Zum Inhalt springen
Cyrus de la Rubia

Modern Monetary Theory Ist es schlimm, wenn der Staat Geld druckt?

Cyrus de la Rubia
Von Cyrus de la Rubia
Klassische Ökonomen bekommen bei der Vorstellung, der Regierung die Notenpresse zu überantworten, für gewöhnlich Schnappatmung. Doch lohnt es sich, über mögliche Vorteile der Modern Monetary Theory mal unvoreingenommen nachzudenken.

Klassische Ökonomen bekommen bei der Vorstellung, der Regierung die Notenpresse zu überantworten, für gewöhnlich Schnappatmung. Doch lohnt es sich, über mögliche Vorteile der Modern Monetary Theory mal unvoreingenommen nachzudenken.

Foto: REUTERS

Na, sind Sie auch MMTler? Nein? Ach so, Sie wissen gar nicht, was MMT ist? Dann lohnt es sich erst recht, diese kurze Erklärung zu lesen, denn MMT - Abkürzung für Modern Monetary Theory - ist gerade eine ziemlich gehypte Denkschule unter Ökonomen. Insbesondere im amerikanischen Wahlkampf spielt sie zurzeit eine wichtige Rolle, maßgeblich vertreten durch Bernie Sanders, einen der demokratischen Präsidentschaftskandidaten. Seine These: Der Spielraum des Staates, mehr Geld auszugeben, ist viel größer als allgemein angenommen. Daher wäre es für die Regierung kein Problem, etwa Arbeitsplätze für alle zu schaffen oder einen "Green Deal" für mehr Umweltschutz zu finanzieren.

Cyrus de la Rubia
Foto:

Sven Wied / Hamburg Commercial Bank

Cyrus de la Rubia ist Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, zu seinen Schwerpunkten gehören die Konjunkturanalyse, Geldpolitik, Zins- und Währungsmärkte sowie die Tokenökonomie. Der promovierte Volkswirt ist außerdem Dozent an der Frankfurt School of Finance and Management, Autor des Buchs "Die neue Vielfalt des Geldes" über Kryptowährungen und hat Anfang des Jahres die Studie "DeFi: Alternative zur traditionellen Finanzwirtschaft?" veröffentlicht.

Wie das gehen soll? Beginnen wir mit einem Gedankenspiel.

Finanzministerium und Zentralbank fusionieren

Das Finanzministerium und die Zentralbank sind voneinander unabhängige staatliche Einheiten. Nun stellen Sie sich einmal vor, beide würden zu einer einzigen Institution fusionieren. Dann hätte der Staat drei Möglichkeiten, seine Ausgaben zu finanzieren: 1. Steuern erheben, 2. Schulden machen oder 3. Geld zu drucken.

Klassische Ökonomen, zumal in Deutschland, bekommen bei der Vorstellung, der Regierung die Notenpresse zu überantworten, für gewöhnlich Schnappatmung, aber lassen wir uns einmal auf den Gedanken ein. Fiskalpolitik müsste in diesem Fall ganz anders gedacht werden: Möchte ein Staat seine Ausgaben erhöhen, könnte er auf höhere Steuern und Schulden verzichten und sich stattdessen neu geschaffenes Geld von Staats wegen einfach gutschreiben. Das Argument, der Staat könne aus Geldmangel keine neuen Straßen oder Datennetze bauen und marode Schulen nicht sanieren, würde obsolet. Der Staat hätte bei einem derartigen institutionellen Arrangement immer ausreichend Geld. Das ist gewissermaßen die Grundidee, die der MMT zugrunde liegt.

Fiskalpolitik mit unbegrenzten Mitteln

Die Realität ist, dass heute die meisten modernen Staaten Finanzministerium und Notenbank strikt getrennt halten und die Zentralbank ein hohes Maß an politischer Unabhängigkeit genießt. Für Deutschland war die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) eine zwingende Voraussetzung bei der Einführung des Euro. Warum eigentlich?

Die unabhängige Notenbank ist ein in Gesetze und Institutionen gegossenes Narrativ, mit dem der fiskalische Handlungsspielraum künstlich eingeengt und die Inflation in Schach gehalten wird. Unsere Gesellschaftsform lebt von solchen Narrativen, wie zum Beispiel dem Bürgerlichen Gesetzbuch, das uns ein friedliches Zusammenleben erlaubt, indem bestimmten Regeln festlegt, nach gelebt und gewirtschaftet wird.

Hinter der Trennung von Finanzministerium und Zentralbank steht die Idee, den willkürlichen Zugriff des Staates auf die Wirtschaft einzuschränken. Mit Hilfe der Notenpresse könnte der Staat theoretisch alle Unternehmen aufkaufen und sämtliche Ressourcen eines Landes kontrollieren. Ohne Budgetrestriktion würde der Ruf nach Staatshilfe überall ertönen, egal ob gerade eine Bank gerettet, die Konjunktur angekurbelt oder eine marode Industrie am Leben gehalten werden muss. Der Verzicht auf das Drucken eigener Banknoten bedeutet hingegen eine Budgetrestriktion. Steuereinnahmen sind endlich, denn zu hohe Steuern setzen negative Leistungsanreize und senken damit die Wirtschaftsleistung - also auch die Steuerbasis. Auch die Aufnahme von Schulden ist nur bis zu einer gewissen Höhe möglich, da sonst durch immer höhere Zinsforderungen das Abrutschen in eine Schuldenspirale droht - siehe Griechenland. Die finanziellen Mittel müssen also mit Augenmaß eingesetzt werden. Soweit die Theorie.

Die Politik hat das letzte Wort. Immer.

Doch ein ehrlicher Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zeigt: Die klare Trennung zwischen Zentralbank und Finanzministerium hat es in ihrer Reinform nie gegeben. Und vielleicht ist sie auch gar nicht erstrebenswert. Auf dem Papier ist die Zentralbank zwar politisch unabhängig, Politik und Märkte wissen aber, dass sie im Notfall der Staatsräson untergeordnet werden kann und als Finanzierungsquelle bereitsteht. Im Kriegsfall etwa würde niemand diese Finanzierungsquelle einschränken. Und bei Bankenkrisen offensichtlich auch nicht: Kaum jemand hat 2009 ernsthaft infrage gestellt, dass sich die US-Regierung die Rettung und Rekapitalisierung der großen Banken leisten kann. Sie hat es einfach getan.

Nur eine Minderheit der Experten glaubt, dass Japan eines Tages insolvent werden könnte, obwohl das Land Staatsschulden in Höhe von mehr als 250 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufgebaut hat. (Zum Vergleich: Der Stabilitätspakt der Euroländer schreibt eine Obergrenze von 60 Prozent vor.) Knapp 50 Prozent der japanischen Schulden liegen jedoch bei der Notenbank. Die Zinszahlungen des Finanzministeriums fließen also über die Gewinnausschüttungen der Zentralbank wieder an das Finanzministerium zurück. Wie sollte es da zu einer Staatspleite kommen?

Mit anderen Worten: MMT gibt es schon längst. In Japan, in den USA und teilweise auch in der Eurozone, wenngleich hier die institutionelle Besonderheit herrscht, dass Zentralbank und Staat noch stärker voneinander getrennt sind, da es 19 verschiedene nationale Finanzministerien gibt. Die Zusicherung der EZB während der Eurokrise 2012, unter bestimmten Bedingungen Staatsanleihen einzelner Länder anzukaufen, war jedoch bereits ein großer Schritt in die Richtung MMT.

Der Staat steuert die Inflation

Die größte Befürchtung der MMT-Gegner ist jedoch eine ausufernde Inflation. Zu Recht, denn der Missbrauch der Notenpresse als Finanzierungsquelle hat in der Geschichte immer wieder zur Zerstörung des Geldwesens und katastrophalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen geführt. Aus Sicht der MMT-Befürworter ist dies jedoch keine zwangsläufige Entwicklung.

Um diese Überlegung zu verstehen, muss man auch die Geldpolitik unter der Prämisse einer Einheit von Finanzministerium und Zentralbank neu denken. Der Staat wäre dann nämlich auch in der Lage, die staatlich emittierte Geldmenge wieder zu senken, nämlich in dem er Steuern erhöht und auf diese Weise dem System wieder Geld entzieht. Das würde die Inflation bremsen. Soll hingegen die Inflation angekurbelt werden, wären Transferzahlungen oder Helikoptergeld möglicherweise die effektivste Art, dieses Ziel zu erreichen. Aus Sicht der Theorie ist der Staat in einer MMT-Welt also in der Lage, Inflation aktiv zu kontrollieren.

Künstlich erzeugte Angst

Das Ziel von MMT ist also nicht, in jeder politisch schwierigen Situation einfach die Notenpresse anzuwerfen. Es geht vielmehr darum, sich darüber im Klaren zu sein, dass gesellschaftlich als wichtig erkannte Aufgaben nicht an der Finanzierung scheitern müssen. Die Angst, der Staat könne pleitegehen, ist eine künstlich erzeugte Angst, die über das vernünftige Narrativ hinausgeht. Im Übrigen sei erwähnt, dass MMT-Befürworter wie die US-Professorin Stephanie Kelton, der australische Wirtschaftswissenschaftler Bill Mitchell oder der deutsche Ökonom Dirk Ehnts durchaus unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was genau unter MMT zu verstehen ist.

Zum Schluss noch ein weiteres Gedankenspiel: Was würde passieren, wenn bei der nächsten Bundestagswahl eine Parteienkonstellation die Mehrheit erhielte, die eine Umstellung auf Elektromobilität innerhalb von zehn Jahren, die vollständige Netzabdeckung mit 5G innerhalb von fünf Jahren sowie eine Erhöhung der Bildungsausgaben um ein Drittel per sofort beschließt? Das würde massive öffentliche Ausgaben erfordern.

Eine Chance für neues Denken

Nehmen wir weiter an, die neue Regierung würde die Schuldenbremse revidieren, mit der EU Ausnahmeregelungen verhandeln (etwa das Herausrechnen öffentlicher Investitionen bei der Berechnung der Budgetdefizite) und dann die beschlossenen Ausgaben über neue Schulden finanzieren - wohl wissend, dass die Investoren weltweit ganz im Sinne von MMT eine deutsche Staatspleite für unwahrscheinlich erachten? Könnte das funktionieren? Ja, möglich wäre es.

Daher sollten wir MMT nicht von vornherein als Spinnerei abtun, sondern als Chance betrachten. Damit nicht jede öffentliche Debatte über staatliche Investitionsprojekte sofort unter dem Vorwand der mangelnden Finanzierbarkeit im Keim erstickt wird. Wer im Namen von MMT nur den ungehemmten Gebrauch der Notenpresse fordert, erweist der neuen Lehre dagegen einen Bärendienst. Und der Gesellschaft ebenfalls.

Cyrus de la Rubia ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wider.