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ARD-Journalist Sigmund Gottlieb: „Ich wollte einen Dienstwagen – der wurde aber abgelehnt“

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Der ARD-Journalist und langjährige Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, Sigmund Gottlieb, sitzt bei einer Diskussionsrunde.
18 Euro Rundfunkbeitrag? „Dafür kriegen Sie auf der Wiesn nicht mal eine Maß und eine Fischsemmel“, sagt Sigmund Gottlieb. © Frank Hoermann/Imago

Sigmund Gottlieb ist eines der bekanntesten ARD-Gesichter. Wie blickt der ehemalige Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens auf die Schlesinger-Affäre und die Vorwürfe gegen den NDR?

Köln – Die Vorwürfe gegen die ARD reißen nicht ab. Den Anfang machte die mittlerweile gekündigte RBB-Intendantin Patricia Schlesinger. Sie musste wegen des Verdachts auf Günstlingswirtschaft, Spesenbetrug und private Bereicherung ihren Posten räumen. Auch beim NDR rumort es. Dort geht es nicht um ausufernde Kosten, sondern um den Kern journalistischer Arbeit: kritische Berichterstattung. Im Raum steht der Vorwurf, dass einem Journalisten untersagt wurde, ein Interview zu führen – eine Art politischer Filter sozusagen, von der Führungsetage eingesetzt.

Sigmund Gottlieb ist einer der bekanntesten Journalisten der ARD, genauer gesagt: des Bayerischen Rundfunks (BR). Von 1995 bis 2017 war er Chefredakteur des BR Fernsehens. Im Interview mit dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA nimmt er Stellung zu den aktuellen Entwicklungen. Dabei sind NDR- und RBB-Skandal für Gottlieb nicht mal das größte Problem in der ARD. Die Höhe des Rundfunkbeitrags findet er hingegen angemessen.

Herr Gottlieb, Sie waren viele Jahre Chef des Bayerischen Rundfunks. Was für einen Dienstwagen hatten Sie?

Keinen. Ich war als Chefredakteur des BR sehr viel unterwegs in Deutschland. Deswegen habe ich auch einen Dienstwagen beantragt, das wurde allerdings sofort abgelehnt. 

Als Sie gelesen haben, was Frau Schlesinger unter anderem vorgeworfen gelegt wird – teurer Dienstwagen mit Massagesitzen, Chauffeure, die auch für Privatfahrten zur Verfügung standen, Abendessen in ihrer Privatwohnung, die über den RBB abgerechnet wurden – was haben Sie in dem Moment gedacht?  

Ich kenne Frau Schlesinger aus früheren Zeiten, wir saßen zusammen in Konferenzen der ARD. Ich habe sie immer als hochprofessionell und durchsetzungsstark erlebt. Insofern war ich sehr überrascht. Das tut dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt natürlich nicht gut. Ich maße mir jedoch kein Urteil an, weil ich die Fakten zu wenig kenne.

Sie sagen ja, dass viel zu selten über Sparmaßnahmen bei den Öffentlich-Rechtlichen berichtet werde. Aber NDR und ZDF schicken allein 50 Mitarbeiter los für die Berichterstattung zur Beisetzung der Queen. Und Friedrich Merz witzelte über 58 Journalisten von Öffentlich-Rechtlichen, die vom Parteitag der CDU berichteten.

Merz hat halt ein Gespür für Themen, die ankommen – aber in der Sache macht er schon einen Punkt. Es können noch Ressourcen zusammengelegt werden. Wahr ist aber auch: Es wurde schon viel gekürzt, sogar viele Wiederholungen ins Programm genommen.

Die Führungsetage wird trotz der von Ihnen angesprochenen Sparmaßnahmen noch sehr gut entlohnt. WDR-Intendant Tom Buhrow verdient im Jahr 411.000 Euro. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat sich deshalb für einen Gehaltsdeckel für die Intendanten von ARD und ZDF ausgesprochen. Sie sollten nicht mehr verdienen als der Bundeskanzler, forderte Lindner in der „Bild am Sonntag“. Hat er recht?

Das kann er ja gerne fordern. Ich glaube nur, dass Politiker, die sowas fordern, in aller Regel an die nächsten Wahlen denken und hoffen, dass sie mit solchen Aussagen punkten. 

Noch mal: Hat er recht?

Das ist kein Thema für mich.

ARD-Journalist Sigmund Gottlieb: „In den Medien dominieren linke und grüne Positionen“

Sie gelten als sehr konservativ. Jan Fleischhauer, „Schwarzer Kanal“-Kolumnist beim Focus, sagte kürzlich: Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen seien „die guten alten Zeiten von Herrn Gottlieb vorbei“. Wo sind eigentlich Ihre Nachfolger? 

In den Medien gibt es insgesamt ein Übergewicht von linken und grünen Positionen, das ist auch bei ARD und ZDF so. Das ist ein Problem, weil nicht adäquat abgebildet wird, wie Menschen in Deutschland wählen.

In absehbarer Zeit wird sich das nicht ändern. Bei einer Umfrage aus dem Jahr 2020 wurden ARD-Volontäre gefragt, wie sie wählen. Das Ergebnis: 57 Prozent Grüne, 23 Prozent Linke; die CDU schaffte nicht mal die Fünf-Prozent-Hürde, die FDP landete bei 1,3 Prozent. Zwar weist die Erhebung methodische Mängel auf, aber die grundsätzliche Aussage lässt nicht vermuten, dass die links-grüne Dominanz aufgeweicht wird.

Die Verantwortlichen wissen darum und wollen das ändern. Es ist aber auch wichtig zu wissen, warum das so ist: Viele junge Menschen, die Journalisten werden wollen, möchten die Gesellschaft verändern. Klima und Sozialpolitik sind die großen Themen. Deswegen ist es auch einfach schwer, junge Konservative zu finden.

Wie war das denn früher? 

Anders. Nehmen wir nur mal mich: Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich als junger, konservativer Mensch ein Einzelfall in der ARD war.

In Ihrem neuen Buch „So nicht! Klartext zur Lage der Nation“ schreiben Sie, dass Ihre Moderationen während der Zeit im „heute journal“ voller Meinungsfreude waren. Sie haben da oft Ihr konservatives Weltbild unter die Leute gebracht.

Ich habe ja geschrieben: „Ich war Täter“. Damals war ich ähnlich geprägt wie das bei großen Nachrichtenmagazinen noch heute der Fall ist. Da geht es gelinde gesagt um Einordnung, streng gesagt wird die Grenze zur Kommentierung häufig überschritten. Ich selbst würde viele Moderationen heute nicht mehr so machen. 

Spielen Sie auf die Szene am Wahlabend in Bayern 2013 an, als Sie eine Rede von Sigmar Gabriel unterbrachen, weil sie „sehr erwartbar“ war – um im Anschluss ein wohlwollendes Porträt von Horst Seehofer anzumoderieren?

Diese Geschichte ist falsch und zieht sich wie ein roter Faden durch meine journalistische Biografie. Auch durch ständige Wiederholung wird sie nicht richtiger.

Dann wird es ja Zeit, das nochmal zu erklären.

Herr Gabriel war der letzte in einer langen Reihe von O-Tönen aus Berlin, die einfach nicht enden wollte. Dass wir das alles zeigen, haben meine Redakteure so entschieden. Ihnen habe ich immer wieder signalisiert: Lass uns nach Bayern zurück, hier wurde immerhin gewählt, die Musik spielt jetzt nicht in der Hauptstadt. Dass wir dann bei Gabriel abgebrochen haben, war einfach Zufall.

Sigmund Gottlieb steht am Schreibtisch des „heute journals“ im ZDF.
Sigmund Gottlieb als Gastgeber des „heute journals“ 1989: „Viele Moderationen würde ich heute nicht mehr so machen.“ © Imago

Ex-Chef des Bayerischen Rundfunks: „Früher war die politische Einflussnahme größer“

Zu viel Meinung von Journalisten wird heute schärfer sanktioniert. Beispiel Detlef Flintz vom WDR. Er ist Mitglied bei den Grünen und begrüßte in einem Tagesthemen-Kommentar, dass Öl und Gas teurer werden. Heute darf Flintz bestimmte Themen nicht mehr kommentieren. Richtig oder falsch vom WDR?

Das finde ich schon eine sehr rigorose Vorgehensweise und in Summe übertrieben. Ich finde, dass man das als Sender aushalten muss. 

Sie waren selbst in der Jungen Union. Kann ein Journalist Mitglied einer Partei sein und trotzdem kritisch über Politik berichten?

Solange wir von demokratischen Parteien sprechen, sehe ich darin kein Problem. Es gibt im Übrigen viele Kollegen, die Mitglied einer Partei sind, auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Gerade, wenn man eine bestimmte Politik begrüßt, schaut man ganz genau hin. Manchmal sogar noch strenger.

Die Verwebungen zwischen BR und CSU sind schon lange Thema. René Althammer arbeitet im Rechercheteam des RBB. Er sagte in einer WDR-Diskussionsrunde: Politische Einflussnahme auf die Öffentlich-Rechtlichen habe es schon immer gegeben. So sei es zum Beispiel schwierig gewesen, vom Bayerischen Rundfunk Bilder von Franz-Josef Strauß zu bekommen. Man hatte wohl Angst, Strauß könnte schlecht wegkommen in den Beiträgen.

Das ist auch so ein weißer Elefant, der durch die Jahrhunderte getrieben wird. Ja, es gab Verantwortliche – vor meiner Zeit – die da genau hingeschaut haben. Das sind aber Dinge, die lange zurückliegen. Die grundsätzliche Diagnose ist aber richtig: Früher wurde seitens der Politik stärker versucht, Druck auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auszuüben

Moment. Die Diskussion ist doch aktueller denn je. Der NDR steht gerade massiv in der Kritik. Vorwurf: Politische Einflussnahme aufs Programm. 

Das kann ich nicht beurteilen, da kenne ich die Hintergründe nicht. Insgesamt ist das gerade aber auch eine ziemliche Kampagne, die private Medien gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk fahren. 

Nicht nur. NDR und RBB recherchieren doch sogar selbst zu dem, was in den eigenen Häusern schiefläuft. 

Das zeigt ja auch: Die Verantwortlichen beschäftigen sich damit ernsthaft. 

Über IPPEN.MEDIA:

Das IPPEN.MEDIA-Netzwerk ist einer der größten Online-Publisher Deutschlands. An den Standorten Berlin, Hamburg/Bremen, München, Frankfurt, Köln, Stuttgart und Wien recherchieren und publizieren Journalistinnen und Journalisten unserer Zentralredaktion für mehr als 50 Nachrichtenangebote. Dazu zählen u.a. Marken wie Münchner Merkur, Frankfurter Rundschau und BuzzFeed Deutschland. Unsere Nachrichten, Interviews, Analysen und Kommentare erreichen mehr als 5 Millionen Menschen täglich in Deutschland.

Rundfunkbeitrag zu hoch? „Dafür kriegen Sie auf der Wiesn nicht mal eine Maß und eine Fischsemmel“

Sie erklären in Ihrem Buch in erster Linie, was Journalisten alles anders machen müssen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Immer weniger Leute sind bereit, für Journalismus Geld auszugeben. Ist es nicht logisch, dass dann die Qualität leidet?

Das stimmt nicht. 80 Prozent der Deutschen möchten gut informiert werden. Ein großer Teil davon sagt, dass sie sich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gut aufgehoben fühlen.

Informiert werden wollen und bereit sein, dafür Geld auszugeben, ist ja nicht das Gleiche. Es gibt auch private Medien, die sich nicht über den Rundfunkbeitrag finanzieren. Dort sinken die Auflagen, die Digitalerlöse steigen nur schleppend.

Das stimmt, das ist eine soziale Frage: Wer kann und will sich Journalismus leisten? Mit dem Rundfunkbeitrag ist es anders: Den muss jeder zahlen. Vergessen oder verschwiegen wird, dass Auszubildende, Studenten, bedürftige Rentner oder behinderte Menschen von den Gebühren befreit sind. Außerdem: Es hat ja seinen guten Grund, dass die hohen Gerichte dieses Landes den Wert und die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestätigt haben. Wir sollten aber auch die Kirche im Dorf lassen: Wir sprechen hier von 18 Euro im Monat, dafür kriegen Sie auf der Wiesn nicht mal eine Maß und eine Fischsemmel. 

Über das Buch: „So Nicht! Klartext zur Lage der Nation“, Sigmund Gottlieb, LMV, erschienen am 19. September 2022, 24 Euro.

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