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Bereinigung von arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen

Mit Inkrafttreten des § 73b SGB V i.d.F. nach GKV-Org WG wurden alle gesetzlichen Krankenversicherungen verpflichtet, ihren Versicherten bis zum 30. Juni 2009 eine besondere hausärztliche Versorgung (Hausarztzentrierte Versorgung) anzubieten. Die Folge dieser Verträge ist eine Bereinigung der Gesamtvergütung. Die Auswirkungen einer Bereinigung der Gesamtvergütung auf die arzt- und praxisindividuellen waren und sind Gegenstand heftiger Diskussionen auf verschiedenen Ebenen.

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.02.2010

Abstrakt: Bereinigung von arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen

Mit Inkrafttreten des § 73b SGB V i.d.F. nach GKV-Org WG wurden alle gesetzlichen Krankenversicherungen verpflichtet, ihren Versicherten bis zum 30. Juni 2009 eine besondere hausärztliche Versorgung (Hausarztzentrierte Versorgung) anzubieten. Die Folge dieser Verträge ist eine Bereinigung der Gesamtvergütung. Die Auswirkungen einer Bereinigung der Gesamtvergütung auf die arzt- und praxisindividuellen waren und sind Gegenstand heftiger Diskussionen auf verschiedenen Ebenen.

Abstract:

With coming into effect, the law „zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG)“ obliged all statutory health insurances to offer their customers a special primary care. Due to these individual contracts, the amount of money the insurances pay to the „Kassenärztliche Vereinigung“ has to be reduced, depending on how many customers decide to join the individual contracts. The question about the impact of the general reduction on the participating and non-participating.

Literatur

Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschuss zur Ermittlung des zu bereinigenden Behandlungsbedarfs sowie zur Bereinigung von arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen in der 17. Sitzung Sozialgesetzbuch V i.d.F. nach GKV OrgWG Graf, Jürgen: „Vertragswettbewerb braucht faire Bereinigungsregeln“ in Monitor Versorgungforschung“ 06/2009, S. 36 ff

Plain-Text

Bereinigung von arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen

Die Folge von Selektivverträgen nach §§ 73b, 73c und 140d SGB V ist eine Bereinigung des Behandlungsbedarfs. Über die Auswirkungen dieser Bereinigung des Behandlungsbedarfs auf die arzt- und praxisindividuellen Regelleistungsvolumen konnte für das Jahr 2009 allerdings weder im Bewertungsausschuss noch im Erweiterten Bewertungsausschuss eine Regelung gefunden werden. Und auch der Beschluss für das Jahr 2010 kam erst nach mehreren Sitzungsrunden im Erweiterten Bewertungsausschuss, also unter Beteiligung des neutralen Vorsitzenden, zustande. Der Beschluss trägt daher auch die Handschrift eines Kompromisses, da die Vertreter von Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband alleine zu keiner Einigung gelangen konnten.

>> Die Regelungen zur Bereinigung des Behandlungsbedarfs sowie zur Bereinigung der arzt- und praxisindividuellen Regelleistungsvolumen (RLV) gelten grundsätzlich für alle Verträge nach den §§ 73b, 73c und 140d SGB V. Gleichwohl wird dieser Themenkomplex derzeit ausschließlich vor dem Hintergrund der Verträge zur Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) diskutiert, weil diese Verträge naturgemäß das größte Volumen besitzen. Im Gesetzestext, § 73b Abs. 7 SGB V, wird jedoch ausdrücklich nur eine Bereinigung des Behandlungsbedarfs gefordert - eine Bereinigung der arzt- und praxisindividuellen Regelleistungsvolumen wird hingegen an keiner Stelle angesprochen. Vor diesem Hintergrund findet sich im Gesetzestext auch kein Hinweis darauf, dass der Bewertungsausschuss bzw. der Erweiterte Bewertungsausschuss über die Frage einer Bereinigung der RLV zu entscheiden hätte.
Dies wirft die Frage auf, ob der (Erweiterte) Bewertungsausschuss überhaupt die zuständige Instanz sein kann, um über diese Problematik zu entscheiden. Der Bewertungsausschuss setzt sich aus jeweils drei Vertretern der KBV und des GKV-Spitzenverbandes zusammen. Gerade für die HZV, die derzeit vor allem von diesen Entscheidungen betroffen ist, ist die Beteiligung der KBV und der gleichzeitige Ausschluss der Selektivvertragspartner bei der Entscheidungsfindung nicht akzeptabel. Denn hochrangige Vertreter der KBV fordern permanent die Abschaffung des § 73b SGB V in seiner aktuellen Form. Gleichzeitig sollen Mandatsträger des Deutschen Hausärzteverbandes von Ämtern innerhalb der KVen / der KBV ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang wird eine Aussage kolportiert, wonach man auch nicht gleichzeitig bei konkurrierenden (Auto-)Herstellern im Aufsichtsrat sitzen könne. Wenn aber der Gesetzestext des § 73 b SGB V eine mandatierte Gemeinschaft ausdrücklich gegenüber den KVen priviligiert, wie ist es dann logisch zu begründen, dass diese Gemeinschaft im Gegensatz zur KBV, stellvertretend für das KV-System, keinerlei Mitsprache bei einer so zentralen Frage wie der Bereinigung der RLV haben soll? Um im Bild der Autohersteller zu bleiben: Wie soll der Wettbewerb funktionieren, wenn ein Hersteller gleichzeitig auch als „TÜV“ fungiert und darüber entscheidet, welche Maßnahmen der Konkurrent vor der Zulassung noch treffen bzw. akzeptieren muss? Allein dadurch, dass das KV-System aufgrund seines Körperschaftsstatus seit Jahrzehnten von Steuerbefreiungen profitiert, wird der Wettbewerb mit anderen Organisation stark zugunsten der KVen verzerrt.
Die Frage, ob und ggf. nach welchen Verfahren die RLV bereinigt werden, hat erhebliche Auswirkungen auf die HZV. Unter der Prämisse, dass die RLV überhaupt zu bereinigen sind, würde eine faire Lösung dazu führen, dass dem an der HZV teilnehmenden Arzt nicht mehr, als er für die Versorgung der bei ihm eingeschriebenen Patienten im Rahmen des Kollektivvertrages erhalten hätte, von seinem RLV abgezogen würde. Es ist teilweise erschreckend, mit welcher Engstirnigkeit hier vor allem von Vertretern der KBV-/KV-Seite gerade entgegengesetzt argumentiert wird. Soweit dies für Außenstehende überhaupt nachvollziehbar ist, herrscht vor allem darüber Uneinigkeit, ob eine Bereinigung der RLV nur für diejenigen Ärzte erfolgen soll, die an einem Selektivvertrag teilnehmen, oder ob dies für die gesamte Fachgruppe gelten soll.
Argumentiert wird dann meist wie folgt (um zu verdeutlichen, dass die Regelungen nicht nur für die HZV und somit für Hausärzte gelten, wird ein Beispiel mit HNO-Ärzten gewählt):
• Es kann nicht sein, dass HNO-Arzt A ein geringeres RLV erhält, nur weil HNO-Arzt B an einem Selektivvertrag teilnimmt.

Hierin zeigt sich neben einem falschen Verständnis von gerechter Honorierung auch ein Konstruktionsfehler der RLV: Das Einkommen eines Arztes aus der kollektivvertraglichen Tätigkeit sollte ausschließlich davon abhängen, welche Leistungen er im Rahmen des Kollektivvertrages erbringt.
Warum sollten HNO-Arzt A und HNO-Arzt B für die gleiche Leistung im Kollektivvertrag ein unterschiedliches Honorar erhalten? Die Tatsache, dass HNO-Arzt B an einem Selektivvertrag teilnimmt, rechtfertigt jedenfalls keine unterschiedliche Honorierung im Kollektivvertrag - gleiche Leistung vorausgesetzt. Aber vielleicht ist es auch nur noch eine Frage der Zeit, bis jemand auf die Idee kommt, die RLV in Abhängigkeit von der Anzahl der Privatpatienten, IGeL-Leistungen und sonstigen „nicht-kollektivvertraglichen Einkommensarten“ zu berechnen.
Der Konstruktionsfehler der RLV, nämlich der Bezug auf die Vorjahresquartalsfallzahlen, wird deutlich, wenn man das Beispiel noch etwas erweitert: Angenommen in einem Ort gäbe es zehn HNO-Ärzte und die Einwohner des Ortes verteilen sich in etwa gleich auf diese zehn Praxen. Würden sich nun alle Einwohner des Ortes für die Teilnahme an einem Selektivvertrag entscheiden, der zur Bedingung hat, dass im Bedarfsfall ein an diesem Vertrag teilnehmender HNO-Arzt aufgesucht wird, aber nur neun der zehn HNO-Ärzte an diesem Vertrag teilnehmen, dann stellt sich die Frage, warum bzw. wofür derjenige HNO-Arzt, der nicht daran teilnimmt, überhaupt ein RLV zugewiesen bekommt. Für solche Patienten, die zwar an dem Vertrag teilnehmen, ihn aber dennoch in Anspruch nehmen, erhält er eine extrabudgetäre Vergütung außerhalb der RLV. Dieses Beispiel ist zwar kurzfristig nicht realistisch, zeigt aber, dass das eigentliche Problem nicht in der Bereinigung der RLV besteht, sondern in der RLV-Konstruktion begründet ist.
Unabhängig von dieser vorgenannten Grundsatz-Problematik der RLV lässt sich der Beschluss des erweiterten Bewertungsausschuss vom 16. Dezember 2009 zur Bereinigung der RLV auf Basis des aktuellen Kenntnisstandes vereinfacht in drei Schritten darstellen:
Ausgangspunkt sind die auf Basis einer nicht bereinigten Gesamtvergütung berechneten (und folglich zu hohen) RLV. Das RLV berechnet sich, ebenfalls vereinfacht, als das Produkt aus individueller Vorjahres-quartalsfallzahl und Fachgruppenfallwert.
In einem ersten Schritt werden nun die Fallzahlen der am Selektivvertrag teilnehmenden Ärzte reduziert. Einerseits werden hierbei die von den jetzt bei eben diesem Arzt eingeschriebenen Patienten im Vorjahresquartal verursachten Fälle gezählt, andererseits auch Fälle solcher Patienten, die zwar im Vorjahresquartal bei diesem Arzt waren, sich aber jetzt bei einem anderen Arzt eingeschrieben haben (Stichwort: „Patientenwanderung“). Dieses Verfahren ist grundsätzlich korrekt, da es sich sehr stark an der Berechnung der RLV orientiert. Nicht nachvollziehbar ist daran aber die Tatsache, dass Patientenwanderungen nur innerhalb der am Selektivvertrag teilnehmenden Ärzte erfasst werden. Bei drei Ärzten A, B und C, von denen A und B an einem Selektivvertrag teilnehmen, würden also Patientenwanderungen zwischen A und B berücksichtigt, eine Patientenwanderung von C zu A oder B hingegen nicht. An diesem Beispiel zeigt sich die logische Inkonsequenz der Vorgaben (s.a. obiges Beispiel mit den zehn HNO-Ärzten) mit der Folge, dass die Fallzahlen, also eine individuell zuzuordnende Größe, in geringerem Umfang sinken als dies möglich wäre und somit im nächsten Schritt ein höherer Betrag „pauschal über die gesamte Fachgruppe“ gekürzt werden muss.
Im zweiten Schritt wird dann der Fachgruppen-Fallwert - max. um 2,5 % - reduziert. Im Gegensatz zum ersten Schritt sind hiervon alle Ärzte der jeweiligen Fachgruppe betroffen. Dabei ist jedoch die Grenze von 2,5 % ebenso wenig nachvollziehbar wie die Beschränkung im ersten Schritt auf die am Selektivvertrag teilnehmenden Ärzten bei der Verminderung der Fallzahlen.
Ob hiermit das Ziel (der KBV) erreicht wurde, die Auswirkungen einer RLV-Bereinigung für nicht am Selektivvertrag teilnehmende Ärzte zu minimieren, ist eine Frage der Perspektive. Einerseits bewirkt die Regelung, dass für Nicht-Teilnehmer „nur“ der Fallwert um max. 2,5% sinken kann, andererseits gilt diese Absenkung aber für alle, also sowohl für denjenigen Nicht-Teilnehmer, bei dem keine Patientenwanderung erfolgt ist, als auch für denjenigen, bei dem z.B. 100 Fälle im ersten Schritt theoretisch hätten reduziert werden können.
Für den Fall, dass nach diesen beiden Schritten noch immer ein Fehlbetrag existiert, wird dieser dann in einem dritten Schritt über einen „fallbezogenen Restbereinigungsbetrag“ wiederum nur unter den (RLV der) am Selektivvertrag teilnehmenden Ärzte verteilt. Eine verlässliche Prognose darüber, ob dieser dritte Schritt im Jahr 2010 - denn nur für diesen Zeitraum gelten die Beschlüsse zur Bereinigung des Behandlungsbedarfs und der RLV - zur Anwendung kommen wird, kann derzeit nicht abgegeben werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bereinigung der RLV im Wechsel zwischen den am Selektivvertrag teilnehmenden Ärzten, der gesamten Fachgruppe und falls erforderlich wieder innerhalb der Teilnehmer erfolgt. Platt ausgedrückt lässt sich dies auch als „Ping-Pong-Verfahren“ bezeichnen, bei dem an entscheidender Stelle nur Kompromisse statt logisch nachvollziehbarer Lösungen möglich waren.
Gleichwohl stellt der Beschluss zumindest einen deutlichen Fortschritt gegenüber 2009 dar. Denn im vergangenen Jahr hatte die KBV eine Beschlussfindung durch Verlassen der Sitzung verhindert und anschließend aus formalen Gründen (weil man nicht anwesend war) gegen den Beschluss geklagt. Dieses Verhalten zeugt von dem Interessenkonflikt der KBV, der zwangsläufig bei der Entscheidung über eine Bereinigung der Gesamtvergütung und RLV entsteht. Mit diesem Beschluss verbindet der Deutsche Hausärzteverband daher vor allem die Hoffnung, dass nun - parallel zu den bereits angelaufenen und teilweise abgeschlossenen Schiedsverfahren - überall auch die erforderlichen Abstimmungen zur Bereinigung mit den jeweiligen KVen zeitnah erfolgen.
Vor dem Hintergrund der eingangs erwähnten fehlenden gesetzlichen Verpflichtung zur Bereinigung der RLV lässt sich auch eine andere, einfachere und dem Wortlaut des Gesetzes eher entsprechende Lösung vertreten: Anstelle einer Bereinigung der RLV, also einer nachträglichen Korrektur, sollten diese von Anfang korrekt berechnet werden. Dies würde dann funktionieren, wenn die Berechnung der RLV nicht auf Basis des unbereinigten Behandlungsbedarfes, sondern auf Basis der tatsächlich von den Krankenkassen an die jeweilige KV geleisteten Zahlungen für die kollektivvertragliche Versorgung ihrer Versicherten erfolgen würde. Dies sollte keinesfalls als „Plädoyer für die RLV“ missverstanden werden, aber wenn man schon die RLV als Rahmenbedingungen akzeptieren muss, dann wäre dieser Ansatz zu bevorzugen. In der Folge müssten lediglich die Fristen für die Zuweisung der RLV geändert werden, damit die Versicherten beispielsweise bis zwei Wochen vor Beginn des neuen Quartals die Teilnahme an der HZV beantragen können. Derzeit ist eine Zuweisung der RLV bis spätestens vier Wochen vor Beginn des Geltungszeitraums gesetzlich vorgeschrieben. Allerdings ist die (endgültige) Zuweisung der RLV bis spätestens vier Wochen vor Quartalsbeginn im Jahr 2009 weder in allen KV-Bezirken erfolgt, noch würde sich irgendetwas Grundlegendes ändern, wenn die RLV pünktlich zum Quartalsbeginn zugewiesen werden würden. Dies wäre immer noch rechtzeitig, um eine „steuernde Wirkung“ zu entfalten, sofern man diesem Instrument überhaupt eine solche zugestehen will. Welche steuernde Wirkung soll beispielweise von einem RLV-Fallwert von 31,28 Euro ausgehen, wie aktuell für die Hausärzte in Nordrhein, wenn allein die Versichertenpauschalen gemäß EBM-Ziffern 03110 - 03112, ausgehend von einem Orientierungspunktwert von 3,5 ct., bereits darüber liegen? Letztlich liegt das Problem weniger in der Bereinigung der RLV als in der Konstruktion RLV an sich. <<

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