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„Tannhäuser“ in München: Zeit der Künstlichkeit

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Eine raunende Meditation übers Stück in manchmal schönen Bildern: Szene aus dem zweiten Akt.
Eine raunende Meditation übers Stück in manchmal schönen Bildern: Szene aus dem zweiten Akt. © Foto: Wilfried Hösl

Eine bessere Sängerbesetzung für diesen neuen „Tannhäuser“ an der Bayerischen Staatsoper lässt sich nicht finden - wohl aber ein besserer Regisseur. Die rituellen Bilder von Romeo Castellucci erzählen nichts über die Figuren. Hier die Premierenkritik:

München - Nicht hundert, nicht tausend – Milliarden von Milliarden von Abermilliarden Jahre werden vergangen sein, so sagen es projizierte Worte, bis Tannhäuser und Elisabeth vereint sind. Als Aschehäufchen, die zwei Sänger zusammenschütten – der Klaus und die Anja, wie Grabsteininschriften signalisieren. Ein Bild der Vergänglichkeit, des Vergehens, ein Requiem-Ritual, schön, dunkel und rätselhaft. All das kann man hier herauslesen und noch viel mehr. Zwei Dinge muss man dafür allerdings akzeptieren, was doch sehr schwer ist: Mit theatraler Logik hat dieser neue „Tannhäuser“ nichts zu tun, mit einer Operninszenierung noch viel weniger.

Als stiller, starker Bild-Erfinder wird Regisseur und Ausstatter Romeo Castellucci gerade hoch gehandelt. Als einer, der die Oper öffnet, sie konfrontiert mit scheinbar Material- und Gedankenfremdem. Dabei ist das gar nicht so taufrisch, was der Italiener mit dieser Premiere an der Bayerischen Staatsoper riskiert. Die statuarischen Lichtstimmungen von Wieland Wagner, der szenische Zitatenwust von Christoph Schlingensief oder die kühlen Tableaus von Robert Wilson: Oper als Installation, als Performance – alles schon mal da gewesen.

Der Sänger ist nur szenisches Ornament

Leicht wäre es, diesen Abend abzulehnen, um den ein Buh- und Bravosturm tobte. Ihn abzutun als krause Langeweile. Wenn da nicht Bilder wären, die einen lange verfolgen. Das Vorhanglabyrinth, durch das Elisabeth irrt, den werbenden Männern dabei so unendlich fern. Das Alien-Wesen, das sich in einem halbtransparenten Kubus regt und tobt, sobald Tannhäuser vor dem Landgrafen von Gelüsten singt. Der goldene Fels, Reichtum und Ballast, den die Rom-Pilger tragen. Die Leichen von Tannhäuser und Elisabeth in immer neuen Verwesungszuständen, die hereingetragen werden. Aber dann gibt es auch anderes, das die Grenze zur Beliebigkeit und zur Komik übertritt, am schlimmsten im „Venusberg“: Elena Pankratova, eine Liebesgöttin mit stabiler Vokaldramatik, thront als Urmutter-Fettberg um nackte Leiber – das hat George Lucas bei Jabba the Hutt in „Star Wars“ besser hingekriegt.

Vieles, was das Wartburg-Drama ausmacht, wird nach oben gespült. Atmosphären, Stimmungen, Denkzusammenhänge und Querverweise auch auf andere Wagner-Dramen, für die nicht nur zwei ständig präsente Symbole stehen: der Pfeil, mit dem Tannhäuser einmal wie Siegfried in den Rücken gestochen wird, und die Scheibe, die Abendstern, Sonne und Ding der Vollkommenheit sein kann. Und doch ignoriert Castellucci Grundgesetze des Theaters. Diese Produktion mag als raunende Meditation übers Stück taugen, erzählt aber nichts über die Figuren. Der Sänger ist bloß noch szenisches Ornament. Beziehungen, Interaktionen gibt es nicht. Was für eine Unterforderung gerade dieser Stars: In sechs Wochen Probenzeit hätte Castellucci die Produktion problemlos mit Statisten und CD-Spieler entwickeln können.

Klaus Florian Vogt - eine echte Heldentenor-Alternative

Große Namen zu einer homogenen Besetzung zusammenzaubern, das ist der Bayerischen Staatsoper dennoch geglückt. Ein Brachial-Tannhäuser hätte zu Filigranarbeitern wie Anja Harteros, Christian Gerhaher und Georg Zeppenfeld gar nicht gepasst. Klaus Florian Vogt hat sich beim Debüt eine sehr eigene, sehr passende Lösung für seine Stimme zurechtgelegt. Anfangs hat er, wohl nervositätsbedingt, Probleme mit der Atemkontrolle. Doch gerade im zweiten Akt, den Kollegen nur mit geschwollenem Hals schaffen, segelt Vogts Tenor übers Ensemble. Immer nachdrücklicher, kraftvoller wird er und wagt auch Raues. Vogt muss sich in diesen Momenten nichts erobern, die Stimme ist dank seiner so eigenen Klangmischung wie natürlich präsent. Eine echte Heldentenor-Alternative.

Auch auf eine andere, ungute Weise strahlt Castelluccis Konzept auf die Solisten aus. Wo szenische Unterbeschäftigung herrscht, wendet sich jeder mit Hingabe seinen Soli zu. Das genaue Silben- und Farbabwägen durchzieht die Premiere – bis hin zum Manierismus, zur Künstlichkeit. Auch Anja Harteros, die im gestischen Singen, im Vorführen ihrer grandiosen, klug hinterfragenden Künste auf einsamer Höhe im Sopranfach wandelt und viel, viel besser ist als bei Italienischem, auch sie ist davor nicht gefeit: Das Gebet der Elisabeth wird in Zeitlupe zelebriert. Christian Gerhaher ist im Reflektieren der Wolfram-Figur ohnehin so weit gekommen, wie es vor ihm nur Fischer-Dieskau gelang. Es ist ja nicht nur die Vokalkunst, die man bestaunt, das Gehorchen einer Stimme in jedem Aggregats- und Gemütszustand. In jedem Satz schwingt bei Gerhaher die ganze, letztlich ungreifbare Geschichte dieses Minnesängers mit. Umso ärgerlicher, dass er das szenisch kaum einlösen darf. Georg Zeppenfeld liefert einen Gegenentwurf zu den Kollegen, die den Landgrafen wie mit eingebauten Kothurnen singen. Im klanglichen Abschmecken der Worte ist er Harteros und Gerhaher ebenbürtig. Und bleibt doch der Einzige, der seinen schönen Tönen nicht ständig nachhört.

In den schwächsten Momenten eine klingende Vorlesung

Dass Manierismen passieren, geht auch aufs Konto von Kirill Petrenko. Fast jede Note, die Wagner in seinen Dresdner, Pariser und Wiener Fassungen geschrieben hat, wird gespielt – und ist, so das kleine Wunder, auch zu hören. Sehr bedächtig, sehr langsam ist Petrenko. Die Musik schwitzt nur passagenweise, schnell kehrt alles wieder zurück zur peniblen Partiturbefragung. Was man hört, ist bestechend. Der Staatsopern-Chor gestaltete kaum je so differenziert. Und mit diesem Detail- und Klangbewusstsein spielt das Staatsorchester in einer Liga mit den Edel-Kollegen aus der reinen Symphonik.

Petrenko liegt weniger an der Überwältigung als an der Durchdringung von Struktur und Instrumentation. In den schwächsten Momenten wird das zur klingenden Vorlesung. Und trifft sich dann (Absicht?) mit Castelluccis Ansatz. Wahrscheinlich funktioniert dieser neue „Tannhäuser“ nur auf zwei Weisen. Als reines Konzert - mit dazugehörigem Fotobuch.

Lesen Sie dazu auch unser Interview mit Titelrollen-Sänger Klaus Florian Vogt.

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Sehen Sie hier die Video-Kritik aus der Staatsoper: 

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