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Schaurig-schön und mit pazifistischer Botschaft: Das neue Album von Dreiviertelblut

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Freuen sich über ihr neues Album: Sebastian Horn (li.) und Gerd Baumann.
Freuen sich über ihr neues Album: Sebastian Horn (li.) und Gerd Baumann. © Dreiviertelblut

Sänger Sebastian Horn aus Lenggries und seine Mitstreiter legen mit „Plié“ ein neues Album vor, das musikalisch besticht und einige Geheimnisse birgt.

Lenggries – Seit Kurzem gibt es ein neues Album der Band „Dreiviertelblut“ mit dem Titel „Plié“. Es ist ein zufälliges Geburtstagsgeschenk für Sänger Sebastian Horn, der am Tag des Erscheinens, am 2. Dezember, 52 Jahre alt geworden ist. Es ist aber auch ein Geschenk für alle, die von der schaurig-schönen Musikkunst der Formation verzaubert sind.

Dreiviertelblut spielt „Lied vom unbekannten Soldaten“

Nichts Geringeres als die Menschwerdung, die Bedeutung des Menschseins und die Konfrontation mit der Endlichkeit ist das große Thema, das Horn umtreibt – und das er mit Hilfe der hervorragenden Musiker Luke Cyrus Götze, Benjamin Schäfer, Dominik Glöbl, Florian Riedl, Flurin Mück und vor allem mit Gerd Baumann, seinem kongenialen musikalischen Partner, in Texte und Töne verwandelt. „Aber dieses Mal war es auch der Pazifismus, der uns bewegt hat“, sagt Horn. Das „Lied vom unbekannten Soldaten“, das trocken und abgeklärt daherkommt, und vielleicht gerade deshalb so eindringlich ist, erzählt davon. Es ist eine Art Hommage an Ludwig Hirsch, den schwermütigen österreichischen Liedermacher, und es ist, gerade in heutigen Zeiten, schrecklich aktuell. Oder auch „Ast vom Baam“, eigentlich ein Kinderlied. Was sich so leichtfüßig anhört, sei in Wirklichkeit ein „grausamer Text“, der Horn immer wieder Schauder verursacht. „Moing schaut die Welt scho wieder ganz anders aus“, heißt es darin.

Und manchmal besteht das Morgen aus einem gähnenden Abgrund, wie bei der Mutter, die sich ihre Schwimmweste auszieht, weil sie ihr Kind auf der Flucht nicht alleine ertrinken lassen will. Belanglos ist nichts, was Horn schreibt, und auch Baumann hat drei Texte von „Plié“ gemacht. Darunter „Irgendwann“, erschreckend zeitgeistig. Ohne es groß zu erklären oder bestimmten Jargon zu benutzen, geht es um Vorverurteilungen, sobald die Meinungen auseinanderdriften. Im geschmeidigen Takt und mit eingängigem Refrain lädt es zum Mitswingen ein, ein Gegensatz, der für „Dreiviertelblut“ eben kein Gegensatz ist.

Bei Dreiviertelblut geht es wie immer reichlich mystisch zu

Wie immer geht es ansonsten auch reichlich mystisch zu mit Tod und Teufel und all dem Geheimnisvollen zwischen Himmel und Erde. Und es ist Musik, die alles andere als gleichförmig ist. Die Band ist sich auch beim vierten Album treu geblieben in ihrem Anliegen, folklorefreie Volksmusik zu machen und dabei mit den Genres zu spielen. Erwähnt sei „Rosbluat und Schneider“, Horns Lieblingsstück. Es handelt von zwei Beinahe-Selbstmördern, die sich in der allerletzten Minute für das Leben entscheiden – und der Text dazu ist die reinste Poesie, umhüllt von vielschichtigen und lautmalerischen Melodien. Es ist wie Schauspiel für die Ohren, und die Bilder dazu kommen ganz von selbst.

Auch „Ewige Wolke“ lockt mit verführerischen Zeilen, so dass man zunächst denkt, es handele sich um ein Liebeslied. „Aber wenn man genau hinhört, kann man schon erkennen, dass es um was Anderes geht“, findet Horn. Es geht tatsächlich um eine Liebesbeziehung im weitesten Sinn, nämlich die ewige Leidenschaft der Leute für ihr Handy. „Ich finde es manchmal schon erschreckend zu sehen, wie Mütter den Kinderwagen schieben und dabei nur auf den Bildschirm schauen“, sagt Horn. „Die wenigsten Menschen gehen noch mit offenen Augen durch die Welt.“

Klang der Kirchenglocken von Lenggries auf neuem Album von Dreiviertelblut

Seine Texte entstehen eigentlich immer und zu jeder Zeit. Es seien Fragmente, die ihn anfallen, beim Autofahren oder in der Natur. „Wenn dann eine Melodie kommt und zwei oder drei Puzzlestücke zusammenfallen, dann wird ein Lied daraus.“ Und manchmal ist es direkt magisch, ganz so, wie Dreiviertelblut es wieder und wieder besingt.

So beginnt „Plié“ mit Glockenläuten, und damit hat es etwas sehr Spezielles auf sich. Denn es ist der Klang der Lenggrieser Kirchenglocken von St. Jakob vom 31. März 1942. Und es war das letzte Mal, dass sie geläutet haben, bevor sie zu Kriegszwecken eingeschmolzen wurden, um Munition daraus zu machen. Die Aufnahme davon bekam Horn – er lebt in Lenggries – auf einer Schellackplatte. Er sollte sie digitalisieren und so für die Nachwelt erhalten. „Die Vorstellung, dass so ein heiliges Instrument dazu benutzt wird, um Kugeln daraus zu machen, mit denen Menschen getötet werden, macht mir immer wieder Gänsehaut“, sagt er.

„Plié“ ist ein Konzertritual von Dreiviertelblut

„Plié“ ist eine Platte, die man aufmerksam hören sollte, denn tatsächlich will sie ein bisschen erarbeitet werden. Sie einfach nur nebenbei laufen zu lassen, würde ihr nicht gerecht werden. Es steckt viel Herzblut drin und viel Persönliches, manches poetisch verschlüsselt, manches schnörkellos direkt. Und übrigens: „Plié“ kommt vom Bandritual, sich vor einem Auftritt im Kreis aufzustellen, Fersen und Fußspitzen aneinander und dann die Knie zu beugen wie beim Ballett. Soll Glück bringen – und ein gutes Konzert.

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