten Chinas zu explorieren. Auch mit BP verhandeln die Chinesen.

Geologen der Texas A&M University schätzen, dass die in Amerika entwickelten Bohr- und Förderungstechnologien die weltweit erschließbaren Gasreserven verneunfachen. "Es gibt heute Reichweiten von mehreren Hundert Jahren", sagt Auer. Dies wirke sich auch auf den Energiemix aus. "Es entwertet zum Beispiel die geplanten Pipelineprojekte." Man müsse sich fragen, was mit dem vielen Gas geschehen solle.

Eon: Langfristige Verträge für russisches Erdgas

Auch die Regierungschefs werden sich diese Fragen in Brüssel stellen. Zumal Projekte wie das von Wintershall und Eon  vorangetriebene Pipeline-Projekt North Stream und das von Gazprom  und dem italienischen Versorger Eni  unterstützte Pipeline-Projekt South Stream längst geplant sind. Dies gilt auch für die von RWE  und der österreichischen OMV  vorangetriebenen Pipeline Nabucco, die Europa unabhängiger von russischem Gas machen soll.

Schließlich lässt die neue Schiefergaswelt schon heute die Luft aus so manchem auf russischem Gas basierendem Geschäftsmodell. So bedroht das steigende Erdgasangebot vor allem die Preismacht des mit Abstand größten Erdgasförderers der Welt: Gazprom. Indirekt leiden darunter auch große Gasversorger, wie die deutsche Eon Ruhrgas oder RWE Energy.

Denn statt sich kurzfristig günstig mit billigem Gas einzudecken, haben sie oft langfristige Verträge für jenes Erdgas abgeschlossen, das durch russische Fernleitungen zischt. Für das Jahr 2011 hat Eon Ruhrgas bereits Verluste von rund einer Milliarde Euro angekündigt. In Branchenkreisen wird sogar über einen Verkauf der Eon-Tochter spekuliert.

Wenn geplante Flüssiggashäfen wie der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven erst einmal den Betrieb aufnehmen, wird sich die Wettbewerbssituation - dank steigendem Angebot - wohl noch verschärfen.

Die Gewinner stehen in diesem Szenario schon fest: "Es sind die Verbraucher", sagt Energie-Experte Auer.

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