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Ex-VW-CEO Müller im Zeugenstand Welche Topmanager im Dieselskandal belangt wurden – und welche nicht

Im Anlegerprozess zur Dieselaffäre hat heute Ex-VW-Chef Matthias Müller als Zeuge ausgesagt. Wie steht es um die anderen Hauptfiguren des Skandals? Wem drohen noch strafrechtliche Konsequenzen? Ein Überblick.
Zeuge in Braunschweig: Ex-VW-Konzernchef Matthias Müller

Zeuge in Braunschweig: Ex-VW-Konzernchef Matthias Müller

Foto: Andreas Arnold / dpa

Im Musterprozess von Investoren zur VW-Dieselaffäre hat am heutigen Mittwoch auch der ehemalige VW-Chef Matthias Müller (70) als Zeuge ausgesagt. Müller hatte nach Bekanntwerden des Abgasskandals am 25. September 2015 den Chefposten bei VW übernommen, nachdem der damalige CEO Martin Winterkorn (76) von seinem Amt zurückgetreten war. 2018 endete Müllers Zeit an der Volkswagen-Spitze, auf ihn folgte Herbert Diess (65). Der hatte bereits vor einigen Wochen als erster ehemaliger Konzernboss vor dem Oberlandesgericht Braunschweig ausgesagt und jegliche Schuld von sich gewiesen. Auch Müller wies im Gerichtssaal in Braunschweig jegliche Kenntnis der Vorgänge von sich: "Mir war das ganze Thema fremd."

Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts verhandelt seit 2018 über eine Musterklage der Fondsgesellschaft Deka Investment der Sparkassen wegen erlittener Kursverluste durch den VW-Abgasskandal. Als ersten Zeugen hatte das Gericht bereits im September 2023 Ex-VW-Vorstand Horst Neumann (74) vernommen. Die Kläger – zumeist institutionelle Anleger – werfen Volkswagen und der ebenfalls beklagten Porsche Holding vor, die Information über „Dieselgate“ lange geheim gehalten und ihnen dadurch einen Wertverlust ihrer Aktien eingebrockt zu haben. Dem hält Volkswagen entgegen, die Kursrelevanz sei erst durch die Veröffentlichung der EPA am 18. September 2015 erkennbar geworden.

Das Oberlandesgericht hatte im Juli beschlossen, insgesamt 86 Zeugen zu vernehmen, um Aufschluss über die Abläufe vor Bekanntwerden des Skandals zu erhalten. Viele der Zeugen berufen sich allerdings auf das Zeugnisverweigerungsrecht. Wer die Hauptrollen in der Dieselaffäre spielte, wem noch strafrechtliche Konsequenzen drohen und wem nicht, zeigt dieser Zwischenstand:

Rupert Stadler

Am Ende stand ein Deal: Ex-Audi-CEO Rupert Stadler war das erste ehemalige VW-Vorstandsmitglied, das im Dieselskandal Verfehlungen einräumte

Am Ende stand ein Deal: Ex-Audi-CEO Rupert Stadler war das erste ehemalige VW-Vorstandsmitglied, das im Dieselskandal Verfehlungen einräumte

Foto: MATTHIAS SCHRADER / AFP

Nach fast 170 Prozesstagen war es so weit: Der ehemalige Audi-Chef Rupert Stadler (60) rang sich im Betrugsprozess wegen manipulierter Abgaswerte zu einem Deal mit Gericht und Staatsanwaltschaft durch, nachdem er jahrelang die Vorwürfe bestritten hatte. Er habe billigend in Kauf genommen, dass Fahrzeuge manipuliert und Käufer dadurch geschädigt worden seien, sagte Stadler im Mai letzten Jahres während des Betrugsprozesses in München. Der Ex-Audi-Chef war damit der erste ehemalige VW-Konzernvorstand, der im Dieselskandal Verfehlungen einräumte.

Im Juni 2023 verurteilte das Gericht Stadler wegen Betrugs. Er erhielt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, zuvor hatte ihm Richter Stefan Weickert bei einem Geständnis eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt. Eine weitere Bedingung des Deals war, dass der Ex-Audi-Chef 1,1 Millionen Euro zahlt. Im Juli 2023 wurde bekannt, dass Stadler überraschend, gemeinsam mit seinen zwei Mitangeklagten Giovanni Pamio und Wolfgang Hatz (64), gegen das Urteil des Landgerichts München Revision eingelegt hat.

Der Prozess am Landgericht München ist eines der prominentesten Gerichtsverfahren zur Aufarbeitung des Dieselskandals beim Autobauer Volkswagen und der Konzerntochter Audi. 2015 war aufgedeckt worden, dass die Unternehmen millionenfach Abgaswerte manipuliert hatten. Neben Stadler wurden drei weitere ehemalige Audi-Manager in München angeklagt, seit September 2020 läuft der Prozess. Ein weiterer Schauplatz im sogenannten „Dieselgate“ ist Braunschweig, wo seit September 2021 fünf frühere hochrangige Manager des Volkswagen-Konzerns vor Gericht stehen.

Giovanni Pamio

Motorenentwickler: Giovanni Pamio räumte im Münchener Prozess als Erster eine Mitverantwortung für die Abgasmanipulationen ein

Motorenentwickler: Giovanni Pamio räumte im Münchener Prozess als Erster eine Mitverantwortung für die Abgasmanipulationen ein

Foto:

Willi Schneider / People Picture

Eine zentrale Figur im Dieselskandal ist der ehemalige Audi-Motorenentwickler Giovanni Pamio, der zusammen mit Stadler und dem ehemaligen Audi-Motorenchef Hatz in München auf der Anklagebank saß. Laut Anklage hatte Pamio als Abteilungsleiter in der Motorentwicklung in Neckarsulm mit veranlasst, dass die Software von Dieselmotoren manipuliert wurde. Er habe von Mitarbeitern „intelligente Lösungen“ gefordert, um Abgastests zu bestehen, und 2008 angewiesen, eine Software einzubauen, die Tests erkennt. Pamio gestand als Erster der drei Angeklagten, Motoren manipuliert zu haben.

Auf Druck des Gerichts, das mit einer Freiheitsstrafe gedroht hatte, räumte der Ingenieur Anfang April ein, gewusst zu haben, dass die sogenannten Abschalteinrichtungen nicht gesetzeskonform sein könnten. Im Gerichtsverfahren wurde Pamio zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie 50.000 Euro verurteilt. Das Verfahren gegen den vierten Angeklagten, einen Ingenieur, wurde gegen eine Geldauflage von 25.000 Euro eingestellt. Im Juli 2023 wurde bekannt, dass Pamio überraschend, gemeinsam mit seinen zwei Mitangeklagten Stadler und Hatz, Revision eingelegt hat.

Wolfgang Hatz

Zeitweise für die Motorenentwicklung im gesamten VW-Konzern zuständig: Wolfgang Hatz gab nach Pamios Geständnis ebenfalls zu, die Software veranlasst zu haben

Zeitweise für die Motorenentwicklung im gesamten VW-Konzern zuständig: Wolfgang Hatz gab nach Pamios Geständnis ebenfalls zu, die Software veranlasst zu haben

Foto: CHRISTOF STACHE / AFP

Pamios Geständnis setzte offenbar den früheren Chef der Motorenentwicklung im VW-Konzern und Porsche-Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz unter Druck, der wenig später gestand, mit zwei weiteren Mitarbeitern die Installation der verbotenen Steuerungssoftware veranlasst zu haben. Er habe bei der Installation der Software „erkannt und hingenommen“, dass diese in Deutschland als unzulässige Abschalteinrichtung beurteilt werden und in den USA gegen das dort geltende Recht verstoßen könne, ließ Hatz Ende April von seinem Verteidiger erklären.

Hatz war im weiteren Verlauf zu zwei Jahren auf Bewährung und einer Buße von 400.000 Euro verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft will das Urteil gegen Hatz allerdings nicht auf sich beruhen lassen. Sie legte dagegen Revision ein. Anders als bei Stadler und Pamio hatte sie sich dagegen gewehrt, dass auch Hatz nicht ins Gefängnis muss. Die Anklage hatte für den 64-Jährigen eine Gefängnisstrafe von drei Jahren und zwei Monaten gefordert. Hatz hatte bis Juni 2018 neun Monate in Stadelheim in Untersuchungshaft gesessen.

Martin Winterkorn

Ehemaliger VW-Chef: Martin Winterkorn muss wieder vor Gericht

Ehemaliger VW-Chef: Martin Winterkorn muss wieder vor Gericht

Foto: fossiphoto / imago

Die prominenteste Figur in der Dieselaffäre ist der ehemalige Volkswagen-Chef Martin Winterkorn (76), der 2007 die Leitung von Audi an Stadler übergab und an die Konzernspitze wechselte. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte den Ex-VW-Chef 2019 gemeinsam mit vier weiteren VW-Managern angeklagt. Doch wegen Winterkorns Gesundheitszustand wurde sein Verfahren abgetrennt und liegt seit 2021 auf Eis. Zuvor musste der Prozess bereits mehrfach wegen der Corona-Pandemie verschoben werden. Ende Dezember 2023 wurde allerdings bekannt, dass das Landgericht Braunschweig das Verfahren wegen des Verdachts der Marktmanipulation erneut aufnimmt. Wann der Prozess beginnt, war zunächst unklar.

Die Staatsanwaltschaft wirft Winterkorn vor, spätestens im Mai 2014 über die Abgasmanipulation in den USA informiert gewesen zu sein, aber den Verkauf der Fahrzeuge nicht gestoppt zu haben, ebenso die unlautere Werbung mit dem angeblich sauberen Diesel. Winterkorn weist die Vorwürfe zurück. Bislang musste er ausschließlich Schadensersatz in Höhe von 11,2 Millionen Euro an VW zahlen.

Auch Winterkorn soll Mitte Februar im Investorenprozess aussagen, laut der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung soll der frühere VW-Chef sein Erscheinen für den 14. und 15. Februar zugesagt haben.

Heinz-Jakob Neußer

Früherer VW-Entwicklungschef: Heinz-Jakob Neußer soll sogar eine Erweiterung der Software veranlasst haben

Früherer VW-Entwicklungschef: Heinz-Jakob Neußer soll sogar eine Erweiterung der Software veranlasst haben

Foto: Friso Gentsch / Volkswagen / dpa / picture alliance

Ein hochrangiger Angeklagter in Braunschweig ist neben Winterkorn der ehemalige VW-Markenvorstand Heinz-Jakob Neußer (64). Der frühere Entwicklungschef muss sich wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft Neußer vor, schon kurz nach seinem Antritt als Motorenchefentwickler im Oktober 2011 von der Manipulationen gewusst zu haben, sie aber dennoch nicht gestoppt, sondern den weiteren Einsatz der Abschaltsoftware verantwortet zu haben.

Sogar eine Erweiterung der Software soll Neußer veranlasst haben, die dafür sorgte, dass das Fahrzeug auch anhand des Lenkwinkels erkannte, ob es im Labor oder auf der Straße fuhr. Laut Zeugen soll Neußer ebenfalls die Manipulationen gezielt vertuscht haben. Bislang hat er genauso wie seine Mitangeklagten die Vorwürfe bestritten, sodass sich das Verfahren in die Länge zieht. Mit den Geständnissen von Hatz und Stadler in München könnte aber nun Bewegung in die Sache kommen. Denkbar ist, dass Angeklagte aus dem Münchner Prozess als Zeugen in Braunschweig geladen werden könnten. VW kündigte Neußer 2018 fristlos. Der Ex-Entwicklungschef von VW wehrte sich dagegen, eine Klage scheiterte jedoch.

Ulrich Hackenberg

Früherer Audi-Chefentwickler: Ulrich Hackenberg soll schon 2008 von überhöhten Abgasgrenzwerten bei VW gewusst haben

Früherer Audi-Chefentwickler: Ulrich Hackenberg soll schon 2008 von überhöhten Abgasgrenzwerten bei VW gewusst haben

Foto: REBECCA COOK / REUTERS

In München dürfte bald noch ein weiteres Verfahren gegen Audi-Manager starten, das sich unter anderem gegen einen der zentralen Köpfe in der damaligen Entwicklung bei VW und Audi richtet: Ulrich Hackenberg (73). Im Sommer 2020 hatte die Staatsanwaltschaft eine Anklage gegen den ehemaligen Audi-Chefentwickler erhoben. Hackenberg zählt zu den engsten Vertrauten Winterkorns. Bei Volkswagen soll er schon 2008 von überhöhten Abgasgrenzwerten gewusst haben und im November 2013 von den Problemen bei der Abgasreinigung bei Audi, ist die Staatsanwaltschaft überzeugt.

Hackenberg soll später angeordnet haben, dass für die bereits im Markt befindlichen Modellreihen kein Rückruf erfolgen solle, um sie gesetzeskonform umzurüsten. Der Ex-Vorstand beteuert, erst 2015 von den Manipulationen erfahren zu haben. VW hatte von ihm bereits Schadensersatz verlangt. Doch Hackenberg lehnte eine Vergleichszahlung ab; er sieht sich als unschuldig.

Hans Dieter Pötsch und Herbert Diess

Verfahren eingestellt: Hans Dieter Pötsch und Ex-VW-Chef Herbert Diess waren wegen Marktmanipulation angeklagt

Verfahren eingestellt: Hans Dieter Pötsch und Ex-VW-Chef Herbert Diess waren wegen Marktmanipulation angeklagt

Foto: Swen Pförtner/ dpa

Gegen Volkswagen-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch (72) und den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess (65) erhob die Staatsanwaltschaft keine Anklage. Das Verfahren gegen die beiden wurde gegen Auflagen eingestellt, wie das manager magazin im Mai 2020 exklusiv berichtet hatte . Sie zahlten jeweils 4,5 Millionen Euro und mussten sich nicht vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte ihnen vorgeworfen, die Finanzmärkte vorsätzlich zu spät über die drohenden Milliardenstrafen informiert zu haben. Pötsch und Diess bestritten dies. Sie hatten zwar in den Monaten zuvor von den Ermittlungen der US-Umweltbehörden erfahren, hätten aber nicht die große Dimension der Strafe ahnen können. Offenbar hatten die zuständigen Richter in Braunschweig Zweifel, ob die Belege der Staatsanwaltschaft für einen Schuldspruch ausreichten – und es kam zu einer Einstellung gegen Geldzahlung.

Im Januar hatte Diess als erster ehemaliger VW-Chef als Zeuge ausgesagt – und wies Verantwortung von sich. Er habe es bis zuletzt nicht für möglich gehalten, dass es Sanktionen wegen überhöhter Abgaswerte geben könnte, sagte Diess vor dem Oberlandesgericht in Braunschweig. Zwar sei ihm schon kurz nach seinem Eintritt in das Unternehmen klar gewesen, dass es ein Problem mit einigen Motoren in den USA gebe. Er selbst habe sich vor allem um die Zulassung eines neuen Motors gesorgt. Allerdings sei er zuversichtlich gewesen, dass es eine Lösung mit den Behörden gebe.

Oliver Schmidt

Ein VW-Manager, der im Dieselskandal nur eine Nebenrolle spielte, aber dennoch eine hohe Strafe kassierte, ist Oliver Schmidt (55). Er hatte die Abschalteinrichtungen („Defeat Devices“) weder beauftragt noch gebaut. Allerdings hatte er die US-Behörden nicht korrekt über die Manipulation informiert, wie sich später herausstellte. Ende 2016 beging er den folgenschweren Fehler, für einen Weihnachtsurlaub in die USA einzureisen. Kurz vor dem Rückflug verhafteten ihn FBI-Beamte auf der Flughafentoilette in Miami. Fast vier Jahre saß Schmidt im US-Gefängnis – so lange wie kein anderer Beschuldigter in der Dieselaffäre.