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Internetsucht-Experte: „Manche verwahrlosen regelrecht vor dem Computer“

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Dr. Bert Theodor te Wildt
Dr. Bert Theodor te Wildt © -

Chefarzt Bert Theodor te Wildt von der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen ist Experte für Internetsucht. Ein Gespräch über eine bisher unterschätzte Gefahr.

Wer ist der typische Computerspiel-Süchtige?

Junge Männer, die sich in der realen Welt nicht gesehen und anerkannt fühlen, in der virtuellen Welt ihr Selbstwertgefühl aufwerten – und dabei immer mehr verlieren. Nur noch Computerspiele werden als positiv empfunden. Die Probleme in der realen Welt wachsen.

Aber ein reales Leben bleibt ja: Schule, Beruf ...

Betroffene vernachlässigen das reale Leben, spielen bis tief in die Nacht hinein. Sie kommen morgens nicht aus dem Bett, zu spät in die Schule, schlafen in der Schule ein. Manche verwahrlosen regelrecht vor dem Computer. Das sind die drei vernachlässigten Bereiche: Fürsorge für den eigenen Körper, soziale Beziehungen, Leistung. Das junge Erwachsenenalter ist das typische Alter, wo die Sucht manifest wird. Viele hangeln sich gerade noch bis zum Schulabschluss durch, zu dem Moment, an dem sie eigentlich erwachsen werden sollen. Daran scheitern sie.

Der Anfang liegt davor ...

Viele wachsen förmlich in die Sucht hinein. Sie haben viel Lebens- und Entwicklungszeit verspielt, bis sie in Behandlung kommen. Zum Beispiel, sich im eigenen Körper einzurichten. Oder partnerschaftliche Beziehungen und Sexualität. Es geht auch um soziale Kompetenz. All das kann man nicht allein vor dem Computer entwickeln.

Zur Therapie gehört kompletter Verzicht auf Computerspiele

Wie läuft die Therapie?

Ziel ist, den Betroffenen ein unabhängiges Leben zu ermöglichen. Voraussetzung ist der komplette Verzicht auf Computerspiele. Wenn der Patient aber plötzlich acht, zehn, zwölf Stunden Zeit hat, muss man helfen, diese Zeit sinnvoll zu füllen: Freundschaften reaktivieren, ein neues Körperbewusstsein entwickeln und an alte Fähigkeiten anknüpfen. Wenn man nur Grenzen setzt, nicht mehr zu spielen, ist man auf völlig verlorenem Posten.

Das klingt, als nehme er erstmals wieder die
Außenwelt wahr?

Das ist so. Manche junge Männer haben das reale Leben nie schätzen gelernt. Sie sind dort gemobbt worden, wurden zuhause vielleicht vernachlässigt. Oft geht es nicht um ein Wiederentdecken, sondern darum, überhaupt erst einmal seinen Platz in der Realität zu erobern.

Ist die Sucht vergleichbar mit Alkoholsucht?

Absolut. Wer einmal computerspielsüchtig war, also acht bis 16 Stunden am Tag über Monate oder Jahre gespielt hat, sollte ganz auf Computerspiele verzichten. Alle süchtigen Patienten, die ich kenne und die ein kontrolliertes Spielen angestrebt haben, sind davon nicht losgekommen.

Von welchen Spielen reden wir eigentlich?

Bedauerlicherweise von den erfolgreichsten: Online-Rollenspiele, Online-Strategiespiele und Online-Shooter.

E-Sportler sorgen in der Regel für Ausgleich

Was sagen Sie zum E-Sport-Trend?

Die E-Sport-Szene ist darauf bedacht, keine Süchtigen in ihre Ligen aufzunehmen. E-Sportler sorgen in der Regel für Ausgleich, Entspannungsphasen. E-Sport hat seine Berechtigung. Ein Problem ist, dass viele den Sportlern nacheifern. Aber nur die wenigsten werden am Ende Profis, manch einer auf dem Weg dorthin aber süchtig.

Glücksspiel ist ebenfalls eine Sucht. Die Branche nutzt das für ihre Spiele.

Die Branche hat festgestellt: Mit Glücksspielelementen binden wir die Spieler noch stärker an unsere Produkte. Man nimmt zum Beispiel an einer Art Lotterie teil, wenn man ein Spielziel erreicht. Das ist psychologisch die beste Weise, ein Verhalten zu verstärken. Oder man kann Lootboxen kaufen, virtuelle Überraschungskisten. Dort hofft man, Zauberkräfte zu finden. Spätestens da ist die Grenze zum Glücksspiel überschritten, das ja im Netz eigentlich verboten ist. Hier ist der Gesetzgeber gefordert.

Was können Eltern tun?

Das Wichtigste ist, mit dem Kind darüber sprechen und sich dafür zu interessieren, was es macht. Wenn Eltern Kindern keine Grenzen mehr setzen können, gibt es ein pädagogisches Problem. Grenzen setzen heißt auch Schutz und Halt geben. Kommt man nicht weiter, sollte man sich an Beratungsstellen wenden.

Findet mancher nicht mehr aus der Sucht heraus?

Manche Patienten werden aggressiv, andere depressiv und versuchen, sich das Leben zu nehmen. Es gibt auch eine Art Überdosis. Aus Südkorea kennt man über 20 dokumentierte Fälle, wo Spieler tot am Computer zusammengebrochen sind. Sie hatten kaum noch gegessen, getrunken, geschlafen.

Interview: Wolfgang Hauskrecht

Lesen Sie auch: „Etwas läuft richtig schief“ - Suchtgefahr durch Computerspiele im Kinderzimmer

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