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Neues Leben mit alter Niere Spenderorgane: 2000. Transplantation an der halleschen Uni-Klinik geglückt

Von Bärbel Böttcher 19.08.2017, 10:00
Visite bei Karl-Ullrich Krex, der eine neue Niere bekommen hat. Es war die 2 000. Transplantation an der halleschen Uni-Klinik. Professor Paolo Fornara und Dr. Nasreldin Mohammed freuen sich gemeinsam  mit dem Patienten über die gelungene Operation.
Visite bei Karl-Ullrich Krex, der eine neue Niere bekommen hat. Es war die 2 000. Transplantation an der halleschen Uni-Klinik. Professor Paolo Fornara und Dr. Nasreldin Mohammed freuen sich gemeinsam  mit dem Patienten über die gelungene Operation. UKH

Halle (Saale) - Als der entscheidende Anruf kommt, nimmt Karl-Ullrich Krex gerade ein Bad in der Ostsee. So geht seine Frau ans Handy und erfährt es als Erste: Es gibt eine Spenderniere für ihren Mann.

Nur kurze Zeit später ist das Ehepaar, das mit dem Enkel in Boltenhagen Urlaub gemacht hat, auf der Autobahn Richtung Halle unterwegs. „Wahrscheinlich etwas schnell“, sagt der 70-Jährige. Im Briefkasten könnte nun jederzeit Post von der Bußgeldstelle stecken. Aber das ist es ihm wert. Er kommt rechtzeitig im Universitätsklinikum an. Am 28. Juli erhält er im Nierentransplantationszentrum (NTZ) ein neues Organ. Und noch dazu ein ganz besonderes: Es ist die 2 000. Niere, die seit der Gründung des Zentrums 1974 dort verpflanzt wird.

Tückischer Bluthochdruck bei Karl-Ullrich Krex festgestellt

Zwei Jahre zuvor war bei Karl-Ullrich Krex eine hypertensive Nephropathie festgestellt worden: Das ist der medizinische Fachausdruck für eine Nierenerkrankung, die durch Bluthochdruck entsteht. „Und zwar eine besonders tückische“, wie Professor Paolo Fornara, Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Urologie und des Nierentransplantationszentrums, erklärt. Der Patient habe keine Schmerzen und die Krankheit bleibe deshalb lange unbemerkt. So wie bei Karl-Ullrich Krex. Als die Diagnose schließlich gestellt wird, ist die Nierenschädigung so weit fortgeschritten, dass es zur regelmäßigen Dialyse keine Alternative mehr gibt.

Dreimal in der Woche muss der Erkrankte, der in Lieskau (Saalekreis) zu Hause ist, nun zur Blutwäsche. Anfangs für drei, später für fünf Stunden. Für ihn eine schlimme Zeit. „Wenn sie sehen, wie es mit einigen aus der Dialyse-Gruppe abwärts geht oder wenn Leute aus der Gruppe sterben, das zerrt an den Nerven“, sagt er. Es bringt ihn zum Grübeln. Zumal er selbst Tage erlebt, an denen ihn die Prozedur schwer zusetzt.

Spenderorgane kommen aus der Region

Zwar steht Karl-Ullrich Krex auf der Warteliste für eine Nierentransplantation. Er selbst glaubt aber nicht daran, dass für ihn ein Spender gefunden wird. „Ich hatte damit abgeschlossen“, sagt er. Mit seiner Frau redet er über eine Lebendspende. Sie ist dazu bereit. Aber medizinische Gründe sprechen dagegen. „Es wäre ein großes Risiko für sie gewesen.“ Er will nicht, dass sie sich dem aussetzt.

Die Ärzte hingegen machen ihrem Patienten Hoffnung. Denn Karl-Ullrich Krex gehört zum sogenannten „Old-for-old“-Programm (Alt-für-Alt), einem Senioren-Programm: Patienten jenseits der 65 erhalten Nieren von Spendern jenseits der 65. Für viele in diesem Alter ist das überhaupt die einzige Chance auf eine Transplantation. An den Organen, die da verpflanzt werden, sei nichts auszusetzen, sagt Fornara. Sie arbeiteten lediglich altersentsprechend. „Bei einem über 60-Jährigen hat die Niere etwa 20 bis 30 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit verloren“, erklärt der Urologe. Das sei ein normaler Alterungsprozess. Problematisch wäre es hingegen, diese Niere einem 20-Jährigen einzusetzen. Denn sie altere ja weiter.

Ein Vorteil dieses Programms ist auch, dass die Spenderorgane aus der Region kommen. „Sie müssen also nicht lange transportiert werden. Die Zeit, in der die Niere nicht durchblutet wird, reduziert sich“, betont Fornara. Das sei für Organ und Empfänger gut.

Es ist aber am Ende gar nicht dieses Programm, dem Karl-Ullrich Krex sein neues Organ verdankt. Ein weiteres gesondertes Zuteilungsverfahren katapultiert ihn auf der Warteliste schon nach zwei Jahren ganz nach oben. Dieses greift, wenn der Empfänger, für den das Organ eigentlich vorgesehen ist, ausfällt. „Es kann sein, dass dieser Empfänger krank ist, nicht mehr transplantiert werden möchte oder vielleicht nicht aufzufinden ist“, erklärt Fornara. Diese Niere müsse dann in einem beschleunigten Verfahren einem anderen passenden Patienten zugeteilt werden. Würde nach dem aber im gesamten europäischen Raum gesucht, vergehe zu viel Zeit. Es sind nicht mehr als zwölf Stunden, die zwischen Entnahme und Transplantation liegen sollten. Sonst werde die Niere unbrauchbar. Um das zu vermeiden, würden in diesen Fällen die Vergabe-Kriterien erweitert. Das Organ bleibe dann in der Regel in dem Zentrum, dem es zuerst zugeteilt wurde. Es erhält der dort registrierte Patient, für den es am besten geeignet ist. Der überspringt auf der Warteliste alle, die in anderen Zentren vor ihm stehen. Das Glück war in diesem Fall also auf Seiten von Karl-Ullrich Krex.

Es ist Dr. Nasreldin Mohammed, leitender Oberarzt der urologischen Klinik, der den Lieskauer operiert. Dabei hätte Professor Fornara diese 2.000. Transplantation gern selbst gemacht. Doch - es ist nie absehbar, wann ein Organ zur Verfügung steht. Und so weilt der gebürtige Italiener just zu diesem Zeitpunkt in seiner Heimatstadt Brixen (Südtirol). Die Rückkehr ist auf die schnelle nicht zu organisieren.

1.000 Niere 1997 an der halleschen Uni-Klinik transplantiert

Ein bisschen wurmt es Fornara schon, dass er nicht vor Ort war. Er erzählt, dass er in Halle etwa seit der 1.000. Niere - das war 1997 - alle Transplantationen begleitet habe. Die Nieren bei den Lebendspendern habe er durchweg selbst entnommen. Wenn er auf diese Jahre zurückblickt, wird er fast ein wenig sentimental. „Ich empfinde eine große Dankbarkeit“, sagt der Mediziner. Er werde demnächst 62 Jahre alt. „Es ist absehbar, dass ich diese Klinik in vier, fünf Jahren nicht mehr leite. Aber ich bin mit ihr verwurzelt, ich habe sie beeinflusst, wenn nicht sogar geformt“, fügt er hinzu. „Sie ist so etwas wie mein Lebenswerk.“

Der Urologe sagt, dass er seinerzeit mit der Leitung der Klinik ein großes Erbe übernommen habe: „Es ist unsere Klinik, in der Professor Heinz Rockstroh 1966 die erste Nierentransplantation der DDR durchgeführt hat.“ 1974 wurde in Halle dann das nach Berlin zweite Nierentransplantationszentrum der DDR gegründet. „Dieses Erbe lastete schwer.“ Er habe es weitertragen wollen.

Karl-Ullrich Krex macht nach Nierentransplantation in Halle wieder Pläne

Fornara ist seit Jahren ein Vorreiter in der Transplantationsmedizin. Seit 2004 entnimmt er Nieren bei der Lebensspende per Schlüsselloch-Chirurgie, das heißt, ohne großen Schnitt. 2008 wurde die blutgruppenungleiche Nierentransplantation ein Spezialgebiet der Klinik. Im vergangenen Sommer stand die erste Roboter-assistierte Nierentransplantation auf dem OP-Plan. Seitdem ist auch die eigentliche Transplantation minimal-invasiv möglich. Halle war deutschlandweit übrigens die zweite Klinik, die den OP-Roboter DaVinci dafür einsetzte. Für Fornara ist das alles die logische Fortsetzung einer Entwicklung, die mit Rockstroh begann. Sein Fazit: „Ich fühle, ich bin angekommen. Die Last ist weg. Und das macht so einen alten Chef zufrieden und stolz.“

Zufrieden ist auch Karl-Ullrich Krex. Seine neue Niere arbeitet gut. Es hat zwar ein paar Tage gedauert, bis sie „ansprang“. Aber das hänge mit der Kühlung während des Transports zusammen und sei bei in etwa 50 Prozent der Fälle so, sagt Fornara. Nun aber funktioniert das Organ jeden Tag besser. Sorgen habe er sich nicht gemacht, meint der Empfänger. Aber seine Geduld wurde nach der Operation doch noch einmal gehörig auf die Probe gestellt. Nun aber macht der 70-Jährige schon Pläne. Er will, was bisher nicht ging, sein Rentnerleben genießen. „Vielleicht schaffe ich es noch, zum Panamakanal zu reisen“, sagt er. Das sei sein Traum. Im nächsten Jahr wird aber erst einmal goldene Hochzeit gefeiert.

Dankbarkeit empfindet Karl-Ullrich Krex gegenüber seinem Spender. Letztere vergisst auch Fornara bei aller Freude über das Jubiläum nicht. „Die Organspende“, so betont er, „ist die höchste Form sozialer Kompetenz.“ (mz)

Prof. Heinz Rockstroh nahm 1966 in Halle die erste Nierentransplantation der DDR vor.
Prof. Heinz Rockstroh nahm 1966 in Halle die erste Nierentransplantation der DDR vor.
UKH