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„Biedermann und die Brandstifter“: Im Bann der Zerstörung

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Hartherzig: Gottlieb Biedermann, überzeugend gespielt von Olaf Gottschalk.
Hartherzig: Gottlieb Biedermann, überzeugend gespielt von Olaf Gottschalk. © Prott

Er sieht es - und tut trotzdem nichts: das Böse. Biedermann lässt die Schurken machen. Eine starke Inszenierung in Unterföhring.

Unterföhring – „Geben Sie mir die Streichhölzer“, fordert Schmitz und streckt dem Hausherrn die Hand entgegen. Hektisch kramt Gottlieb Biedermann die Zündhölzer aus seiner Hosentasche und gibt sie dem Brandstifter. Sein Haus ist voller Benzinkanister. Eine unvorstellbare Situation ist eingetreten. Der Zuschauer wird Zeuge, wie die Katastrophe ihren Lauf nimmt.

In 90 Minuten entwickelt das tim-Theater München im Bürgerhaus Unterföhring kompakt und mit starken Bildern das Drama „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch. Die Unterföhringer Regisseurin Anschi Prott hat es inszeniert.

Hartherzig und selbstsüchtig

Gottlieb Biedermann ist ein reicher, aber herzloser Geschäftsmann. Sein ruhiges Leben stört nur der Hausierer Schmitz. Er fordert Obdach in Biedermanns Villa – im Namen der Menschlichkeit. Gerade sie ist der Türöffner für das Werk der Zerstörung, das dann beginnt. Widerwillig gewährt Biedermann, in seiner hartherzigen Selbstsucht überzeugend dargestellt von Olaf Gottschalk, Schmitz und dessen Kumpanen Eisenring Einlass.

Irgendwie hat ihre dreiste Offenheit etwas Einnehmendes. Im Handumdrehen sitzt der vitale Kraftprotz Schmitz (Nebojsa Pajic-Pajo) auf Biedermanns Wohnzimmersessel. Alles weist darauf hin, dass der ehemalige Zirkus-Ringer der berüchtigte Brandstifter ist. Doch Biedermann verschließt die Augen.

Führung längst abgegeben

Als Schmitz und Eisenring Fässer und Kanister voll Benzin ins Wohnzimmer tragen, schaut Gottlieb Biedermann tatenlos zu. Längst ist er nicht mehr Herr im eigenen Haus und hilft am Ende sogar bei der Vernichtung seiner eigenen Existenz.

In den starken Dialogen erahnt der Zuschauer die Katastrophe, die sich überdeutlich ankündigt: Wunderbar überzeichnet ist das Abendessen auf den Benzinfässern, zu dem Herr Biedermann und seine Frau die Brandstifter einladen – da wird Party inszeniert! Meisterin der aufgesetzten Stimmung ist Babette Biedermann (Sylvia Haas), die immer dann besonders laut lacht und lustig mit den Armen wackelt, wenn die Brandstifter völlig ungeschönt ihr Verbrechen ankündigen.

„Was ist die beste Tarnung, wenn wir uns betrügen lassen?“, fragt Eisenring (Katharina Laskowsky) und antwortet selbst: „Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste ist Sentimentalität. Die beste aber ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand.“

Hausmädchen begehrt auf

Wo Erkennen, Entscheiden und Handeln gefordert wären, beobachtet das Publikum, wie Biedermann, eitel und gefallsüchtig, vor den Halunken zurückweicht. Nur das Hausmädchen Anna (Sahika Tetik) ist entschlossen, die beiden vor die Tür zu setzen. Doch Biedermann verhindert das, ihm fehlt der Mut zur Tat. Feige lässt er die „Gäste“ in ihrer Freude an der Zerstörung gewähren.

In der Vergangenheit wurde das Drama von Max Frisch als Parabel auf den Nationalsozialismus verstanden. Anschi Prott und ihre sechs Schauspieler transportieren die Botschaft in die Gegenwart: Naturkatastrophen, Umweltzerstörung, Fremdenhass, der Verlust von Demokratie . . . Anzeichen für aufkommende Katastrophen sind offensichtlich. Wie wollen wir ihnen begegnen? Hirn, Herz und Mut, all das hat Biedermann gefehlt.

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