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Rammstein Rammstein: Messers Kuss am Muttermal

Von Steffen Könau 04.04.2001, 14:27

Halle/MZ. - Dabei ist er ein ganz Netter. Till Lindemann, alleinerziehender Vater einer Tochter im Teenie-Alter, kann gar nicht böse sein. Zuvorkommend hält er Damen die Tür auf, wenn er redet, dann leise und so, dass es immer ein bisschen nachdenklich klingt.

Und doch lässt derselbe Mann nun wieder die Herzen brennen und die Schmerzen schmerzen und die Rs rollen wie Rumpel-Panzer. Rammstein, seit ihrem vor vier Jahren erschienenen Album "Sehnsucht" die erfolgreichste deutsche Rockband, sind wieder da. Mit "Mutter" (Motor) legt die Band aus Berlin ihre dritte Studio-CD vor - und die schreibt die beiden Vorgänger "Herzeleid" und "Sehnsucht" bruchlos fort: Stampfende Beats begleiten zackige Gitarren, ein finster brummender Bass raunt von "Totensonntag", gestohlenen Küssen und schmutzigem Sex.

Nicht, dass das Sextett nicht alles versucht hätte. Nach Frankreich sind sie für die Aufnahmen gefahren, in Stockholm wurde abgemischt und und in New York bekamen das Werk den letzten Schliff. Das Filmorchester Babelsberg haben sie herankarren lassen, Samples wurden eingestreut und Christiane "Bobo" Hebold durfte auch mitsingen. Weiterentwickelt hätten sie das Rammstein-Konzept, hieß es geheimnisvoll, neue Einflüsse seien verarbeitet worden.

Schmuh! Denn am Ende ist es dann doch wieder ein Album geworden, dass in jeder Sekunde Haltung annimmt als zackiges Rammstein-Original. Da muss erstmals auch kein Bild der muskulösen Sechs mehr das Cover zieren, man durfte getrost ein sehr beeindruckendes Foto von einem Baby im Mutterleib als Verpackung wählen.

Der Inhalt spricht für sich. "Alle warten auf das Licht/ fürchtet Euch, fürchtet Euch nicht" dröhnt Till Lindemann doppelgesichtig, und "Links zwei, drei, vier" marschieren die Gitarren. Mehr noch als den beiden millionenfach verkauften Vorgängeralben, die Rammstein zu Hitparadenehren selbst in den USA verhalfen, ist "Mutter" in seiner comicartigen Überzeichnung von quotenträchtigen Themen wie Gewalt, Sex und Machismo prächtiger Pop und Pop-Persiflage in einem.

Das sieht der Plan so vor, den die Musiker und ihr visionärer Manager Emu Fialik Mitte der 90er entwarfen. Nicht mehr über die Dörfer fahren wie ihre alten Gruppen Das Auge Gottes, Inchtabokatables und Feeling B. Groß angreifen stattdessen und endlich einmal selbst den Preis bestimmen. Nicht kleckern, sondern klotzen, dass die Klischees nur so klappern und Kritiker sich mit Grausen wenden.

Die Absetzbewegung vom Ostrock alter DDR-Prägung hätte nicht entschiedener ausfallen können. Statt schwiemeliger Romantik gab es hier deftige Roh-Kost, statt verwaschener Jeans Leder, Lack und nacktes Muskelfleisch unter sengendem Scheinwerferlicht. Rammstein belehnten Kraftwerk, Devo und die Böhsen Onkelz und backten daraus ihr eigenes Produkt, das sich in seiner absoluten Vorhersehbarkeit eher mit den Pet Shop Boys als mit den Einstürzenden Neubauten gemein machtz. Der Weg war weit bis dahin. Rammstein provozierten mit ideologisch doppeldeutiger Zeichensprache, benutzten den Alien-Designer H.R. Giger und die Hitler-Fotografin Leni Riefenstahl, arbeiteten mit David Lynch und den Puhdys und hatten doch kein anderes Ziel als Aufsehen und Quote.

Gelungen. Auch mit "Mutter" wird das gänzlich unsubtile Sextett wieder allenthalben anecken, auch wenn das Schockpotential spürbar nachlässt. Dafür gibt es zwischen dem Eröffnungs-Aufschrei "Mein Herz brennt" und dem Schlußpunkt "Nebel" einmal mehr geschliffene Melodien, paradierendes Pathos und klinisch saubere Keyboard-Sounds. Musik für die Massen, Stadiongesänge von sturer Stringenz, bei denen die große Aufführung schon bei der Komposition mitgedacht wurde.