Höchster innerhalb der Schweiz liegender Alpenübergang
Schöne Pässe für Motorradfahrer – der Nufenen (CH)

Sie führen über den Berg und von A nach B – Pässe. Sie jedoch nur als profane Verbindungsstraßen oder sinnige Transportwege zu beschreiben wäre ein Sakrileg. Denn als Motorrad-Touristen beten wir die schönsten Pässe regelrecht an und begeben uns nur zu gern auf Pilgerfahrt. Diesmal im Porträt: Der Nufenen.

Pass-Porträt Nufenen
Foto: Moppetfoto

Wer an einer der Rampen des Nufenen steht, hat bereits einige Schweizer Höhepunkte hinter sich – sei es die Fahrt über Grimsel, Furka oder Gotthard, die Anreise durch das Rhônetal oder der Besuch des mediterranen Val Bedretto. Das nächste Highlight ist der Nufenen selbst – als höchster innerhalb der Schweiz liegender Alpenübergang.

Die Straße zum Nufenen startet in Ulrichen im Obergoms. Ein typisches Walliser Dorf mit sonnengeschwärzten, liebevoll dekorierten Holzhäusern, von denen einige zum Schutz vor Nagetieren auf Stelzen stehen, eingeschalt mit Steinplatten. Nach Überquerung der Rhône führt die Nufenenstraße in das Aeginental. Übersichtlich ausgebaut, schwingt sie sich in die Höhe und erlaubt wunderbare Blicke über das Wallis. Wenig später nimmt die Steigung ab, der Wald lichtet sich, und die Straße verläuft unterhalb steiler Felswände. Diese zeigen sich ebenso schroff wie glatt geschliffen, hängen stellenweise über, sind an den unwirklichsten Stellen mit Bäumen bewachsen und spielen mit Grün, Braun und Orange ein steinernes Farbspiel. Wasserfälle haben Narben in die Hänge hinterlassen, der mit Findlingen übersäte Talboden erklärt auf den ersten Blick die Kraft der Erosion.

Unsere Highlights

Charakteristische Nufenen-Pyramide

Die Straße schlängelt sich daran vorbei, scheint in der Ferne zu verschwinden. Rinder lassen sich die satte Vegetation schmecken, kümmern sich dabei wenig um Reisende – mit entsprechenden Hinterlassenschaften auf dem Asphalt ist zu rechnen. Eine Handvoll Kilometer später wechselt die Straße die Talseite, steigt stärker an und gibt den Blick auf die charakteristische Nufenen-Pyramide frei. Scharf ragen vertikal verlaufende Gesteinsschichten in die Höhe, ihre Flanken geben der Staumauer des Griessees Halt. Im Schatten von vier Windkraftanlagen wird eine Serie von Serpentinen erreicht – beeindruckte das Aeginental bis hierher mit seiner Unberührtheit, drängen sich nun moderne Kraftwerksbauten und knisternde Hochspannungsleitungen in den Vordergrund.

Wie eine Wand baut sich der Talschluss auf. Die Straße legt sich an den steil abfallenden Hang, in weiten Betonschleifen, die von unten kaum auszumachen sind. Der Belag ist grundsätzlich gut, die Fahrbahn selbst für zwei entgegenkommende Linienbusse breit genug und ohne Heimtücke. Einzig den Kontakt mit dem an der Bergseite verlaufenden Entwässerungskanal sollte man auf zwei Rädern besser vermeiden. Immerhin sorgt er dafür, dass die Fahrspuren von querenden Wasserläufen verschont bleiben.

Blick auf die Walliser und Berner Alpen

Es entsteht aber ein wenig der Eindruck von Lieblosigkeit. Während etwa am Sustenpass gefühlt jeder Stein millimetergenau gesetzt wurde und dort die Straße sich auf wunderschöne Steinmauern stützt, finden sich hier weder Angaben zur Kehrenanzahl noch zu Flurnamen noch zu aktueller Höhe. Anstelle von behauenen Begrenzungssteinen schützen verbogene Leitplanken vor der Tiefe, rissige Betonwände halten den Berg im Zaum.

Dafür entschädigt mit zunehmender Höhe der Blick auf die Walliser und Berner Alpen mit ihren vergletscherten Viertausendern. Auch wenn die Straße zu zügigem Fahren animieren würde – ein Innehalten auf einer Parkbucht zum Betrachten der beeindruckenden Bergwelt lohnt sich immer.

Selbst steht man dabei am Fuß einer mächtigen Schutthalde, die sich über die letzten Serpentinen hinweg, einer gewaltigen Stein-Arena gleich, ausbreitet. Mit Durchfahrt der 14. Kehre wird das Plateau des Passes erreicht. Der Rummel anderer Pässe ist ihm fremd: ein Restaurant, ein Souvenirladen. Und ein unbefestigter Parkplatz – mehr bietet er nicht. Das grandiose Panorama hier oben ertrüge wahrscheinlich auch nicht mehr.

Überfahrt ins Tessin

Mit der Überfahrt ins Tessin wechselt der Fahrbahnbelag von Asphalt zu Betonplatten. Vorbei an zwei kleinen Seen fällt die Straße in den italienischsprachigen Kanton hinab. Dessen namensgebender Fluss, der Ticino, entspringt in der Nähe und verläuft parallel zur Rhône, allerdings in die entgegengesetzte Richtung.

Die Ostrampe unterscheidet sich stark von jener im Westen. Ihr Gefälle erscheint geringer, ihre Kehren besser einsehbar. Der Rhythmus beim Überfahren der Stoßkanten der Betonplatten begleitet die Fahrt, zahlreiche über die Felsen fallende Wasserläufe sorgen für Hintergrundrauschen.

Während auf Walliser Seite Staudamm und Windpark Zeugen des menschlichen Energiebedarfs sind, sind dies auf Tessiner Seite stählerne Gerippe für Hochspannungsleitungen. In zwei Reihen durchschneiden sie die Landschaft, stören das Staunen über das nirgends enden wollende Grün, das sich unterhalb von circa 2.000 Metern und eines Felsenmeers ausbreitet. Dieses Grün überwuchert seit ewigen Zeiten aus den Bergen herabgestürzte Felsbrocken, erschuf auf diese Weise eine hügelige, von Schmelzwasser-Bächen durchzogene Landschaft.

Dünn besiedeltes Val Bedretto

Acht Kehren sind noch zu durchfahren, bevor die Straße recht ereignislos durchs Val Bedretto führt – ihren Verlauf gibt das mit grobem Geröll gefüllte Flussbett des Ticino vor. Das Tal ist dünn besiedelt, in den Hängen oberhalb der Ortschaften stellen sich Schutzbauten der winterlichen Lawinenbedrohung in den Weg. Die fahrerischen und landschaftlichen Höhepunkte des Nufenen liegen nun weit zurück. Bei Airolo übernimmt ein anderer Schweizer Pass das Szenario: die Gotthardstraße mit ihren filigran an den Berg gestützten Schleifen.

Fazit

Der Nufenen ist ein Pass der kulturellen und sprachlichen Gegensätze – landschaftlich reizvoll, wegen der Kraftwerksbauten im Passbereich gleichzeitig abstoßend. Seine Höhe macht ihn einzigartig in der Schweiz.

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Erscheinungsdatum 10.05.2024