Zu Halloween sind wieder zahllose Blutsauger und Untote in der Stadt unterwegs. Vampirforscher Eric Steinhauer weiß, wo sie herkommen und warum sie so faszinierend sind.

Ein Vampir ist immer dabei, wenn zu Halloween Kindergruppen durch die Straßen ziehen und an den Haustüren um Süßigkeiten bitten. Und im Kino und in Jugendbüchern sind Vampire allgegenwärtig. Was eigentlich ist so faszinierend an den Blutsaugern? Und wo kommen sie her? Eric W. Steinhauer beschäftigt sich seit Jahren mit alten und neuen Vampirmythen, sein Buch „Vampyrologie für Bibliothekare“ erschien 2011. Der Jurist mit dem Schwerpunkt Bibliotheksrecht ist Bibliotheksdirektor an der Fern-Universität in Hagen. Er lehrt Informations- und Urheberrecht an der Humboldt-Universität. Seit 2009 hält er dort jährlich eine Halloween-Vorlesung.

Berliner Morgenpost: Wann und wo ist der erste Vampir aufgetaucht?

Eric W. Steinhauer: Schon in der Antike gab es Berichte von blutsaugenden Wesen, auch in Volkssagen und Märchen tauchten sie immer wieder auf. Aber kulturell wirksam geworden sind sie erst im 18. Jahrhundert, als die Praktiken der Vampirabwehr und eine aufgeklärte Verwaltung aufeinandertrafen: auf der einen Seite der Glaube, dass ein Toter aus dem Grab heraus die Lebenden schädigen könne und man die Leiche deshalb zerstören müsse. Und auf der anderen Seite die Verwaltung, die so etwas nicht dulden konnte und diese Praktiken untersucht hat. Anschließend wurden amtliche Berichte geschrieben, wie man das macht als Verwaltung. Diese Berichte waren ein bisschen zweideutig: Einige der exhumierten Leichen sahen etwas merkwürdig aus und nach ihrer Zerstörung hörten die nicht gut erklärbaren Todesfälle im Umfeld plötzlich auf. Auf diese Weise wurden diese Vorgänge aktenkundig und blieben dennoch im Zwielicht. Deshalb fanden sie große Resonanz in den ersten Presseorganen und verbreiteten sich in ganz Europa. Für die Wissenschaft wurden sie zur Herausforderung: Wie konnte man diese Phänomene erklären? Geister, Vampire, so etwas kann es ja vor dem aufgeklärten Geist nicht geben.

Viele Menschen haben damals dennoch an Vampire geglaubt. Wo kam dieser Glaube her?

Die geht dann tief in die Ethnologie hinein, tief in die Psychologie, dass es Wesen gibt, die sich zwischen Toten und Lebenden hin- und herbewegen und aus den Lebenden Kraft schöpfen, um zu existieren. Das sind ganz alte Vorstellungen, die etwas mit Dämonen- und Geisterglauben zu tun haben, und die existieren, seit Menschen über ihr Dasein und das Ausgesetztsein dem Schicksal gegenüber nachdenken. Diese Frage führt tief in die Ethnologie hinein, ja in die Psychologie, dass man an Wesen glaubt, die sich zwischen Toten und Lebenden hin- und herbewegen und aus den Lebenden Kraft schöpfen, um zu existieren. Das sind ganz alte Vorstellungen, die etwas mit Dämonen- und Geisterglauben zu tun haben. Sie existieren, seit Menschen über ihr Dasein und das Ausgesetztsein dem Schicksal gegenüber nachdenken.

Woher kommen diese typischen Merkmale des Vampirs, die Blässe, die spitzen Eckzähne?

Die Literatur spielt dabei eine große Rolle. Unser heutiges Bild vom Vampir ist stark geprägt durch Bram Stokers berühmten Roman „Dracula“, der die unterschiedlichen Stränge aus dem Geflecht von Vampirgeschichten zusammengefügt hat. Dass der Vampir Blut saugt, hat sicher etwas mit den Berichten über Erkrankungen zu tun. Dazu gibt es die unterschiedlichsten Theorien, dass das Blutkrankheiten waren, die einen blass werden ließen, die das Zahnfleisch zurückgehen ließen, wodurch die Zähne hervortraten. All das zusammen hat dann dieses schlüssige Bild des Vampirs ergeben, das sich durch die Medien verbreitete.

Wann ist der Vampir zum ersten Mal in der Literatur aufgetaucht?

Goethes Ballade „Die Braut von Korinth“ ist einer der frühen Texte. Der Vampir mit seinen typischen Merkmalen ist erstmals aufgetreten in einem Text, den man ursprünglich Lord Byron zuschrieb, der aber von John Polidori stammte, seinem Leibarzt. In „The Vampire“ haben wir schon einige Merkmale, die wir von Dracula kennen: einen Adeligen, sehr distanziert, kühl, blass, der sich im Laufe der Geschichte als Vampir entpuppt. Eine weitere Erzählung von Joseph Sheridan Le Fanu führt eine Vampirin ein, dort erfahren wir, wie man Vampire aufspürt, wie man sie vernichtet, indem man sie pfählt. Das alles fasst Bram Stroker in seinem Roman zusammen – und danach geht es so richtig los. Heute ist der Vampir im kulturellen Bewusstsein allgegenwärtig.

Sehr verändert hat er sich seit Bram Stoker nicht.

Eigentlich nicht. Aber man kann am Vampir unterschiedliche Dinge betonen. Das kann das Gewalttätige, Unheimliche sein, es kann aber auch etwas Traurig-Melancholisches sein, das Nicht-Sterben-Können, die Sehnsucht Menschen gegenüber, die sich im Blutdurst äußert. Wenn ich die Geschichten um Twilight herum angucke, haben die Vampire ein ganz anderes Gepräge bekommen. Aber dieses Blutsaugen zieht sich natürlich durch alle Geschichten, sonst hätten wir ja auch keinen Vampir.

Warum ist der Vampir so viel populärer als Werwölfe oder Poltergeister?

Das hat vielleicht etwas damit zu tun, dass der Vampir, wie er in der Literatur dargestellt wird, äußerst intelligent ist, und dass er immer eine starke Nähe zur Literatur hatte. Ein Grund könnte auch darin liegen, dass man Vampire eine Zeit lang als wirklich existent annahm. Das war eine gelehrte, intellektuelle Vorstellung im 18. Jahrhundert, als es im Denken noch viele irrationale Elemente gab, während man gleichzeitig mitten in der Aufklärung war. Beim Vampirphänomen untersuchte man quasi naturwissenschaftlich etwas Übernatürliches. Darin lag ein besonderer Reiz. Man hat sogar gelehrte Dissertationen über das Thema geschrieben. Weil über Vampire so viel publiziert wurde, bekamen sie ein ganz anderes intellektuelles Gepräge, was sich dann in den literarischen Darstellungen fortsetzte. So etwas wie ein Werwolf hingegen konnte einfach schon von seiner ganzen Erscheinung her als völlig irrational und märchenhaft abgetan werden.

Was fasziniert Sie am Phänomen des Vampirs?

Bei mir war das eine zufällige Sache. Ich bin auf den Vampir gekommen, als ich mich mit morbiden Bibliotheksphänomenen beschäftigte. Konkret mit Bestattungen in Bibliotheken, ein ganz merkwürdiges Phänomen. Bibliotheken sind Orte, ähnlich wie Friedhöfe, in denen die Toten noch sehr lange präsent sind, auf Friedhöfen körperlich, in den Bibliotheken geistig. Das taucht die Bibliotheken in ein gewisses Zwielicht. Bei meinen Forschungen sind mir die Vampire begegnet, für die sich im 18. Jahrhundert auch die Bibliothekare interessiert haben. Einer der großen Vampirologen jener Zeit war Gerard von Swieten, Wiener Hofbibliothekar und Mediziner. Durch ihn bin ich auf diesen Zusammenhang gestoßen, und dann hat sich das Ganze als sehr interessante und tragfähige These herausgestellt, dass Vampire und Bibliotheken, Vampire und Bücher eine starke Beziehung haben. Das können Sie in der Vampirliteratur immer wieder sehen, dass Bibliotheken dort eine gewisse Rolle spielen.

Welchen literarischen Vampir mögen Sie am liebsten?

Mich haben zwei Vampirbücher sehr beeindruckt. Das eine ist natürlich der Stoker. Wenn man ihn genau liest, ist es eigentlich gar keine Geschichte, sondern eine Montage von unterschiedlichen Medien, von Tagebuchaufzeichnungen, Dossiers, Zeitungsartikeln. Dieser Zusammenhang von Medien soll den Vampir plausibel machen, das finde ich ganz raffiniert gemacht. Sehr beeindruckt hat mich auch Elizabeth Kostova. In ihrem Roman „Der Historiker“ wird das, was ich mir an Theorie zum Thema erarbeitet habe, noch einmal literarisch dargestellt: Sie fängt an mit einem unheimlichen Buch, über Bibliothekskataloge und Bibliografien hangeln sich ihre Protagonisten zurück, bis sie den leibhaftigen Dracula finden.

Was halten Sie von den Vampiren der Twilight-Serie?

Ich muss gestehen, dass ich diese Bücher nicht gelesen habe. Aber ich habe eine 15 Jahre alte Tochter, da sind natürlich die Filme zu Hause. Das ist etwas ganz anderes als beispielsweise Bram Stokers Dracula. Aber was mir in den Twilight-Filmen auffällt: Dieses Verhältnis von Buch und Vampir gibt es auch hier. Das hat mich total überrascht. Als Bella so langsam darauf kommt, dass Edward ein Vampir sein könnte, recherchiert sie zunächst im Internet, aber dann sucht sie eine etwas verwunschene Buchhandlung auf, in der sie sich Fachliteratur besorgt. Das fand ich interessant, das man auch in dieser eigenständigen Vampirwelt, die wenig mit dem europäischen Mythos zu tun hat, ein Buch benötigt, um damit klar zu kommen.