Report zu Polizei-Kontrollen im Jahr 2018
Kontrolle ist besser ...

Denn Vertrauen allein reicht offenbar nicht, was Lärm und Unfallzahlen belegen. Bayern hat 2018 in allen Regierungsbezirken "Motorrad Kontrollgruppen" der Polizei eingeführt. In der Ferienregion Bayerischer Wald ließ sich die "Kontrollgruppe Niederbayern" bei der Arbeit zuschauen.

Kontrolle ist besser ...
Foto: Schümann, Michael

Kollegen, der hier wollte abhauen, wollte da vorne umdrehen, als er die Kontrolle gesehen hat!" Schlagartig ist die entspannte, fast plaudrige Stimmung an der Kontrollstelle im Bayerischen Wald einer konzentrierten Aufmerksamkeit gewichen. Drei Polizisten stehen um die Aprilia RSV 4 herum, während ihr Fahrer zögernd den Helm abnimmt:"Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte!" Beim Wegfahren in einem zivilen BMW hatte Polizeioberrat Markus Völkl zufällig den mutmaßlichen Fluchtversuch des Aprilia-Fahrers gesehen und ihn Kraft der Autorität seiner Uniform aufgefordert, sofort zurück zur Kontrollstelle zu fahren. Das Bubengesicht, das unter dem Helm hervorkommt, grinst etwas verlegen. Derweil begutachten Polizeihauptmeisterin Daniela Kleinert und ihr Kollege Frank Stadler von der Kontrollgruppe Motorrad Niederbayern die rund zehn Jahre alte Aprilia. Mit einer Taschenlampe leuchtet Stadler in die nachgerüsteten Leo-Vince-Tüten, nickt dann zufrieden: "db-Eater sind drin, Reifen sind okay, der Rest ist serienmäßig." Und zum Fahrer: "Ich verstehe nicht, warum Sie vor uns wegfahren wollten? Wir beißen doch nicht. Hier, bitte, Ihre Papiere, und gute Fahrt noch."

Debatte um Lautstärke von Motorrädern
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Report zu Polizei-Kontrollen im Jahr 2018
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Kooperation zwischen Deutschland und Tschechien

Es ist ein heißer Sommersamstag. Gleich an drei Stellen haben sich Beamte der Kontrollgruppe an der Straße oberhalb der Ortschaft Bayerisch Eisenstein positioniert. Zweimal für eine klassische Anhaltekontrolle, die sich gezielt und ausschließlich Motorradfahrer vornimmt. Und einmal zur allgemeinen Geschwindigkeitskontrolle unten im Ortsbereich. Die Grenze zu Tschechien verläuft mitten durch Bayerisch Eisenstein, Železná Ruda heißt die Gemeinde auf der anderen Seite. Weil auch viele Tschechen in dieser beliebten Ferienregion mit dem Motorrad unterwegs sind, unterstützt jeweils ein Uniformierter der tschechischen Policie in grenzübergreifender Zusammenarbeit die bayerischen Beamten bei den Kontrollen.

Schümann, Michael
Es wurde gleich an zwei Stellen kontrolliert.

Und der tschechische Kollege muss auch gleich als Dolmetscher einspringen. Die bayerischen Polizisten haben einen tschechischen KTM-Fahrer rausgewunken, dessen 690-Einzylinder viel zu laut aus dem offenen Akrapovic-Topf ballert. Klare Sache: Ordnungswidrigkeit – erloschene Betriebserlaubnis, der Mann muss zahlen. 90 Euro, die für ihn als Ausländer gleich an Ort und Stelle fällig sind. Doch er hat nur Kronen dabei. Und eine EC-Karte. Der tschechische Polizist nimmt seinem Landsmann als Pfand den Ausweis ab und schickt ihn dann zum Euro-Abheben zurück nach Bayerisch Eisenstein, wo es einen Geldautomaten gibt.

Mehr Sicherheit für Motorradfahrer

Die Kontrollgruppe Motorrad Niederbayern umfasst 13 Beamte. Alle haben in irgendeiner Weise mit Motorrädern zu tun, fahren selber, einer hat vor dem Polizeidienst Motorradmechaniker gelernt. Die Gruppe entstand 2017 nach dem Vorbild der seit 2014 existierenden aus Oberbayern, die dort hauptsächlich an Bergstrecken wie Sudelfeld und Kesselberg kontrolliert, aber auch auf den Autobahnen des Voralpenlands. "Uns geht es nicht darum, Motorradfahrern den Spaß zu vermiesen", sagt Markus Völkl, der bei der Kontrolle den Aprilia-Fahrer gestellt hat. Völkl ist stellvertretender Sachgebietsleiter Verkehr im Polizeipräsidium Niederbayern. "Uns geht’s darum, mehr Sicherheit für Motorradfahrer zu schaffen, schwarze Schafe zu identifizieren und zu sanktionieren", sagt er und meint damit hauptsächlich Temposünder und Krawallbiker, deren Maschinen illegal laut sind.

Schümann, Michael
Fahren ohne dB-Killer kostet um die 90 Euro.

Völkls Kollegin Polizeihauptkommissarin Melanie Ott erklärt den Hintergrund: 2017 sei die Zahl der bei Unfällen getöteten Biker im kurvenreichen und teilweise bergigen Niederbayern erstmals wieder deutlich gestiegen – und zwar überall. Klassische Unfallschwerpunkte gebe es nicht, was neben Prävention auch flächendeckende Kontrollen erfordere. Und bei jedem zweiten der letztes Jahr 18 tödlichen Crashs in Niederbayern habe überhöhte Geschwindigkeit mit zur Unfallursache gehört. Daher solle sich hier kein Raser mehr sicher fühlen, so die Kommissarin. Wie künftig auch in allen anderen Regierungsbezirken Bayerns, wo seit 2018 ebenfalls Kontrollgruppen im Einsatz sind: "Unser Ziel ist eine Erhöhung des Entdeckungsrisikos."

Spitzenreiterin 54 km/h zu schnell

Entdeckt wurden an jenem Samstag in Bayerisch Eisenstein von 365 gemessenen Autos und Motorrädern 88, die schneller als die erlauben 50 km/h waren. Darunter eine 42-jährige deutsche Motorradfahrerin als Spitzenreiterin, die mit 104 km/h geblitzt worden war (200 Euro, zwei Punkte, ein Monat Fahrverbot). Eher niedrig dagegen die Quote an den Anhaltekontrollen nur für Motorräder: Bei rund 300 Bikes, denen die Beamten teils tief in Auspuff und Papiere schauten, gab’s nur 17 Beanstandungen. Darunter mehrfach nach Ansicht der Polizei unzulässige Bremshebel, als billige China-Ware im Internet gekauft. Oder abgefahrene Reifen, entfernte dB-Eater und bei einer Ducati ein gefährlich offener Kupplungsdeckel. Die Duc musste den Heimweg per ADAC-Transporter antreten.

Schümann, Michael
Nachrüst-Bremshebel ohne KBA-Nummer befinden sich in der Grauzone.

Weiterfahren durfte dagegen ein Suzuki Intruder-Pilot. Aber erst, nachdem er den Polizisten hatte versprechen müssen, künftig einen richtigen Motorrad- und nicht einen dunkel gefärbten Feuerwehr-Helm zu tragen. Im Bereich solcher Verwarnungen können die Kontrollbeamten ihren Ermessensspielraum großzügig auslegen: "Der war ja einsichtig und hat normal mit sich reden lassen. Das ist mir wichtiger, als dass ich ihm 15 Euro abnehme", sagt Robert Huber*, "Servus, gute Fahrt noch." Als die alte Suzuki schon wieder zwei Kurven weit weg ist und man den V2 immer noch bollern hört, blickt ein Kollege fragend zu Huber rüber: "Warum haben wir da eigentlich den Auspuff nicht angeschaut?" Huber zuckt die Schultern und murmelt was von "alt, Dämmstoff, ausgebrannt ... Lass gut sein."

Kommentar Michael Schümann (MOTORRAD-Reporter)

Kein Motorradfahrer freut sich, wenn er die Kelle sieht und anhalten muss. Ich auch nicht. Aber wenn sich das immer so im Rahmen hielte wie hier, dann fände ich das in Ordnung. Denn diese Beamten wollten keinen nerven. Denen kam es drauf an, dass im Großen und Ganzen alles passen muss – also sicheres Motorrad und dafür passender Führerschein. Und wenn einer kräftig zahlen muss, weil er den dB-Eater rausgeschraubt hat und mit Brüllrohr unterwegs ist, dann soll’s mir recht sein. Auch mir geht der Krach auf den Zeiger. Was ich aber grenzwertig finde, sind die beanstandeten, da angeblich unzulässigen Bremshebel. Nach MOTORRAD-Recherchen kann man sehr wohl darüber streiten, ob solche nachgerüsteten Hebel, wenn sie nicht dem Original entsprechen und auch keine KBA-Nummer haben, ausdrücklich verboten sind.

Foto: mps-Studio
Mike Schümann zur offenbar unklaren Rechtslage, was die Zulässigkeit von Zubehör-Bremshebeln betrifft.

Was einem weder TÜV noch IVM offiziell bestätigen wollen. Warum? Weil sie natürlich verboten gehören. Denn damit wir uns nicht falsch verstehen: Das ist kein Plädoyer für potenziell gefährliche Billig-Hebel aus China! Aber eines gegen die rechtliche Grauzone bei einem so wichtigen Thema. Es kann doch nicht sein, dass die Frage nach dem Preis des Bremshebels Entscheidungsgrundlage für oder gegen eine polizeiliche Beanstandung ist. Allein die Aussage: "Wenn’s zum Beispiel ein LSL-Hebel ist, können wir davon ausgehen, dass alles okay ist" mag zwar von Sachkenntnis des Beamten zeugen, denn von LSL, ABM oder Rizoma haben viele Polizisten sicher noch nie gehört. Aber sie zeigt auch, dass hier klare Verhältnisse gefragt sind.

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Erscheinungsdatum 26.04.2024