Der andere Schmetterlingseffekt: MSF behandelt Frauen mit Geburtsfisteln

Projet de prise en charge de fistules obstétricales à Abéché. MSF a opéré environ 150 femmes en 2009.

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Am 8. und 9. März 2011 organisiert MSF in Genf einen Workshop zur Verbesserung der Behandlung von Geburtsfisteln. Von dieser Verletzung, die wegen der einhergehenden Inkontinenz mit viel Scham verbunden ist, sind weltweit zwei Millionen Frauen betroffen, die meisten davon in Afrika.

„Die Sonne darf nicht zwei Mal über einer gebärenden Frau auf- oder untergehen.“ Trotz dieses Sprichworts dauern die Wehen auf dem afrikanischen Kontinent, wo die meisten Frauen zuhause gebären, oft zu lang. Wenn sie bei Problemen dann endlich im Spital ankommen, ist es für das Neugeborene oft zu spät, und manchmal auch für die Mutter.

Viele Frauen, die eine solche Geburt überleben, haben danach mit einer Beeinträchtigung zu kämpfen. Geburtsfisteln gehören zu den schwersten Folgen von Komplikationen bei der Entbindung. Die Verletzung entsteht durch den anhaltenden Druck des kleinen Köpfchens auf das Beckengewebe. Die mangelnde Durchblutung führt zu einer Nekrose dieses Gewebes, wodurch zwischen Vagina und Blase, Vagina und Rektum oder an beiden Stellen zugleich eine Öffnung entsteht. Die betroffenen Frauen können den Urin und/oder den Stuhl nicht mehr halten – und schämen sich dafür. Hinzu kommt, dass sie deswegen oft von der eigenen Familie oder der Gemeinschaft verstossen werden.

Schätzungsweise leben zwei Millionen Frauen weltweit mit einer solchen Geburtsfistel, die meisten davon in Afrika. Das Problem bleibt meist unbemerkt, da vor allem junge Frauen in armen und abgelegenen Regionen davon betroffen sind, die keinen Zugang zur Geburtshilfe haben.

Den meisten Frauen mit Fisteln geht es wie Zanaba. MSF hat die 16-Jährige letztes Jahr in der Zentralafrikanischen Republik behandelt. Nach drei Tagen Wehen hatte ihre Mutter eine traditionelle Hebamme gerufen.

Erst am siebten Tag wurde Zanaba ins nächste Spital gebracht. Die Reise, hinten auf einem Motorrad, dauerte einen ganzen Tag. Bei ihrer Ankunft war das Baby tot. Die junge Mutter lebte, aber die langen Wehen hatten eine Geburtsfistel verursacht, die einen chirurgischen Eingriff nötig machte. „Ich wusste nicht, was eine Fistel ist und wie sie entsteht, aber jetzt bin ich froh, dass ich operiert wurde“, sagt sie.

Ein besserer Zugang zur Geburtshilfe

Am 8. und 9. März 2011 organisiert MSF in Genf einen Workshop für eine Verbesserung der Behandlung von Geburtsfisteln. Die Zusammenkunft anlässlich des Weltfrauentags am 8. März vereint verschiedene Akteure, die sich mit der Behandlung von Geburtsfisteln befassen, insbesondere Chirurgen und Experten, die für MSF und andere Organisationen im Einsatz sind.

Geburtsfisteln können vermieden werden, wenn die Frauen Zugang zur allgemeinen Geburtshilfe erhalten. In den entwickelten Ländern ist das Problem mittlerweile gänzlich verschwunden.

Die Operation zum Verschluss einer Fistel ist heikel und verlangt spezialisiertes Fachwissen. Je nach Schwere des Falls kann der Eingriff mehrere Stunden dauern. Um das chirurgische Know-how für die Behandlung von Fisteln zu erlangen, braucht man eine lange, besondere Ausbildung, in Afrika gibt es hierfür nur einige wenige spezialisierte Zentren.

Die Behandlung der Fisteln beschränkt sich aber nicht allein auf die Chirurgie. Nach der Operation erhalten die Patientinnen bei einer Rest-Inkontinenz eine Physiotherapie. Und zur Wiedereingliederung in die Gemeinschaft ist oft eine psychosoziale Betreuung nötig.

Zentren zur Behandlung von Fisteln

Schon immer sind Teams von MSF in ihren Einsätzen rund um den Globus Frauen begegnet, die unter Geburtsfisteln litten. Im Jahr 2003 baute MSF die ersten temporären Fistel-Zentren in der Elfenbeinküste und im Tschad auf, und in den folgenden Jahren auch in Sierra Leone, in Somalia, in der Demokratischen Republik Kongo (DRK), in der Zentralafrikanischen Republik und in Mali. Diese punktuellen Einsätze zur Behandlung von Geburtsfisteln werden in der DRK und der Zentralafrikanischen Republik heute noch weitergeführt.

„MSF arbeitet oft in konfliktreichen und instabilen Ländern. Deshalb haben wir uns für kurze Projekte entschieden“, erklärt Michiel Liekkerker, medizinischer Berater bei MSF in Amsterdam. „Wir installieren diese temporären Zentren jeweils für zwei Monate in der Nähe von bestehenden Spitälern. Vor unserer Ankunft wird die Bevölkerung darüber informiert, damit die betroffenen Frauen auch in die Sprechstunden kommen. Dafür wird zusätzliches Personal angeworben, und es werden zwischen 40 und 80 Betten vorbereitet, meist in Zelten. Der Chirurg bleibt ungefähr einen Monat vor Ort und operiert mehrere Frauen pro Tag. So sind wir einerseits flexibel, und anderseits ist es für uns einfacher, spezialisierte Chirurgen für kurze Zeitspannen zu finden.“

Drei permanente Zentren in Burundi, im Tschad und in Nigeria

Heute betreibt MSF zudem drei fortwährende Zentren zur Behandlung von Geburtsfisteln, und zwar in Burundi, im Tschad und in Nigeria.

Im Juli 2010 wurde das letzte der drei Zentren, Urumuri, im Herzen Burundis vor dem Regionalspital von Gitega eröffnet. Als landesweit erste Einrichtung dieser Art steht dieses Zentrum den Frauen während sieben Tagen in der Woche zur Verfügung. MSF hat vier Pavillons errichtet, wo die Patientinnen vor der Operation und während der darauf folgenden Physiotherapie untergebracht werden.

„Mit einem solchen Projekt können wir die Patientinnen viel enger betreuen und zugleich nach besseren Behandlungsmethoden forschen“, erklärt Geert Morren, Spezialist für Fisteln bei MSF in Brüssel, der in Gitega zahlreiche Frauen operiert hat. „Unser Ziel ist es, über einen Zeitraum von drei Jahren jährlich 350 Frauen zu operieren. In der Zwischenzeit werden drei burundische Chirurgen ausgebildet, damit das Projekt anschliessend an das Gesundheitsministerium übergeben werden kann.“

Nebst dem Fachzentrum für Fisteln in Gitega hat die medizinische Hilfsorganisation in einer weiteren Region Burundis eine Entbindungsstation aufgebaut. So trägt MSF dazu bei, die Geburtshilfe im Land auszubauen und das Auftreten neuer Fisteln zu verhindern.

In Abéché im Osten des Tschads startete MSF im Jahr 2008 das Projekt „Schmetterling“. Der Schmetterling symbolisiert die Verwandlung der Frauen, die aufgrund ihrer Fistel isoliert waren und die dank der Operation einen neuen Start ins Leben wagen. 2009 errichtete MSF ein Frauendorf, wo Patientinnen mit Fisteln für mehrere Wochen aufgenommen werden. In den ersten Sprechstunden erfolgt eine Aufnahme, damit insbesondere eine allfällige Mangelernährung erkannt und vor dem chirurgischen Eingriff behandelt werden kann. Nach der Operation erhalten die Frauen eine Physiotherapie. Dank einer psychologischen Unterstützung können sie schliesslich wieder ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen.

MSF arbeitet hier mit einem tschadischen Chirurgen zusammen. Dr. Valentin Valandi hat in Dakar studiert und sich mithilfe internationaler Fachleute auf die Problematik von Geburtsfisteln spezialisiert. „Jeder Fall ist anders, ich lerne jeden Tag dazu. Im Tschad wurden viele Frauen nicht fachgerecht operiert, was die weitere Behandlung zusätzlich erschwert“, erklärt er.

In Abéché unterstützt MSF auch die Entbindungsstation des Regionalspitals, das direkt neben dem Zentrum „Schmetterling“ liegt. Hier geht es darum, gute Bedingungen für die Entbindung zu schaffen und damit zu verhindern, dass es zu neuen Fällen mit Fisteln kommt.

In Nigeria arbeitet MSF in einem Spital in Jahun im Norden des Landes eng mit dem Personal des Gesundheitsministeriums zusammen. Die MSF-Teams bieten der Lokalbevölkerung Geburtshilfe und Neugeborenenpflege an. Ziel ist es, die Kinder- und Müttersterblichkeit zu verringern, aber auch Fisteln vorzubeugen und sie zu behandeln. 2010 operierte das MSF-Team 400 betroffene Frauen. Nach dem Eingriff werden die Patientinnen während sechs Monaten medizinisch betreut, damit sichergestellt werden kann, dass die Fisteln gut verheilt und die Frauen nicht mehr inkontinent sind.

2010 haben MSF-Teams ungefähr 1’000 Frauen mit Geburtsfisteln operiert.

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