Leben

Zwischen Honigfalle und asozial DDR lehnte Prostituierte ab und benutzte sie

Das Frauenbild der DDR  war moralisch konservativ und  von arbeitspolitischen Interessen bestimmt.

Das Frauenbild der DDR war moralisch konservativ und von arbeitspolitischen Interessen bestimmt.

(Foto: imago/Frank Sorge)

Eine sozialistische Frau hat nicht zu viel Spaß an Sex und prostituiert sich nur dann, wenn es dem Staat nützt. So könnte man den Umgang der DDR mit Prostitution beschreiben. Der Historikerin Brüning haben Frauen von ihren Erfahrungen mit einem Gewerbe erzählt, das verboten war und trotzdem existierte.

Wer an Sexualität in Deutschland im Jahr 1968 denkt, hat wahrscheinlich Rainer Langhans und die freie Liebe vor Augen. Doch während in der Bundesrepublik die sexuelle Revolution in vollem Gange war, gab es in der DDR mit dem 1968 beschlossenen neuen Strafgesetzbuch ein weiteres Repressionsinstrument, das speziell auf die weibliche Sexualität zielte. Denn dort galten mit Einführung des Paragrafen 249 Prostituierte als Asoziale und konnten mit mehrjährigen Haftstrafen belegt werden. Der Paragraf betraf jedoch nicht nur Frauen, die sich prostituierten: Schon sexuelle Freizügigkeit wurde unter der Prämisse "Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten" unter Strafe gestellt.

Die SED verwendete mit "Asozialität" den gleichen Begriff, der im Nationalsozialismus zur Verfolgung und Ermordung von Menschen diente, die auf verschiedene Art von der Norm abwichen. "Die SED übernahm diesen Begriff und verknüpfte ihn mit dem Fehlen einer legitimen Form von Arbeit, ohne die Kontinuität zum Nationalsozialismus zu thematisieren, obwohl diese Kontinuität nicht zu leugnen ist", sagt Historikerin Steffi Brüning, die mit ihrer neu erschienenen Arbeit "Prostitution in der DDR" die erste Untersuchung der vielfältigen Facetten des Rotlichtgewerbes im Sozialismus veröffentlicht hat.

Brüning hat sich auf die Städte Berlin, Leipzig und Rostock konzentriert. "Finanzstarke Kunden trafen Prostituierte in allen drei Städten, oft in den Bars der Interhotels. Überall sicherten und organisierten Netzwerke mit. Kellner vermittelten beispielsweise Kontakte, Prostituierte sorgten im Gegenzug für guten Umsatz und hohes Trinkgeld. Sexuelle Kontakte verlagerten sich oftmals in den privaten Raum der Frauen, da es keine Bordelle oder andere Arbeitsorte gab", so Brüning.

Selbstbestimmung war für Frauen nicht vorgesehen

Brünings Analyse zeigt: Faktisch war Prostitution verboten, doch die Realität war komplizierter. Denn einerseits wurde Prostitution nicht immer geahndet, sondern teilweise sogar unterstützt, wenn sie der SED zuträglich erschien. Gleichzeitig fand der Paragraf 249 auch Anwendung, wenn es darum ging, Frauen zu unterdrücken, die ihre Sexualität allzu aktiv lebten oder deren Leben den Normvorstellungen des SED-Regimes aus anderen Gründen nicht entsprach. So war Prostitution im Sozialismus mit dem Fehlen einer legitimen Arbeit verknüpft, wurde also erst dann strafbar, wenn man sich Frauen der sozialistischen Wirtschaft nicht als Arbeitskraft zur Verfügung stellten. Hier, wie in anderen Bereichen, bekommt das Bild der "emanzipierten Ostfrau" bei näherer Betrachtung Risse.

"Die SED rühmte sich damit, quasi automatisch durch die Einführung des 'Sozialismus' Geschlechtergerechtigkeit hergestellt zu haben. Der Umgang mit Prostituierten zeigt, dass das nicht gelang", sagt Brüning. "Frauen wurden enge Normen gesetzt, aus denen sie nicht ausbrechen sollten. Sexuelle Freizügigkeit, der Kontakt zu verschiedenen Männern, die nicht aus der DDR kamen, mit Sex Geld zu verdienen, sich selbstbestimmt Freiheiten zu nehmen - all das verstieß gegen die konservativen Moralvorstellungen und arbeitspolitischen Interessen der SED. Sobald Frauen sich wie selbstbestimmte Akteurinnen verhielten, konnten sie Probleme bekommen, und das betraf nicht nur Prostituierte", so Brüning.

Ihre Analyse offenbart auch das engstirnige Frauenbild der SED: Die Partei sah sie als sexuell passiv, regimekonforme Sexualwissenschaftler unterstellten ihnen, nur bei Liebe Lust empfinden zu können. Die monogame Beziehung zwischen Mann und Frau galt als Ideal - und "kleinstes Kollektiv in der DDR".

Amtsdeutsch hießen Frauen, die viele Partner hatten, Personen mit "häufig wechselnden Geschlechtspartnern" oder kurz "HWG". War eine Frau einmal als eine solche erfasst, so konnte sie zu regelmäßigen ambulanten Kontrollen auf Geschlechtskrankheiten verpflichtet oder in geschlossene Krankenanstalten wie die venerologische Station in Berlin-Buch zwangseingewiesen werden. Die Station in Buch wurde in der Umgangssprache abwertend als "Tripperburg" bezeichnet. Dabei waren die Mädchen und Frauen, die dort nach Geschlechtskrankheiten untersucht wurden, zu etwa 70 Prozent gesund, sagt Birgit Marzinka, Leiterin des Dokumentationszentrums "Lernort Keibelstraße". Ziel dieser Stationen sei die Disziplinierung der Frauen und Mädchen gewesen sowie ihre Erziehung zu dem, was als sozialistische Persönlichkeit galt.

Kapitalismus, Prostitution und Honigfallen

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Prostitution wurde von der SED als kapitalistisches Phänomen dargestellt und damit auch instrumentalisiert, um den Westen abzuwerten. An junge Mädchen wurde die Warnung verschickt, sie würden in westdeutschen Rotlichtvierteln versklavt, sollten sie Republikflucht begehen. Gleichzeitig war den Herrschenden des SED-Regimes jedes Mittel recht, um an Informationen aus dem Westen zu gelangen - auch der Einsatz von Prostituierten.

Als "Honigfallen" wurden Informantinnen auf Diplomaten, Unternehmer und Journalisten überwiegend aus dem nichtsozialistischen Ausland angesetzt. "Dabei waren sexuelle Kontakte immer auch Mittel zum Zweck, aber nie das ausschließliche Ziel der Tätigkeit. Es ging darum, dass Frauen als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) möglichst langfristige vertrauensvolle Beziehungen zu diesen Männern aufbauen und keine schnellen sexuellen Begegnungen stattfinden. Diese Informantinnen waren intelligent, gut ausgebildet, sehr attraktiv und politisch loyal gegenüber der SED. Sie wurden oft nicht als Prostituierte wahrgenommen", sagt Brüning. Zu den Anforderungen für diese Frauen zählte unter anderem eine "vaterländische Gesinnung".

Auf der anderen Seite wurden Prostituierte von der Staatssicherheit unter Druck gesetzt, als Informantinnen mit ihr zusammenzuarbeiten. "Angedroht wurden zum Beispiel Inhaftierungen, die Wegnahme der Kinder, der Verlust von Arbeit. Das führte dazu, dass Prostituierte sich oft sehr schnell auf eine Tätigkeit als IM einließen", so Brüning. Für ihre Untersuchung befragte sie vier Frauen, die in der DDR als Prostituierte gearbeitet hatten. Diese zu finden sei umständlich gewesen, so die Historikerin - doch als sie schließlich erzählen konnten, taten sie dies sehr umfassend. "Die Frauen wählten für sich in der Rückschau sehr verschiedene Beschreibungen. Für eine Frau, die sich aufgrund von Armut und Sucht auf der Straße prostituierte und nur eine geringe Bezahlung erhielt, war diese Zeit mit Scham verbunden. Eine andere Frau, die mit wohlhabenden internationalen Kunden in Kontakt war und Luxus erlebte, schwärmte von ihren Erlebnissen. Beide sehen sich im Nachhinein als Prostituierte, haben sich in der DDR aber selbst nicht so wahrgenommen", so Brüning.

Quelle: ntv.de

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