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Nach Verhandlungssieg US-Gewerkschaft nimmt auch deutsche Autobauer ins Visier

UAW-Gewerkschaftsboss Shawn Fain hat Geschichte geschrieben: 25 Prozent mehr Gehalt rang er Ford, Stellantis und GM ab. Das könnte auch Folgen für deutsche Autobauer in den USA haben.
Hat bereits das nächste Ziel im Visier: Shawn Fain will sich nach seinem jüngsten Erfolg in Detroit die ausländischen Autobauer im Süden der USA vorknöpfen

Hat bereits das nächste Ziel im Visier: Shawn Fain will sich nach seinem jüngsten Erfolg in Detroit die ausländischen Autobauer im Süden der USA vorknöpfen

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John J. Kim / Chicago Tribune / AP

Nach sechs Wochen Großstreik und zahlreichen Verhandlungsrunden hat Shawn Fain (54) am Montag den Durchbruch erzielt: Auch der letzte Autobauer der sogenannten "Big Three" knickte in Detroit gegenüber dem Chef der größten US-Autogewerkschaft United Auto Workers (UAW) ein. Mit seinem aggressiven Kurs hat er Ford, Chrysler-Mutter Stellantis und General Motors (GM) enorme Zugeständnisse abgerungen.

Das Ergebnis ist in vielerlei Hinsicht von historischer Bedeutung – das sagt sogar US-Präsident Joe Biden (80). Nach vielen Jahren mit Niederlagen am Verhandlungstisch hat Fain das Ruder herumgerissen und für die UAW-Mitglieder den laut Wall Street Journal  besten Tarifvertrag seit den Sechzigerjahren ausgehandelt. Und schon deutet sich an, dass Ford, Stellantis und GM nicht die einzigen Autobauer bleiben könnten, die ihren Mitarbeiterinnnen und Mitarbeitern deutlich mehr zahlen müssen.

Ein historisches Ergebnis

Fain hat zum einen den Mittelstand der Autobranche auf ein neues Level gehoben. Mit dem neuen Vertrag steigt das Topgehalt von 32 Dollar pro Stunde auf 40 Dollar über viereinhalb Jahre verteilt, wie die New York Times  berichtet. Das bedeutet: Bei einer 40-Stunden-Woche kommen die Gut-Verdiener unter den Arbeiterinnen und Arbeitern auf 84.000 Dollar im Jahr. Mit ein paar Überstunden sind sogar 100.000 Dollar oder mehr drin.

Einen noch größeren Erfolg hat Fain aber für die Arbeiter am unteren Ende der Karriereleiter erzielt. Beschäftigte mit einem Stundenlohn erhalten mit dem neuen Tarif statt derzeit 20 Dollar in viereinhalb Jahren 40 Dollar, das Doppelte also.

Geeinigt haben sich der UAW-Chef und die Spitzen von Ford, Stellantis und GM auch auf eine Anpassung der Löhne an die gestiegenen Lebenshaltungskosten, also die Inflation, sowie höhere Beiträge zur Rentenversicherung. Aufsummiert bedeutet das ein Lohnplus von satten 25 Prozent über viereinhalb Jahre. Das ist mehr als alle Erhöhungen zusammen, die die UAW-Mitglieder in den vergangenen 20 Jahren erhalten haben. Für die rund 45.000 Gewerkschaftsmitglieder, die sich am UAW-Streik beteiligt hatten, ein Wahnsinnsergebnis.

Schnelle Eskalation und maximale Öffentlichkeit

Vater dieses Erfolgs ist Fain, der erst seit sechs Monaten im Amt ist und zeitweise in T-Shirts mit Slogans wie "Eat the Rich" auftrat. Er siegte mit einem harten und für die USA bislang einmaligen Ansatz: In der Vergangenheit hatte die Gewerkschaft stets nur einen Konzern bestreikt, den bestmöglichen Vertrag ausgehandelt und dann versucht, diesen auch bei den anderen Konzernen durchzusetzen. Dieses Mal streikte und verhandelte die UAW dagegen bei allen drei Autobauern gleichzeitig und suchte sich gezielt bestimmte Werke aus. So gelang es Fain, die Konzerne gegeneinander auszuspielen. "Die kämpferische UAW ist zurück", sagte Fain zu Beginn der Streiks.

Um den Druck im Laufe der Verhandlungen zu erhöhen, weitete er die Streiks ohne große Vorankündigungen auf besonders wichtige Standorte aus. Die Autobauer hatten keine Chance, sich auf die Streiks vorzubereiten, geschweige denn eine Ahnung, wo und wie der Streik das Unternehmen am härtesten treffen würden. Für Fain eine sehr effektive Strategie. Quasi im Handumdrehen legte er Fords größtes Werk und Goldesel in Kentucky lahm, als der Autobauer ihm bei einer Verhandlungsrunde kein neues Angebot vorlegte. "Ihr habt gerade Kentucky Truck verloren", soll er der Ford-Spitze genervt gesagt haben.

Als ein weiteres Druckmittel bezog er die Öffentlichkeit massiv mit ein, wechselte vom Verhandlungstisch regelrecht in den Livestream. In den sozialen Netzwerken teilte er etwa wöchentliche Updates mit den UAW-Mitgliedern und schockierte damit die Autobosse, die sonst eher verschwiegene Verhandlungspartner gewohnt waren.

Die Gewerkschaftsmitglieder bekommen nun endlich ihre Kaufkraft zurück, nachdem sie jahrelang Zugeständnisse gemacht und niedrigere Gehälter für neue Arbeiterinnen und Arbeiter akzeptiert hatten, als sich die Autobauer von diversen Krisen erholten. Die Vereinbarungen, so US-Präsident Biden, "belohnen Autoarbeiter, die während der globalen Finanzkrise vor mehr als einem Jahrzehnt viel aufgegeben haben, um die Branche am Laufen zu halten."

Schon jetzt wird deutlich, dass die Einigung nicht nur Folgen für die UAW-Mitglieder selbst haben dürfte.

Kampagnen bei ausländischen Autobauern geplant

Der Erfolg könnte weitere Beschäftigte aus der US-Autoindustrie dazu verleiten, wieder in die Gewerkschaft einzutreten. Viele Beschäftige aus der Branche waren nach der Jahrtausendwende aus der UAW ausgetreten, auch die Finanzkrise hatte nur für einen kleinen Aufschwung der Gewerkschaft gesorgt. Insgesamt waren in den USA zuletzt gerade einmal 10 Prozent der Angestellten in einer Gewerkschaft organisiert. Mit dem historischen Sieg könnte Fain dem Mitgliederschwund vorerst ein Ende setzen. "Die UAW hat ihre Macht zurückgewonnen", heißt es von Experten .

Der Gewerkschaftsboss hat zudem bereits sein nächstes Ziel ins Visier genommen: die Südstaaten der USA. Dort betreiben auch die deutschen Hersteller BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen große Produktionsstätten, ebenso Toyota, Honda, Nissan und einige andere. Kaum ein Werk der Autobauer ist dort gewerkschaftlich organisiert.

Bei Volkswagen in Chattanooga im Bundesstaat Tennessee, hatte es die UAW bereits 2014 versucht. Doch die Beschäftigten stimmten gegen eine Vertretung durch die Gewerkschaft. Auch bei Mercedes-Benz in Alabama versuchte sie es in den vergangenen Jahren – vergeblich. Dies könnte sich nun ändern. Schließlich übersteigen die Löhne der neuen Tarifverträge der UAW die Gehälter der nicht gewerkschaftlich organisierten Werke deutlich. Bei letzteren starten Beschäftigte mit Gehältern im oberen 10-Dollar-Bereich und enden bei rund 25 Dollar die Stunde. Der neue UAW-Vertrag reicht dagegen an die 40-Dollar-Marke.

Jetzt will Fain Kampagnen bei BMW, Tesla und weiteren Automobilkonzernen starten. "Eines unserer größten Ziele nach diesem historischen Vertragssieg ist es, uns so zu organisieren, wie wir es noch nie zuvor getan haben", sagte Fain in einer Rede am Sonntag . "Wenn wir 2028 an den Verhandlungstisch zurückkehren, werden wir nicht nur mit den Big Three zusammen sein. Es werden die Big Five oder Big Six sein." Toyota hat bereits im Zuge der Einigungen, die die UAW bei Ford, GM und Stellantis erreicht hat, sein Spitzengehalt auf über 40 Dollar und sein Einstiegsgehalt auf über 28 Dollar angehoben.

Sollte Fain seine Ankündigungen wahr machen und sich auch die Deutschen in den USA vornehmen, können die sich schon einmal auf seine harten Taktiken vorbereiten – rhetorische Angriffe auf die Gehälter der Konzernchefs inklusive.