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Praxistest: Taugt der Twizy als Alltagsgefährt?

Foto: Renault

Renault Twizy Elektro-Ei auf der Überholspur

Ein Winzgefährt ist das gefragteste Elektrofahrzeug in Deutschland: Der Twizy von Renault verkauft sich besser als alle anderen Stromer zusammen. Spaßfahrer und Kleinunternehmer sind die wichtigsten Kunden. Trotzdem wagen sich VW und Opel nicht mit ähnlichen Modellen auf den Markt.
Von Wilfried Eckl-Dorna und Nils-Viktor Sorge

Hamburg - Hügeliges Gelände, kaum Stromtankstellen: Dass ausgerechnet im nicht gerade hippen Wuppertal Dutzende Twizys durch die Gegend surren, hätten Renaults Marketingexperten vor Kurzem kaum zu hoffen gewagt.

Doch seit Ende Mai gehören die Wuppertaler zu den eifrigsten Käufern des vierrädrigen Winzlings - wegen der Initiative eines örtlichen Gastronomieunternehmers, der 100 Elektrofahrzeuge auf die Wuppertals Straßen bringen will. 74 Elektrofahrzeuge haben die Wuppertaler seit Ende Mai neu bestellt, gut zwei Drittel davon sind bereits ausgeliefert.

"Das am häufigsten bestellte Fahrzeug ist definitiv der Twizy", sagt eine Sprecherin der Stromer-Initiative. Rund vier Fünftel der in Wuppertal georderten Stromer, schätzt sie, seien eiförmige Zweisitzer aus dem Hause Renault . Sogar ein praktischer Arzt hat sich vor Kurzem für den kleinen Stromer entschieden.

Ausgerechnet das ausgefallenste Vehikel mausert sich zum ersten Elektrofahrzeug, das bei den Kunden nennenswerten Anklang findet - nicht nur in Wuppertal. Vor wenigen Monaten hatten Experten dem Zweisitzer "null Nachfrage" prophezeit. Nun müssen beispielsweise Volkswagen  und Opel überlegen, ob sie ihre vergleichbaren Studienfahrzeuge in größeren Stückzahlen auf die Straße schicken.

Verhaltene Verkaufszahlen bei größeren Stromern

Ohne direkte Konkurrenz führt Renaults Elektro-Ei die Zulassungsstatistik der Stromer mit großem Abstand an. Seit April sind 1800 Exemplare auf die Straßen gekommen - mehr als alle anderen Elektroautos zusammen.

Diese verkaufen sich weiter schleppend. So bekamen laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) seit Januar nur 629 Opel Ampera Papiere, beim Nissan Leaf waren es 269 Fahrzeuge, beim Citroën C-Zero 256. Insgesamt sind derzeit gut 10.000 E-Autos auf deutschen Straßen unterwegs, Tendenz nur mäßig steigend. Das passt so gar nicht zu den Zielen der Bundesregierung, die bis 2020 eine Million E-Autos in Deutschland sehen will.

Renault spricht sogar von 2300 Twizys, die bis Ende Juli in Deutschland verkauft wurden. Mehr als zwei Drittel der verkauften Elektro-Winzlinge gingen an Gewerbe- und Firmenkunden, hieß es auf Nachfrage von manager magazin online. Die stärkste Nachfrage gebe es in Deutschland, Frankreich und Italien.

Wie bei neuen Modellen üblich, dürfte Renault die deutschen Zulassungszahlen auch künstlich etwas in die Höhe getrieben haben. Gut die Hälfte der vom KBA gezählten Twizys entfallen laut Branchenkennern zunächst auf Händler. Renault selbst gibt auf Anfrage von manager magazin online nur 400 Händlerfahrzeuge an. Der französische Hersteller zerrt seinen Cityflitzer mit großem Aufwand in die Öffentlichkeit. Nachdem Renault sich im Elektrobereich schon einige Flops geleistet hat, ist der Twizy zum Erfolg verdammt. Die erste Hürde dafür hat er wohl knapp genommen.

"Twizy demonstriert, was mit Strom möglich ist"

Die Fachwelt reagiert gespalten auf den unverhofften Erfolg des vierrädrigen, nur 2,3 Meter langen Winzlings. Der Twizy sei ein außergewöhnliches Fahrzeugkonzept, dass sowohl Auto- als auch Motorradfahrer anspreche, meint Kurt Sigl vom Bundesverband Elektromobilität. Mit einem Preis ab 7000 Euro plus 50 Euro monatliche Batteriemiete stimme auch das Preis-Leistungsverhältnis. Das Segment solcher Kleinst-Elektrofahrzeuge, ist der E-Lobbyist Sigl überzeugt, wird noch deutlich wachsen.

"Der Twizy ist ein Spaßfahrzeug. Für grundlegende Mobilität ist er aber weniger geeignet", sagt hingegen der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Wegen fehlender Heizung und Fenster sei der Twizy im hiesigen Winter kaum nutzbar. Für den Preis eines Twizy erhalte man auch einen Dacia Sandero mit fünf Sitzplätzen, rechnet Dudenhöffer vor. Zwar sei der Twizy eine gute Idee von Renault gewesen, analysiert der Autoexperte. Doch das Fahrzeug werde in der Nische und die Stückzahlen überschaubar bleiben. "Ich glaube nicht, dass da viele Konkurrenten reingehen", meint er.

Dass Autos wie der Twizy das Mobilitätsverhalten der Deutschen grundlegend ändern, scheint auch anderen Wissenschaftlern unwahrscheinlich. "Da wird kein neues großes Segment entstehen", sagt Mobilitätsforscher Andreas Knie gegenüber manager magazin online. Für den Alltag der meisten Menschen sei das Fahrzeug unpraktisch. "Die Resonanz ist dennoch beachtlich", sagt Knie. "Es zeigt sich, dass ein Markt für Elektrofahrzeuge funktionieren kann, wenn sie unter 10.000 Euro kosten."

Für den geplanten Vormarsch der Elektromobile in Deutschland könnte der Twizy also noch nützlich sein. "Das Auto demonstriert vielen Menschen, was mit Strom möglich ist", sagt Knie. "Alle, die einmal in einem Elektroauto gefahren sind, wollen das wieder tun - nur waren die Fahrzeuge bisher zu teuer."

Unternehmer nutzen Twizy als Lieferfahrzeug

Für die Pläne der Bundesregierung und die Industrie ist der Verkaufserfolg des Twizy ein kleiner Lichtblick - zählt doch auch jeder verkaufte Zweisitzer für die angepeilte Million E-Autos im Jahr 2020.

Kommt also etwas Schwung in das Thema? "Zunehmend treibt der Wettbewerb die Elektromobilität voran; der Welpenschutz für das Elektroauto ist vorbei", sagt Henning Kagermann, Chef der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE), gegenüber dem manager magazin online mit Blick auf den gesamten Markt. Letztlich entscheide die Akzeptanz bei den Kunden. "Für eine Bewertung der Rolle einzelner Fahrzeuge ist es noch zu früh", meint Kagermann.

Bei Autofahrern ruft der offiziell als Quad registrierte Wagen meist spontane Freudenschreie, manchmal aber auch Entsetzen hervor - zumindest aber Neugier. Viele vergleichen den Wagen mit einem vollwertigen Auto und wenden sich ab, sobald sie hören, dass ihm Fenster und in der Grundausstattung sogar Türen fehlen. Enthusiasten sehen einen großen Fortschritt zum Motorroller und preisen Fun-Faktor sowie geringe Unterhaltskosten an. Zum Schutz vor Regen bauen sie Fenster nachträglich selbst ein.

Bisher sind es vor allem spaßorientierte Fahrer, die sich einen Twizy gönnen, überwiegend männlich, im mittleren Alter und eher gut betucht. Diese Käufergruppe steckt wohl auch hinter dem Achtungserfolg des Twizy als Dienst- und Lieferfahrzeug. Kleinunternehmen aus den Bereichen Medien, Gesundheit, Pflege und Bringdienste sind Kunden oder wollen es werden. So hat ein Franchisenehmer der Kette Hallo Pizza in Hamburg gerade Twizy Nummer drei und vier bestellt, auch die Konkurrenz von Joey's und Smiley's fährt mit dem Zweisitzer.

Dahinter steht aber auch der Wunsch, aufzufallen. "Ein Werbehammer" sei das Auto, sagt ein Sprecher von Hallo Pizza, immer wieder würden die Autos samt Fahrer fotografiert. Der Effekt werde mit zunehmender Verbreitung des Wagens sicher abnehmen, ergänzt der Sprecher. Doch dann bliebe immerhin noch der Spareffekt - die Fahrtkosten lägen um bis zu 80 Prozent unter denen eines Pkw.

Deutsche Herstellern fehlt Mut zur Nische

Es ist eine Mischung aus Begeisterung und Rationalität, die dem Twizy seine Käufer verschafft. Denn ob das Fahrzeug nun eigentlich billig oder teuer ist, ist Ansichtssache. Als Quad betrachtet kostet es eher viel Geld, als Auto eher nicht - vor allem angesichts geringer Unterhaltskosten.

Der Preis des Twizy entkräftet zumindest schnell den Vorwurf, dass die Elektromobile der etablierten Autohersteller noch viel zu teuer sind. Doch Renaults deutsche Gegenspieler warten erstmal ab, ob sich der Erfolg des Twizy nicht als Eintagsfliege erweist.

Denn so richtig scheint die deutsche Autoindustrie der Mikronische nicht zu trauen - obwohl VW und Opel erst vor kurzem ganz ähnliche Konzeptfahrzeuge zeigten. Auf der Automesse IAA vor einem Jahr stellte VW sein Konzeptfahrzeug Nils vor - ein Elektro-Einsitzer, der speziell für Pendler gedacht ist. Solche Mikromobile werden künftig eine größere Rolle spielen, hieß es damals hoffnungsvoll.

Doch diese Zukunft ist bei VW weiter in die Ferne gerückt. Ob das Fahrzeug je in Serie gebaut werde, sei noch nicht entschieden, heißt es auf Nachfrage bei VW. Es gebe aber zur Zeit keine Überlegungen, einen direkten Konkurrenten zum Twizy auf den Markt zu bringen.

Opel beobachtet Markt "mit Interesse"

"Natürlich ist das eine interessante Marktlücke, die wir noch nicht bedienen", sagt ein Sprecher. Doch ein entsprechendes Gefährt von Volkswagen müsse hohe Standards bei Komfort und Sicherheit erfüllen. "Die Frage ist, ob sich das dann rechnet", heißt es. Audis Elektro-Zweisitzer "Urban Concept", den die Ingolstädter stolz auf Automessen herumzeigten, ist ebenfalls in der Versenkung verschwunden.

Opel fiel auf der IAA 2011 mit dem Konzeptgefährt "RAK E" auf, einem Elektro-Dreirad, das Jugendliche für das emissionslose Fahren begeistern sollte. Die Rückmeldungen auf das Fahrzeug seien äußerst positiv gewesen, versichert ein Sprecher gegenüber manager magazin online.

Man könne das Fahrzeug innerhalb von 24 Monaten in Serie herstellen, hieß es bei Opel. Doch eine Entscheidung für eine Fertigung sei noch nicht gefallen. "Wir beobachten diesen Markt mit Interesse", sagt der Sprecher ausweichend. Doch ein "sauberer Businesscase" sei für den RAK-E derzeit nicht gegeben. Im Klartext: Das Gefährt wäre zwar ein Image-, gleichzeitig aber ein Verlustbringer.

So dürfte der Twizy in nächster Zeit der einzige Vertreter seiner Fahrzeugklasse bleiben.

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