1. Startseite
  2. Sport
  3. Mehr Sport

Wie hart sind Checks, wie hoch Sprünge?

KommentareDrucken

Laufdaten, Herzfrequenz: Auswertung zum Augsburger Eishockey-Spieler Drew LeBlanc.U nd das ist nur ein kleiner Teil der verfügbaren Werte.
Laufdaten, Herzfrequenz: Auswertung zum Augsburger Eishockey-Spieler Drew LeBlanc.U nd das ist nur ein kleiner Teil der verfügbaren Werte. © Kinexon

Wir haben ihn uns längst angewöhnt: den Blick auf die Statistiken. Wir wollen mehr wissen als nur, wer die Tore geschossen hat. Aus dem Bedürfnis nach Sport-Daten ist eine kleine Industrie entstanden. Neu auf dem Markt ist ein Münchner Start-up, das in Hallensportarten mit Funk-Technologie punktet, den Sprung in die NBA geschafft hat und im deutschen Eishockey Pionierarbeit leistet.

VON GÜNTER KLEIN

Es war Eishockey-Derby, Augsburg – München. Letztes Drittel, der Stürmer T.J. Trevelyan von den Panthern fuhr einen der Münchner in die Bande. Die schepperte ein wenig, die Zuschauer johlten. Guter Check. Und korrekt, keine Strafzeit dafür.

Bei einer der nächsten Unterbrechungen, in denen die Zuschauer den Blick auf den Videowürfel richten, um zu sehen, wie lange das Spiel noch geht, wurde mehr zu dieser Aktion von Trevelyan eingeblendet: Der Check hatte eine Wucht von „9,45 g“.

Ein Check im Eishockey kann Rache sein, Einschüchterung, ein Beitrag zum Testosteron-Wettbewerb unter Männern – ebenso ist er aber ein physikalischer Vorgang. Und messbar. Die g-Kraft definiert, wie etwas auf den Körper wirkt. Man kann sich im Lexikon schlaumachen: 4 g werden bei einer Achterbahnfahrt erreicht, 7 g muss der Astronaut erdulden, wenn seine Kapsel in die Erdatmosphäre eintritt, 8 g drücken bei einem Kunstflugmanöver.

Die 9,45 g des Eishockeychecks sind natürlich auf den Bruchteil einer Sekunde beschränkt, doch es wird schon klar: In diesem Sport kann man durchgeschüttelt werden. „Checks machen den, der sie hinnehmen muss, mürbe“, sagt Maximilian Schmidt und stellt sich vor, wie das wäre, wenn man in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) eine Tabelle der härtesten Checks hätte. Das wäre eine für die Fans interessante Information. Würde sich gar einer über die 10 g-Grenze rumpeln?

Ja, man kann das messen. Eishockey macht sich nun auch auf den Weg, den der Fußball bereits vor Jahren eingeschlagen hat. Spieler werden getrackt, ihre Leistung wird seziert, in viele kleine Teile zerlegt. Wie „KINEXON“ das macht. Das ist die Münchner Firma, zu deren Gründern Maximilian Schmidt gehört. Entstanden ist sie aus Kreisen von Studenten der TU München. Heute ist Schmidt Geschäftsführer des Start-ups mit Sitz in der Schellingstraße, immer noch nahe an der Uni.

Kinexon erfasst seine Daten mit Funk. Im Eishockey läuft es so, dass die Spieler den Sender hinten an ihrem Schulterschutz anbringen. Er stört nicht, er ist streichholzschachtelgroß und wiegt 14 Gramm. So viel wie ein Brief, den man für 70 Cent Porto verschicken kann. „Hält netto sechs Stunden“, so Schmidt. Danach muss der Sender wieder aufgeladen werden.

25 Mal pro Sekunden schickt er ein Signal an die in diesem Fall 14 Stationen, die in der Eishalle angebracht sind, alle etwas außerhalb der Eisfläche. „Sie sind wie Satelliten.“ Das System wertet alles aus. In Echtzeit. Live also. An der Bande kann man auf dem Tablet mitverfolgen: Wie lange war ein Spieler auf dem Eis? Welche Be- und Entschleunigungswerte hat er? Wie schnell skatet er in der Spitze im Schnitt? Lässt er nach im Verlauf des Spiels, für das es eine weitere Kennziffer gibt: In 60 Minuten 500 „Transitions“, so oft wechselt der Puck zwischen den Mannschaften hin und her. Und wechseln die Spieler die Richtung. Ein Hin und Her. Stresssituationen ohne Ende.

Was rauskommt, ist auch Schnickschnack für die Fans. Die Nebenverwertung: Ausgewählte Fakten (Schmidt: „Die Spitze des Eisbergs“) aufzubereiten für die Öffentlichkeit. Ist ja auch interessant, mal zu erfahren: Wie schnell sind die unterwegs auf Kufen? Die Antwort: Gar nicht mal flotter als die Fußballer. Bei den Augsburgern wird gerne mal gezeigt, welchen Speed ihr Spielmacher Drew LeBlanc erreicht: um die 33 km/h. Das ersprintet der Fußballer Timo Werner auch. Aber gut: Wann hat man im Eishockey mal freie Bahn? Meist schlängelt man sich um die Gegner herum, die Wege sind nicht die unmittelbaren.

Doch vor allem sind die Daten für die Vereine gedacht. Die kaufen sie, um daraus ihre Schlüsse zu ziehen. Im Spiel, in der Trainingssteuerung, zur Verletzungsprävention.

Bei Kinexon sind sie stolz darauf, dass die Augsburger Panther gerade den „VBG Prevention Award Sport 2018“ in der Kategorie „Overall Concept“ gewonnen haben. VBG steht für Verwaltungsberufsgenossenschaft, bei ihr sind die Sportprofis pflichtversichert, dort laufen alle Verletzungsdaten ein. Augsburg kommt ohne die großen Zwischenfälle durch die Saison, Muskelverletzungen treten so gut wie gar nicht auf. Was mit der Münchner Firma zu tun haben könnte.

Panther-Athletiktrainer Sven Herzog arbeitet auf Grundlage der Funk-Daten. „Nach Training und Spiel fragen die Spieler sofort: Wo sind die Statistiken?“ Trainer Mike Stewart sagt: „Ich habe die Woche aufgrund der Daten umstrukturiert.“

Im Eishockey ist es so, dass am Freitag und Sonntag gespielt wird. Am Montag hat man frei, ab Dienstag geht es im Training wieder zur Sache. Es ist üblich, dass am Donnerstag Über- und Unterzahlspiel geübt werden, es sind die Situationen, die die Spiele entscheiden können. Maximilian Schmidt von Kinexon: „Wir haben festgestellt, dass die Augsburger am Freitag nie ihre volle körperliche Leistungsfähigkeit entfaltet haben.“ Stewart zog daraufhin das Powerplay-Training auf Mittwoch vor und fuhr die Intensität am Donnerstag zurück – am Freitag waren die Panther wieder frischer.

Augsburg ist der erste Partner von Kinexon in der DEL. Kürzlich dazugekommen ist der Verband, der DEB, der das System in seinem Bundesleistungszentrum in Füssen einsetzen kann, wenn er dort mit seinen (U-)Nationalmannschaften trainiert. Auch Red Bull hat das System erworben – für seine Akademie in Salzburg. In der NHL, der besten Eishockey-Liga der Welt, ist Kinexon bei den Pittsburgh Penguins vertreten.

Man beschränkt sich nicht aufs Eishockey, man ist in allen Hallensportarten aktiv. „Wir waren bei der Frauen-Handball-EM in Frankreich“, berichtet Geschäftsführer Schmidt vom jüngsten Termin. Im Basketball werden unter anderem der FC Bayern und ALBA Berlin beliefert, in der NBA in Nordamerika sind 14 Clubs Kinexon-Kunden – und das ist gewiss der außergewöhnlichste Erfolg für ein deutsches Start-up. Die Hürde, sagt Schmidt, sei es, zum Vorstellungstermin durchzudringen. Doch dann seien die Amerikaner aufgeschlossen. „Woher etwas kommt, ist ihnen nicht so wichtig.“ Mittlerweile hat Kinexon aus der Schellingstraße Büros in New York und Chicago eröffnet und in den USA zwölf Mitarbeiter.

Beim Basketball sind wieder andere Messdaten wichtig als im Eishockey. Welche Dynamik steckt hinter den kurzen Bewegungen in den Eins-gegen-eins-Duellen? Wie weit hebt ein Spieler ab beim Sprungwurf oder um unterm Korb einen Rebound zu kriegen? So achtzig Zentimeter bis einen Meter werden dabei erreicht, verrät Maximilian Schmidt. „Oft bemerkt man im vierten Viertel, dass die Spieler müde werden, sie springen dann nicht mehr so hoch.“ Der Trainer kann live reagieren. Im Volleyball ist Kinexon auch am Start. „Dort wird höher gesprungen als im Basketball“, sagt Schmidt.

Basketball hat – vor allem in Amerika – eine lange und ausführliche Statistik-Tradition. Der Fußball in Europa hat die Datenerhebung ebenfalls entdeckt, die Spieler sind gläsern geworden. Alles wird erfasst: die Fehlpässe, die gewonnenen Bälle. die Geschwindigkeit der Läufe, ihre Länge – keiner kann sich mehr verstecken. Kinexon sitzt auch bei einigem Bundesligisten im Boot: VfB Stuttgart, Eintracht Frankfurt, FC Ingolstadt.

Das Eishockey ist gerade im Übergangsstadium. Teilweise werden Statistiken noch händisch und durch Videosichtung erstellt, etwa die der Deutschen Eishockey-Liga, die von einer tschechischen Firma beliefert wird. Da notieren dann Hilfskräfte mit geübtem Eishockeyblick, wer wann aufs Eis und wieder runter geht, wer bei Toren und Gegentoren im Spiel ist. Aber das scoutingbasierte System kann nicht so verlässlich sein wie eine Analyse auf Basis der Funkdaten.

Die Liga öffnet sich. Vor einem Jahr noch untersagte sie den Einsatz von Computer-Technologie an der Bande, die Co-Trainer, von denen einige die Eiszeiten der einzelnen Akteure ins Tablet eingetippt hatten, mussten wieder die Klemmbretter hervorholen und den Kuli zücken. Mit Beginn dieser Saison wurde das Tablet-Verbot gekippt.

Auch die Fernsehübertragungen könnten sich verändern. Schon die fünf Feldspieler zu identifizieren, die gerade auf dem Eis sind, setzt Expertenwissen voraus – Fußball etwa hat sein großes Plus in der Erkennbarkeit der Akteure. Mit Funktechnologie leicht denkbar: Einblendung, wer gerade das Spiel bestimmt, Highlighten bestimmter Spieler.

Informationen schaffen Wissen. Wissen ist Macht. Wie ein wuchtiger Check.

Auch interessant

Kommentare