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Er ist Mollaths stärkste Waffe

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Pullach – Ein Mann polarisiert: Wilhelm Schlötterer sorgte vor vier Jahren mit einem CSU-kritischen Buch für Wirbel. Das ist fast schon Vergangenheit. Schlötterers Interesse gilt nun dem Fall Mollath. Er hat ihn selber ausgelöst.

Das Feindbild vieler CSU-Anhänger kann sehr feinsinnig sein. Wilhelm Schlötterer, 73, ist Präsident der Münchner Dante-Gesellschaft, er spricht fließend italienisch. Man kann ihn sich gut vorstellen, wie er bei einem guten Glas Rotwein über Verdi und Rossini philosophiert. Schlötterer verschmäht auch Richard Wagner nicht – und die Bayreuther Festspiele.

Wobei wir beim Thema wären: In Bayreuth ist Schlötterer nun öfter – aber nicht wegen des Festspielhauses auf dem Grünen Hügel. Stattdessen geht er in das Bezirksklinikum, zum Psychiatrie-Patienten Gustl Mollath. Seit zwei Jahren ist Schlötterer die von Mollath benannte sogenannte Person des besonderen Vertrauens. Er darf die Anhörungen des Vollstreckungsgerichts besuchen, das jedes Jahr neu über die Unterbringung Mollaths in der Psychiatrie befindet. Vergangene Woche war wieder so ein Termin. Die Aussicht auf Freilassung: eher unsicher.

Schlötterer sitzt am Wohnzimmertisch in seinem Haus in Pullach. Ruhige Villengegend, betuchtes Bürgertum. Hier wohnt der Mann, der den Strauß-Flügel der CSU mit einem Buch tranchierte. „Macht und Missbrauch“ verkaufte sich bis heute 86 000-mal. Manch einer hadert damit. „Wilhelm Schlötterer ist der Stalker unserer Familie“, sagt Franz Georg Strauß. Und dann fallen Vokabeln wie „notorisch“, „hochstaplerisch“, „wahnhaft“. Am Ende des Gesprächs sagt Strauß: „Wir führen keinen Krieg, wir wehren uns nur.“ Winfried Scharnagl, früherer Strauß-Intimus, rechnete im „Bayernkurier“ kürzlich ab. „21 Jahre wartete der Täter, ehe er sich aus der Deckung wagte“ – mit Täter ist Schlötterer gemeint, sein unschuldiges Opfer, klar, ist Franz Josef Strauß. Erwin Huber, dem in Schlötterers Buch auch ein Kapitel gewidmet ist, windet sich. „Für mich existiert der nicht mehr.“ Es gibt auch andere Stimmen. Für Sepp Dürr ist Schlötterer ein Held. Wegen seines Buches stellte der Grüne einst den Antrag, den Franz-Josef-Strauß-Flughafen umzubenennen. Florian Streibl, Abgeordneter der Freien Wähler, adelt ihn als „äußerst akribischen und korrekten Menschen“. Dass in Schlötterers Buch auch sein Vater etliche Breitseiten abbekommt, stört ihn nicht mehr. „Darüber haben wir ein längeres Gespräch geführt.“

Immer noch sind Schlötterers Lesungen gut besucht. Wenn er im Wirtshaus auftritt, wie kürzlich im Landkreis Fürstenfeldbruck, setzen sich auch die Bedienungen hin und hören zu. Einmal, erzählt Schlötterer, habe ihn auch die CSU eingeladen – in Günzburg, wo ihm der unlängst verstorbene ehemalige Innenminister Bruno Merk zwei Bücher abkaufte. Schlötterer ist seit 1975 CSU-Mitglied. Er ist es immer noch. Er habe ja auch kein Buch gegen die CSU geschrieben, sondern nur gegen gewisse Führungsfiguren.

Meist hält Schlötterer seine Hände in Zaum, indem er sie faltet und auf der bestickten Tischdecke abstützt. Er redet faktengespickt, hat alles im Kopf. Paragraph 26 Bundesrichtergesetz, Artikel 115 Petitionsrecht, Einweisungsgutachten, Wiederaufnahmeantrag, Vollstreckungsbeschlüsse – akkurat mit Datum. Fehlt nur noch, dass Schlötterer das Aktenzeichen auswendig weiß. Manchmal redet sich Schlötterer in Rage, einmal haut er auf den Tisch, dass es kracht. „Man hat Mollath einen Wahn angehängt“, sagt er.

Der Kontakt kam, sagt Schlötterer, per Post zustande. Im Juli 2009 präsentiert Schlötterer sein Buch im Münchner Literaturhaus. Auch ein gewisser Gustl Ferdinand Mollath, heute 56, liest darüber.

Einige Wochen danach erreicht Schlötterer ein Schreiben. Absender: Mollath. „Zuerst war ich skeptisch“, sagt Schlötterer. Aber Mollaths Schilderung klingt konkret, er nennt Details über Schwarzgeldgeschäfte, die ehemalige Mitarbeiter der HypoVereinsbank, darunter seine Frau Petra, abgewickelt haben sollen. Und er sagt, dass ihn seine Frau, aus Angst, dass diese Deals auffliegen, in die Psychiatrie gebracht habe. Soll sich Schlötterer darauf einlassen? Auf den Insassen einer Irrenanstalt? Schlötterer zögert, doch dann ruft er Mollath an – und ist beeindruckt. „Er hat die Zusammenhänge sehr klar und prägnant geschildert.“ Doch die Sache schläft wieder ein. Eineinhalb Jahre hört Schlötterer nichts mehr. Erst im Februar 2011 bekommt er das Gutachten, das zur Einweisung des Nürnbergers führte. Er bekommt auch ein 106-seitiges Konvolut Mollaths, das neben Schwarzgeld-Vorwürfen auch über Briefe an den Papst und UN-Generalsekretär Kofi Annan berichtete. Weltfremdes, wirres Zeug. „Das wirkte eher befremdlich“, räumt Schlötterer ein. Dennoch setzt er sich hin und schreibt ein Dossier über den Fall. Es ist der 28. März 2011 – und Schlötterers Urteil steht fest. Felsenfest. Die Quintessenz steht auf Seite 30: „Es steht außer Zweifel, dass der Fall Mollath einen menschenverachtenden politischen Justizskandal darstellt.“

Menschenverachtend? Geht’s nicht eine Nummer kleiner? Mollath sitze seit Februar 2006 in der Psychiatrie, antwortet Schlötterer. „Was der Mann da drinnen erlitten hat, das können Sie nicht wiedergutmachen.“ Juristischer Knackpunkt sind aber nicht Menschenrechts-Verstöße, sondern die Schwarzgeld-Behauptungen Mollaths. Staatsanwaltschaft und Gericht hätten, obwohl Mollath seit 2003 konkrete Hinweise gegeben habe, diese Vorwürfe nie überprüft. Schlötterer nennt das „Strafvereitelung im Amt“ – eine Straftat. Dass der Fall symptomatisch für eine verkommene Justiz in Bayern sei, glaubt er aber nicht.

14 Tage benötigt Schlötterer damals für sein Dossier. In seinem Arbeitszimmer wachsen die Leitz-Ordner, beschriftet mit Mollath I bis XV, auf zwei Meter Länge. Auf dem Boden sortiert er die jüngsten Dokumente – er muss nur aufpassen, dass ihm nicht einer seiner Enkel dazwischenfunkt. Das Büro ist nämlich zweigeteilt – ein Teil Mollath und CSU, ein Teil für die Enkelkinder-Betreuung. Laufstall und Kinderspielzeug dicht an dicht mit Aktenmaterial wie dem Sonderrevisionsbericht der HVB vom 17. März 2003, der die Schwarzgeld-Transfers zum Teil bestätigte. Die allererste Mollath-Strafanzeige vom 11. Juni 2003 präsentiert Schlötterer wie eine Trophäe.

Für sein Dossier hat ihn niemand bezahlt, beteuert Schlötterer. Warum hat er sich so in den Fall reingekniet? „Mollath ist unschuldig – würden Sie sich da nicht engagieren?“ Es ist wohl auch Lust am Widerspruch. Mit juristischen Finessen kennt sich Schlötterer aus. Die Personalakte des pensionierten Ministerialrats im Finanzministerium dürfte tausende Seiten umfassen – Um- und Versetzungen, Disziplinarverfahren, angebliche Dienstvergehen, gegen all das hat sich Schlötterer gewehrt. Dass sein Buch juristisch bekämpft wird, kann ihn nicht erschüttern. Derzeit wird die Behauptung, Strauß habe ein Erbe von über 300 Millionen Mark hinterlassen, juristisch hinterfragt.

Ende 2011 wird Mollaths Geschichte publik. Erst dann äußert sich auch Bayerns Justizministerin Beate Merk – eher abwehrend und beschwichtigend. Sie hätte spätestens im Dezember 2011 intervenieren müssen, beharrt Schlötterer. Schon damals habe ihr eine eidesstattliche Versicherung vorgelegen – nach der Petra Mollath schon 2002 gesagt habe, sie werde ihren Mann „fertigmachen“. „Merk hat die ordnungsgemäße Anwendung des Rechts nicht gewährleistet“, urteilt Schlötterer. Er hofft auf Aufklärung durch den Untersuchungsausschuss des Landtags.

In der Beurteilung Merks sind sich Schlötterer und Franz Georg Strauß überraschend einig. Strauß hat mit Merk wegen der Prozesse gegen seinen Bruder Max noch Rechnungen offen. „Herr Schlötterer hat nachgewiesen, dass Frau Merk eine schlechte Justizministerin ist“, sagt Strauß. „Dafür bin ich ihm ausgesprochen dankbar.“

Dirk Walter

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