Wie weiter mit dem Künstlerhaus an der Oranienburger Straße? Das Chaos, das dem Szeneclub arteigen ist, macht es schwer, die Verhältnisse rechtlich zu sortieren. So viel steht aber fest: Es gibt jede Menge offene Rechnungen. Und Miete zahlt hier nur, wer Lust hat.

Es ist eine Szene wie aus den Anfängen des Tacheles. Aus dem Hinterhof des Kunsthauses dröhnen laute Technobeats. Funken stieben aus einem Schuppen. In ihm steht Hüseyin Arda. Der Türke schweißt, schmiedet und lötet zu den harten Beats Stähle, Bleche und Metallgitter zu exotischen Skulpturen zusammen. Halb Tier, halb Maschine. Schrundig, rostig. Archaische Kunst wie aus einem Zukunftsfilm. In der Tordurchfahrt zu der Werkstatt prangt ein Graffiti. Es lautet: Zukunft. Was das Tacheles anbelangt, ist diese gefährdet.

Als die Künstler das Haus 1990 auf der Suche nach dem freien, wilden und anarchistischen Berlin besetzten, waren Verträge die Ausnahme. Zwar gründete sich ein Verein, der die Künstler nach außen vertrat und der mit den wechselnden Hauseigentümern kommunizierte. Aber „schuldnerische Vertragsverhältnisse“, wie Juristen das nennen, gingen nur wenige Parteien ein. In einem Unternehmen wäre dies wohl kaum vorstellbar. Aber das Kunsthaus ist eben kein Unternehmen, sondern ein Verein mit von außen kaum einschätzbaren Machtverhältnissen. Und Strukturen, so unüberschaubar wie das Innere seiner Treppenhäuser. Die Klärung der Rechtsverhältnisse kommt deshalb einer Sisyphosaufgabe gleich. Seit Jahren zahlen einige der Mieter keine Miete.

Unliebsamer Verein

Im Bezirksamt Mitte glauben einige, dass der Eigentümer Fundus das Rechtsmittel eingelegt habe, um den unliebsamen Verein loszuwerden. Offiziell will das jedoch niemand sagen. Fundus sagt, man halte am Weiterbetrieb des Künstlerhauses fest. Dass man auch an seinen derzeitigen Nutzern festhält, sagt Fundus allerdings nicht. Im ersten Stock liegt das Büro von Martin Reiter. Er gehört zu den Tacheles-Mitstreitern der ersten Stunde und ist Vorstand in dem Trägerverein. Man bemühe sich, lässt er ausrichten, „mit den Eigentümern und Gläubigerbanken ein klares Bild von der Lage“ zu erstellen. Und meint damit vor allem die finanzielle Lage, deren Details bislang nur der Vorstand kannte.

Die Fundus-Gruppe, der in Berlin neben dem Tacheles auch das Nobelkaufhaus 206 in den Friedrichstadtpassagen gehört, gibt sich ähnlich schmallippig. Firmen-Sprecher Johannes Beermann ist seit Kurzem nicht mehr Sprecher. Einen Nachfolger gibt es bislang nicht. Von Fundus verlautet nur, dass man an der Bebauung des Areals festhalte.

Künstler und Konzepte

Die Gruppe hatte schon vor Jahren Baupläne für das rund 30.000 Quadratmeter große Grundstück vorgestellt, zu dem auch das denkmalgeschützte Kunsthaus gehört. Für 400 Millionen Euro sollten daneben Wohnungen, Gewerbe und Büros entstehen. Zwar tat sich bislang nichts, aber Ziel bleibe, „bis Ende 2009 mit dem Bau einer Tiefgarage“ anzufangen.

Hüseyin Arda kam 1992 zum Tacheles. Er studierte Medizin, wurde Tänzer und schließlich Metallwerker. Mit dem Tacheles-Vorstand will er nichts zu tun haben. Dieser führe Dauerprozesse, um über die eigene Konzeptlosigkeit hinwegzutäuschen. Er, Arda, habe dagegen ein Konzept. Er wolle die Menschen von der Straße ins Haus holen, um ihnen das Entstehen von Kunst nahe zu bringen.

Grund für einen Konflikt mit dem Vorstand liefert dies eigentlich nicht, hat sich dieser doch ähnlichen Zielen verschrieben und einen Plan namens „Tacheles 2020“ erarbeitet. Er sieht die Gründung einer GmbH sowie den Aufbau einer Stiftung, eines Skulpturenparks auf dem Dach und einer Finanzierung der Ateliers durch das im Erdgeschoss untergebrachte Café „Zapata“ vor. Für den Plan will der Verein Unterschriften sammeln und diese Klaus Wowereit überreichen, um den Bestand des Tacheles zu sichern. Zwar verpflichtete sich Fundus gegenüber Berlin zum Erhalt des Kunsthauses. Aber im Verein glaubt nicht jeder an die Einhaltung des Versprechens.

Die Subventionierung der Kunst durch das Café ist eine Uraltidee. Funktioniert hatte sie nur ganz am Anfang. Seit Jahren zahlt das Café an den Verein kein Geld. Auch Arda überweist seit Jahren keine Miete an den Tacheles-Verein. Ardas neuestes Werk ist ein zwei Meter langer metallener Stier. Er hat einen riesigen Buckel und zwei wuchtige Hörner. Ein Minotaurus unter Dauerspannung. Kämpferisch wie sein Schöpfer.

Der Tacheles-Verein führte Dutzende Prozesse gegen die, die keine Miete zahlten, wie die Betreiber des im Erdgeschoss untergebrachten Cafés „Zapata“. Der Verein drohte mit Zwangsräumung und bekam die „Zapata“-Macher dennoch nicht hinaus, weil auch sie Juristen bemühten. Es ist eine Kapitulation an die Idee der Selbstverwaltung. „Wer das Tacheles mit seinen Kriegen und seinen verpassten Friedensversuchen versteht, versteht die Welt“, sagt Tim Roelofs. Der Holländer kam 1996 nach Berlin und hat einen Verkaufsshop im dritten Geschoß. Im Gegensatz zu Arda und dem „Zapata“ zahlt Roelofs Miete. Verstehen kann er die Streitparteien im Tacheles nicht. Wie viele andere der Künstler widmet sich Roelofs deshalb lieber seiner Kunst, schneidet mit Schere Bilder aus Illustrierten und arrangiert diese mit Prittstift in wilden Arrangements auf Pappe. „Dingele“ nennt er seine Kunst. Es ist ein wilder Papier-Collagen-Mix mit NVA-Soldaten, Latexstiefel-Huren von der Oranienburger, mit abgeschnittenen Hundeköpfen, Superman-Figuren und unterlegten Berliner Fassadenansichten, mit riesigen in den Himmel wachsenden Türmen. Ein bisschen von Fritz Langs Metropolis. Planet Utopia.

Funktionierende Verkaufsplattform

„Berlin ist groß“, sagt Roelofs und meint „die großen Chancen“, die die Metropole Künstlern biete. Meint das Leben zu günstigen Mieten, aber auch die gut funktionierende Verkaufsplattform, die das Tacheles darstellt.

Um die 250 Menschen besuchen täglich seinen Verkaufsraum. Darunter kürzlich auch zwei Trendscouts von Versace. Kurz darauf zierte Roelofs Kunst eine limitierte Modekollektion. Die Bilder wurden in der italienischen und französischen „Vogue“ gedruckt.

Arda produziert Kunst wie am Fließband. Seine Käufer kommen mitunter mit dem Privatjet eingeflogen. Arbeiten im Tacheles kann sich lohnen. „Wir sitzen auf dem ersten Rang“, sagt Roelofs, während er sich ein Bier öffnet, um eine Hommage an die Hauptstadt loszuwerden: „Berlin war für mich die Universität, und das Tacheles gab mir die praktische Ausbildung.“

Ob die Erfolgsplattform und Marke Tacheles Bestand hat, ist fraglich. Ende des Jahres läuft auch der Zehnjahresvertrag aus, in dessen Rahmen Fundus das Tacheles dem Verein zum Vorzugspreis von 50 Cent pro Jahr überließ.

Was ab 1. Januar geschieht, weiß keiner. Viele der Künstler glauben, dass es irgendwie weitergeht. Einige von ihnen sehnen angesichts des Dauerstreits im Kunsthaus die Zeit von 1990 herbei.