Die Hälfte der Klagen betrifft Zahnärzte mit ausländischem Diplom

Mangelhafte, zu teure oder überflüssige Zahnbehandlungen? Zahnärzte mit ausländischem Diplom arbeiten offenbar unsorgfältiger als die in der Schweiz ausgebildeten Kollegen. Der Kanton Aargau zieht deshalb nun die Zügel an.

, 28. Januar 2019 um 07:25
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Durch das Freizügigkeits-Abkommen mit der EU dürfen Zahnärzte mit einem Diplom eines EU-Staates ohne weitere Prüfung in der Schweiz tätig sein. Dabei ist seit dem Jahr 2002 gleichzeitig die Zahl der Beschwerden bei Patientenschutz-Organisationen und Kantonszahnärzten konstant hoch. Dies berichtete vor kurzem die «Neue Zürcher Zeitung». Aussagekräftige Statistiken oder Dokumentationen, dass Zahnärzte mit ausländischem Diplom unsorgfältiger arbeiten als ihre Schweizer Kollegen gibt es aber nicht. Ebenso ist unklar, ob in gewissen Staaten die Ausbildung den Minimalanforderungen der EU entsprechen.
Die Aargauer Sektion der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaften SSO hat nun während zwei Jahren sämtliche Klagen von Patienten analysiert, die bei der Zahnärztlichen Begutachtungskommission eingingen. Das Resultat, das der NZZ vorliegt: Obwohl im Aargau deutlich weniger Zahnärzte mit ausländischem Diplom tätig sind als Schweizer Zahnärzte, betrifft die Hälfte der Klagen gegen Nicht-SSO-Mitglieder Zahnärzte mit ausländischen Diplomen. Auf Anfrage wollte die SSO Aargau gegenüber Medinside keine weiteren Details dazu nennen.

Härtere Sanktionen und Stärkung des Kantonszahnarztes

Der Zeitungsbericht zeigt auch: Viele ausländische Zahnmediziner praktizieren in der Schweiz in grösseren Zahnarzt-Zentren, häufig für drei Monate. Entsprechend oft werde auch die Arbeit von solchen Gemeinschaftspraxen beanstandet. Die Praxen übernehmen keine Haftung für nicht mehr bei ihnen tätige Zahnmediziner. Die NZZ berichtet von einem Fall, wo ein Zahnarzt im Kanton Aargau einem Patienten sogar ein gebrauchtes Implantat eines anderen Kunden wieder ins Gebiss einsetzen wollte.
Die Erkenntnisse der Aargauer SSO-Erhebung hat jetzt aber bereits zu ersten Massnahmen geführt: So erweitert der Kanton Aargau die Kompetenzen des Kantonszahnarztes. Die Stelle soll in die kantonale Verwaltung eingegliedert werden. Und das Pensum wird von 10 auf 50 Prozent erhöht. Ausserdem wollen die Verantwortlichenein neues Bussenreglement für Nicht-SSO-Mitglieder erlassen und in gravierenden Fällen die Staatsanwaltschaft einschalten.

Kritik an der Qualität der Ausbildungen

Die Vergleichbarkeit der Studiengänge ist vielen Zahnärzten ein Dorn im Auge. Für Beat Wäckerle entspricht die formelle Gleichwertigkeit eines ausländischen Diploms nicht immer der tatsächlichen Qualität des Ausbildungsgangs, schreibt der Präsident der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft SSO in einem Kommentar in der NZZ. Aber es gebe auch in der Schweiz hochqualifizierte und bestens integrierte Zahnärzte mit ausländischem Diplom, unter anderem an Universitäten und in den SSO-Kommissionen.
In der Schweiz seien jedoch vier bis fünf Mal so viele Zahnärzte zugewandert, wie notwendig wären. Dies habe eine Überversorgung zur Folge, so Wäckerle weiter. Dagegen versuche man anzukämpfen. Der SSO-Präsident erwähnt dabei hauptsächlich Zahnärzte-Ketten mit branchenfernen CEO, oft mit Sitz im Ausland, welche in erster Linie rein profitorientiert handelten – und eben nicht immer zum Wohle des Patienten.

Hohe Zahnarztdichte im Tessin – aggressive Werbung

Vor allem im Grenzkanton Tessin bekommen Zahnarztpraxen die Auswirkungen des Freizügigkeitsabkommens besonders stark zu spüren. Dort hat sich die Zahl der Zahnärzte seit 2002 auf 450 verdoppelt. Mehr als die Hälfte von ihnen hat ein ausländisches Diplom; viele arbeiten Teilzeit und kommen aus dem grenznahen Italien. Dabei scheinen italienische Zahnärzte beim Aufbau des eigenen Kundenstamms recht aggressiv vorzugehen, wie SRF vor kurzem meldete. Das Tessiner Gesundheitsdepartment verzeichnete innerhalb der vergangenen fünf Jahre rund 50 Anzeigen wegen aggressiver Werbung.
Über die Qualität der ausländischen Zahnärzte kann Tazio Gada, der Präsident der Tessiner Zahnärztevereinigung, keine genauen Angaben machen. Viele Patientinnen trauten sich aber nicht, Anzeige gegen den behandelnden Arzt zu erstatten, so der Zahnärztepräsident. Bei Nicht-SSO-Mitgliedern müssen sich Patienten in den meisten Kantonen an den jeweiligen Kantonszahnarzt wenden. 

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