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Putin durch Ukraine-Krieg geschwächt: Greift China nach Russlands Osten?

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Die Beziehungen zwischen Russland und China könnten auf eine ernste Probe gestellt werden. Denn der Ferne Osten Russlands gerät ins Visier der Volksrepublik.

Russlands Ferner Osten ist eine von der Welt vergessene Region. Ein paar Millionen Menschen nur leben am äußersten Rand von Wladimir Putins Riesenreich, und wer kann, zieht weg von hier – in den Westen, wo es mehr Jobs gibt und das Leben einfacher ist. In China hingegen weckt die Region seit Jahren Begehrlichkeiten. Denn der russische Südosten war einst chinesisch. Und geht es nach einigen nationalistisch gesinnten Chinesen, dann soll die Region eines Tages wieder Teil der Volksrepublik werden. Jetzt, da der Ukraine-Krieg Russland wirtschaftlich schwächt und das Land seine militärischen Ressourcen im Westen konzentriert hat, könnte die Gelegenheit günstig dafür sein. Zumindest in Chinas sozialen Medien wird immer wieder der Ruf laut, endlich zu handeln.

Chinesische Soldaten bei einer Übung in der Provinz Xinjiang
Chinesische Soldaten bei einer Übung in der Provinz Xinjiang (Archivbild): Das Land rüstet seit Jahren auf. © Xinhua/AFP

Der Konflikt reicht zurück bis ins 19. Jahrhundert. Westliche Länder, allen voran Großbritannien, zwangen damals das wirtschaftlich und technologisch völlig unterentwickelte chinesische Kaiserreich in mehreren Kriegen in die Knie. Die Qing-Dynastie musste mehrere Gebiete an die imperialistischen Mächte abtreten – so fiel etwa die Region um das heutige Hongkong an die Briten. Und das russische Zarenreich riss sich in Chinas Nordosten Gebiete von der dreifachen Größe Deutschlands unter den Nagel. In der Region liegt auch eine Stadt, die die Chinesen einst „Haishenwai“ nannten – auf Deutsch: Seegurkenbucht, benannt nach den Meerestieren, die in Asien als Delikatesse gelten. Heute trägt die Stadt den Namen Wladiwostok und ist das Zentrum von Russlands Fernem Osten.

China profitiert von Russlands Schwäche

China und Russland teilen sich eine mehr als 4000 Kilometer lange Grenze. Streitigkeiten um den exakten Verlauf gab es immer wieder, 1969 führte beide Länder deswegen sogar einen kurzen Krieg am Grenzfluss Ussuri. Derzeit scheint der Grenzkonflikt zwar beigelegt. So unterzeichneten der russische Präsident Wladimir Putin und Chinas damaliger Staats- und Parteichef Jiang Zemin im Juli 2001 einen Freundschaftsvertrag, in dem der Verzicht auf jegliche Ansprüche ausdrücklich festgehalten wurde. Nur zwei Jahre später allerdings bestimmte Chinas Büro für Vermessung und Kartierung, dass auf offiziellen Karten mehrere russische Städte zwingend mit ihrem chinesischen Namen bezeichnet werden müssen – also beispielsweise Haishenwai statt Wladiwostok. Die Anordnung wurde auf ähnliche Weise 2022 wiederholt.

Und das, obwohl sich China und Russland heute so nahe stehen wie lange nicht mehr. Im Ukraine-Krieg unterstützt Staats- und Parteichef Xi Jinping demonstrativ den russischen Präsidenten Putin; einen Rückzug der russischen Truppen aus den besetzten ukrainischen Gebieten etwa fordert China bislang nicht, sondern spricht nur allgemein davon, dass ein Waffenstillstand notwendig sei. Beobachtern zufolge handelt es sich bei der Allianz allerdings eher um ein Zweckbündnis. So benötigt Xi Jinping die Russen als Verbündete im Konflikt mit den USA. Zudem profitiert China von billigen Öl- und Gas-Importen aus Russland und liefert Güter, die sowohl zu militärischen als auch zivilen Zwecken genutzt werden können, an die Russen. Auch die Lücke, die der Rückzug westlicher Unternehmen aus Russland hinterlassen hat, füllen die Chinesen gerne, etwa, indem sie so viele Autos wie nie in das Land exportieren. Der Handel zwischen den beiden Länder wuchs im vergangenen auf einen Rekordwert von mehr als 240 Milliarden US-Dollar.

China schafft Fakten – und sichert sich Zugriff auf Russlands Infrastruktur

Auch dank Chinas Hilfe konnte die russische Wirtschaft den Kollaps bislang abwenden. Langfristig aber dürften der Krieg und die Isolation durch den Westen das Putin-Reich schwächen. „Moskau verpfändet seine Zukunft an Peking“, sagte unlängst Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Schlägt bald also die Stunde der chinesischen Nationalisten, die eine Rückkehr von Wladiwostok nach China fordern? „Wenn sich die derzeitigen Trends fortsetzen, kann China davon ausgehen, dass ihm seine alten Gebiete eines Tages in den Schoß fallen werden“, schrieb der Sicherheitsexperte Jan Kallberg im ersten Kriegsjahr in einem Beitrag für die US-Denkfabrik Center for European Policy Analysis (CEPA). „Vorerst kann Wladiwostok unter russischer Flagge weiterbestehen – in der Gewissheit, dass es eines Tages höchstwahrscheinlich wieder zu Haishenwai werden wird.“

Denn schon jetzt schafft China Fakten. Einerseits militärisch: Seit Jahren wächst der chinesische Verteidigungshaushalt kontinuierlich, zuletzt erneut um 7,2 Prozent. Im vergangenen Jahr sicherte sich Peking zudem weiteren Zugriff auf den Hafen von Wladiwostok, um Produkte aus seiner Nordostprovinz Jilin besser verschiffen zu können. Seit mehreren Jahren gibt es bereits eine ähnliche Vereinbarung mit der Provinz Heilongjiang, die nördlich an Jilin grenzt. Auch chinesische Bauern haben sich in Russlands Südosten breit gemacht, sie lockt fruchtbares Land, das in China knapp ist.

„In letzter Zeit sind Scharen chinesischer Landwirte in der Region aufgetaucht, die nach Ackerland suchen, in großem Stil mechanisierte Landwirtschaft betreiben und Sojabohnen und andere Feldfrüchte für den Export nach China ernten“, schrieb unlängst die japanische Wirtschaftszeitung Nikkei Asia. In Russland würden deshalb die Sorgen vor einer zu starken Einflussnahme wachsen. Vor ein paar Jahren brachte der kremlkritische Journalist Alexander Sotnik auf den Punkt, was viele seiner Landsleute insgeheim denken: „Wladiwostok ist praktisch schon chinesisch.“ (sh)

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